Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 15: ‚Müttertagebuch‘ von Maria E. für ihren 1914 geborenen Sohn „Nusserl“, 5. bis 21. September 1914, Steiermark

NL 174 Handschrift Maria ESeit 1913 war die junge Klavierlehrerin Maria E. (geb. 1890) mit einem Juristen verheiratet und Mutter eines Sohnes. Am 14. August 1914 wurde ihr zweiter Sohn Heribert „Nusserl“ geboren. Maria E. hat die Entwicklung von jedem ihrer Kinder in einem eigenen Tagebuch festgehalten. Jenes für „Nusserl“ liegt als Abschrift in der Sammlung Frauennachlässe vor.

5. September: Nusserl ist viel im Freien. Oft sitze ich neben ihm. Er entwickelt sich natürlich viel rascher als sein Brüderchen [Elmar, der im Vorjahr als Zwilling zwei Monate zu früh geboren wurde] und wird von Tag zu Tag lieber. Zwischen 5 und 6 Uhr bin ich im Dom bei einer Kriegsandacht. Es ist mein erster Kirchgang [nach der Geburt], mein heißes Dankgebet für alles unverdiente Glück. Tiefergriffen verlasse ich das Gotteshaus, kaum weiß ich, wie meine müden Glieder nach Hause finden. (…)

18. September: Das Regenwetter behagt dem kleinen Nussi gar nicht! Aber warum soll denn mein kleines Kriegskinderl nicht auch ein wenig weinen dürfen? Ich selbst bin so ernst gestimmt. Die Nachrichten über schwere Verwundungen lieber Freunde häufen sich. Da und dort reißt der unerbittliche Tod eine tiefe Lücke – – Trotzdem löst das „Gott erhalte“ und „Heil Dir im Siegeskranz“ [die preußische „Volkshymne“] die gleiche Begeisterung aus wie am ersten Tag.

21. September: Heribert scheint etwas von Elmars Geburtstagsfreude zu fühlen, denn zum ersten Male lacht er mehr und länger dem Brüderchen zu.

Sammlung Frauennachlässe NL 174
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert. Das Müttertagebuch von Maria E. liegt in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschrift vor.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 15: Tagebuch von Maria E., 5. bis 21. September 1914, SFN NL 174, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=18001