Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 30: ‚Müttertagebuch‘ von Maria E. für ihren 1914 geborenen Sohn „Nusserl“, 21. Februar bis 23. Mai 1915, Steiermark

NL 174 Handschrift Maria EDie junge Steirerin Maria E. (geb. 1890) war mit einem Juristen verheiratet und Mutter von zwei kleinen Buben. Wegen einer medizinischen Behandlung des Eineinhalb-Jährigen Sohnes Elmar („Bubi“) plante Maria E. im Winter 1915 einen mehrwöchigen Aufenthalt in Wien. Zur gleichen Zeit wurde ihr Ehemann Adolf E. in den Kriegsdienst eingezogen.

21. Februar [1915]: Adolf ist Soldat. Am letzten Sonntag vor seiner Abreise machen wir mit Nussi einen kleinen Spaziergang. Der kleine Bubi ist nicht schwer und hält sich schon wacker aufrecht, daher trage ich ihn diesmal, als Vorübung für Wien.

27. Februar: Dr. O. ist Mittags da. Nusserl [der 6monate alte Sohn Heribert] soll das erste Mal photographiert werden. Adolf, im Militärgewand, packt seine Sprößlinge. Heribert läßt vor Verwunderung seinen Mund offen und Elmar fährt ihm rasch mit seinem Fingerchen hinein! Auf das Bildl bin ich neugierig!

1. März: Der Papa segnet sein Jüngstes. Um 5 Uhr früh trägt ihn sein Zug nach Görz und zwei Tage später, Mittwoch, den 2. März: verlasse ich mein Nusserl und lege es der Mutter ans Herz, bei der es ja am besten aufgehoben ist. Um 12 Uhr mittags trägt mich und meinen Erstgeborenen der Zug nach Wien. Gott schütze dich einstweilen lieber Heribert. Mir stehen schwere Tage bevor! – – (…)

23. Mai: Heriberterl hat es wohl lange nimmer so gut als Elmarl. Er ist halt ein Kriegskinderl! Alles wird knapp, es gibt weder Zwieback noch /Bisgoten/ und die Kipferlzeit ist vorbei. Maisbrot und Mangel sind seine Nahrung. – Die Aussicht auf den Frieden schwindet täglich mehr. Unser Bundesgenosse Italien hat schmählichen Verrat geübt und uns den Krieg erklärt. – Aber einen Frieden hat uns der Krieg doch gebracht: die Versöhnung mit Adolfs Elternhaus [in Nordböhmen]! Ich bin voll Dank gegen Gott, der mein heißes Flehen erhört hat.

Sammlung Frauennachlässe NL 174
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert. Das Müttertagebuch von Maria E. liegt in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschrift vor.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 30: Tagebuch von Maria E., 21. Februar bis 23. Mai 1915, SFN NL 174, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=19912