CfA: Geschlechterpolitiken (Publikation: Peripherie); DL: 28.01.2010

PERIPHERIE. Zeitschrift für Politik und Ökonomie in der Dritten Welt
Deadline: 28.01.2010

Geschlechterverhältnisse stehen seit einiger Zeit explizit im Mittelpunkt gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Dabei dienen sie zum einen als Symbol für einen bestimmten Standpunkt in der Debatte um Entwicklung und Modernisierung von Gesellschaften des Südens; zum anderen sind sie selbst Gegenstand dieser Aushandlungsprozesse. Darüber hinaus adressieren Geschlechterpolitiken oftmals auch andere Formen gesellschaftlicher Unterdrückung und sind in spezifischen Machtfeldern verortet.

Die postkoloniale Kritik am westlichen Feminismus hat deutlich gemacht, dass Geschlechterverhältnisse häufig herangezogen werden, um die angebliche Überlegenheit westlicher Gesellschaftsformationen herauszustellen. Im entwicklungspolitischen Diskurs dient formale Gleichstellung als Indikator erfolgreicher Entwicklung; auf globaler politischer Ebene sind Geschlechterverhältnisse zum Marker von ökonomischen Wachstums- und Demokratisierungsprozessen geworden. Im Zuge dessen dient ihr Zustand auch als Rechtfertigung von Okkupation und Unterdrückung wie z:B. bei der Besetzung Afghanistans. Geschlechterverhältnisse spielen darüber hinaus eine zentrale Rolle in unterschiedlichen, sich häufig konfrontierenden Diskursen der Alterität, der Abgrenzung und der Inklusion und Exklusion. Sie sind zudem zentral in der Auseinandersetzung um nationale und kulturelle Zugehörigkeiten.

Frauen und Männer sind auf ganz unterschiedliche Weise in globale Veränderungsprozesse eingebunden. So werden Erfolge in der rechtlichen Gleichstellung von Frauen konstatiert; zudem sind in einigen Ländern des globalen Südens große Fortschritte beim Zugang von Mädchen und Frauen zu Bildungsinstitutionen zu verzeichnen. Frauen setzen geltende und konkurrierende Geschlechternormen ein, um sich Handlungsspielräume zu erschließen. Zugleich sind sie jedoch auch Teil bestehender Herrschaftsbeziehungen und Akteurinnen in Prozessen von Abgrenzung und Ausschließung. Gleichzeitig ist eine Feminisierung von Verantwortung zu beobachten, von der gerade ärmere Frauen betroffen sind. Diese geht häufig mit einer Rekonfiguration von Geschlechterarrangements einher, durch die insbesondere herkömmliche Männlichkeiten herausgefordert werden.

Das Thema der sozialen Konstruktion von männlichen Identitäten und Geschlechterrollen wird in der Forschung ebenso wie in zivilgesellschaftlichen Organisationen und in der Entwicklungszusammenarbeit zunehmend aufgegriffen, vor allem im Kontext der Debatten um Gewalt und Konfliktprävention sowie in Zusammenhang mit der HIV/AIDS-Pandemie. Männerarbeit und Maskulinitätstrainings haben eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse und männlicher Identitätskonzepte zum Ziel. Gleichermaßen wird aber auch in diesem Bereich an koloniale Geschlechterdiskurse und Geschlechterpolitiken angeknüpft, indem der „andere“ Mann zur Konstruktion der eigenen Emanzipation herangezogen wird.

In diesem umkämpften Terrain wird es zunehmend schwieriger zu definieren, was eigentlich feministische Theorie und Praxis bedeuten und wie eine feministische Praxis jenseits von Rassismus, Klassenherrschaft und Heteronormativität aussehen könnte. Sind FeministInnen vor allem in postkoloniale Strukturen verstrickt? Welche Gemeinsamkeiten gibt es jenseits von Klassenhierarchien und Kolonialismus?

Diese Debatte wird nicht nur zwischen weißen, westlichen, heterosexuellen Feministinnen und „anderen“ Frauen geführt, sondern auch innerhalb der Frauenbewegungen des Globalen Südens. Dies zeigt sich z.B. deutlich in der Auseinandersetzung der Vertreterinnen einer säkularen Frauenbewegung in muslimischen Gesellschaften mit dem seit den 1980er Jahren sich formierenden islamischen Feminismus. Die Debatte um die Gleichstellung der Geschlechter ist somit einerseits eng verknüpft mit dem Diskurs um Nationalismus und Kultur, andererseits aber auch Teil einer globalen Auseinandersetzung um „Entwicklung“, neoliberale Globalisierung und Demokratisierung.

Gleichermaßen sind Geschlechterpolitiken eingebettet in lokale Kontexte: Nationalismus, Globalisierung und „Entwicklung“ werden auf lokaler Ebene ausgehandelt. Auch auf dieser Ebene stehen Geschlechterverhältnisse im Mittelpunkt konkurrierender Modernisierungsmodelle. Aber auch bei der (Re)Konstruktion von Tradition und lokaler Zugehörigkeit wird darüber gestritten, wie die Beziehung der Geschlechter und innerhalb der Geschlechter aussehen sollte und was es bedeutet, „Mann“ bzw. „Frau“ zu sein. In diesem Kontext wird ganz besonders deutlich, wie sehr Geschlechterverhältnisse mit anderen Formen von Ungleichheit und Differenz wie Klasse, race, Alter und ethnischer Zugehörigkeit verknüpft sind.

Auf lokaler Ebene ist häufig eine Verschiebung der Machtkoordinaten in den Geschlechter- und Generationenverhältnissen zu beobachten. Hier werden Geschlechterverhältnisse häufig als besonders konfliktbeladen erlebt und der Wunsch nach einer Rückkehr zu „traditionellen“ Arrangements wird laut. Andererseits entstehen Chancen und Räume der Neuaushandlung von eigenständigeren Lebensentwürfen.

Für das geplante Heft zu Geschlechterrollen wünschen wir uns Beiträge mit Bezug zum Globalen Süden aus folgenden Themenbereichen:

  • Rekonfiguration von Geschlechterarrangements unter Globalisierungs- und Krisendruck
  • Lokalisierung globaler und nationaler Geschlechterpolitiken
  • Lokale Aneignung bzw. Abgrenzung von entwicklungspolitischen Geschlechterdiskursen
  • Neuaushandlung von Geschlechterarrangements in Demokratisierungsprozessen
  • Gender- und Identitätspolitiken
  • Rassismus und Geschlechterdiskurse
  • Gender und Nationalismus
  • Religiöse Erneuerungsbewegungen und Geschlechterpolitik
  • Generationenkonflikt und Geschlechterarrangements
  • Neuordnung von Geschlechterverhältnissen durch und nach gewaltförmigen Konflikten
  • Ethnisierung von Geschlechterpolitiken
  • Genderpolitiken in zivilgesellschaftlichen Organisationen

Redaktionsschluss: 28. 1. 2010

Kontakt:
Michael Korbmacher
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URL zur Zitation dieses Beitrages: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=11756

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