CfP: Mit Geschlecht, ohne Geschlecht. (Publikation: Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft); DL 30.09.2009

Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft 2011 (Band 7), Herausgeber_innen: Rita Casale und Edgar Forster

Mit Geschlecht, ohne Geschlecht. Der Geschlechterwiderspruch in den Theorien des Humankapitals

Deadline: 30.09.2009

Analysiert man die Argumentationsfiguren, die in den letzten Jahren zur Begründung und im Kontext international vergleichender Leistungstests sowie zur Legitimation bildungspolitischer Steuerungsmaßnahmen verwendet werden, gewinnt man den Eindruck, dass das Bildungssystem sowie die Erziehungsinstitutionen einem permanenten Reformdruck unterliegen. „Bildung als Investition“ oder „Aufstieg durch Bildung“ sind nicht nur als populistische Ausdrücke einer Dauerwahlkampagne zu deuten. Sie weisen eher auf ein organisches Entwicklungsmodell hin, das konform mit Analysen der Chicago School of Economics nicht mehr nur Investitionen in das materielle Kapital, sondern vor allem in das Humankapital für ökonomisch produktiv hält.
Für die pädagogische Geschlechterforschung ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Theorien des Humankapitals und mit von solchen Ansätzen inspirierter neoliberaler Politik vor allem auf Grund ihrer widersprüchlichen Geschlechtertheorie und Geschlechterpolitik von Bedeutung, die eng mit zentralen pädagogischen Fragen verknüpft sind. Bei den Analysen des Humankapitals im Anschluss an Theodore W. Schultz, Jacob Mincer und Gary S. Becker stellt das weibliche Geschlecht angesichts seiner Fortpflanzungsfähigkeit einerseits eine bedeutende Ressource dar: Der Gesundheitszustand der Frauen, der Bildungsgrad der Mütter und eine funktionierende häusliche Arbeitsteilung werden als entscheidende Indikatoren für die Qualitätsentwicklung einer Bevölkerung angesehen (vgl. z.B. O. Galor, K.S. Moe, D.N. Weil, L. Edlund, N.P. Lagerlöf).

Unter diesen Prämissen werden traditionell zur privaten Sphäre gehörende Bereiche wie die Früherziehung der Kinder oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einer öffentlichen Angelegenheit. Anderseits implizieren die Analysen der Vertreter der Chicago School, die sich auf Chancengleichheit und Wettbewerb auf dem Markt beziehen, eine Neutralisierung der Geschlechtskategorie: Das einzige legitime Kriterium, das soziale Ungleichheit in der Gesellschaft legitimieren dürfe, sei Leistung, gemessen mit einem „geschlechterneutralen Produktivitätstest“, wie Gary S. Becker und Guity N. Becker betonen.

Wenn der Gegensatz zwischen der Festschreibung und Naturalisierung des Geschlechts auf der einen Seite sowie Neutralisierung des Geschlechts auf der anderen Seite zuerst theoretischer Natur ist, sind dessen Folgen erst auf einer politischen und gesellschaftlichen Ebene feststellbar. Dazu zählen einerseits eine Reihe von politischen Maßnahmen in der Familienpolitik, die auf die Wiedergeburt der traditionellen Familienwerte gerichtet zu sein scheinen, anderseits gehören dazu unterschiedliche Interventionen zur Steigerung des Produktivitätspotentials und der Wettbewerbsfähigkeit von Frauen (und Männern), die die ganze Lebensspanne der Individuen – von der frühen Kindheit bis ins Alter – umfassen.

Im geplanten Band soll dieser scheinbare, aber augenfällige Widerspruch von Neokonservativismus und liberalem Individualismus, von der die aktuelle bildungspolitische und familienpolitische Debatte und Praxis geprägt ist, analysiert werden. Erwartet werden sowohl Beiträge, die sich mit der kritischen Rekonstruktion der Theorien des Humankapitals in Bezug auf den Geschlechterwiderspruch beschäftigen, als auch Beiträge, deren Gegenstand eine feministische Analyse der aktuellen europäischen Familien- und Erziehungspolitik und ihrer pädagogischen Konsequenzen ist.

Das Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft 2011 (Bd.7) wird 5 bis 8 Beiträge zu diesem Schwerpunkt enthalten und umfasst Aufsätze (bis 35.000 Zeichen) und Diskussions- bzw. Forschungsbeiträge (bis 20.000), die nach einem peer review-Verfahren ausgewählt werden. Erwünscht sind auch Tagungsberichte sowie Rezensionen oder Sammelrezensionen zu Veröffentlichungen aus unterschiedlichen Kontexten der pädagogischen Frauen- und Geschlechterforschung, die sich vorzugsweise, aber nicht ausschließlich mit dem Schwerpunkt dieses Bandes beschäftigen. Wir laden Sie herzlich ein, sich mit einem Beitrag an diesem Band zu beteiligen und bitten Sie, Ihr Exposé, das nicht mehr als 3000 Zeichen enthalten soll, bis spätestens 30. September 2009 an die Herausgeberin und den Herausgeber zu schicken. Die Einladung an die Autorinnen und Autoren erfolgt Ende November 2009. Die ausgearbeiteten Beiträge müssen bis zum 30. Juni 2010 einlangen. Der Band erscheint im Frühjahr 2011.

Rita Casale und Edgar Forster sind als Herausgeberin und Herausgeber für den Band verantwortlich. Kontakt: casale#uni-wuppertal.de, edgar.forster#sbg.ac.at

URL zur Zitation dieses Beitrages: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=11977

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