Nachdem sie sich mehrere Monate um eine Position im freiwilligen Kriegshilfsdienst bemüht hatte, erhielt die 20jährige Wiener Bürgerstochter Bernhardine Alma (geb. 1895) im Februar 1915 ihre erste Stelle. Ihre – unentgeltliche – Aufgabe war es, Listen mit Namen von gefangenen Soldaten abzuschreiben, wozu sie an fünf Nachmittagen in der Woche eingeteilt war.
26. II. 1915. Freitag, abends.
Mir ist nicht gut. (…) Heute bekam ich eine Karte von der Anmeldestelle des R.K., weshalb ich Nachmittags in die Tuchlauben 7 ging, mit Fritz u. Marius [dem kleinen Bruder, geb. 1902], die aber unten warteten. Der eine Herr, der mir schon damals dort auffiel u. G. oder S. heißt, war wieder da und ziemlich nett. Dann kam die Frl. v. B., die sehr liebenswürdig war. Sie ist nicht mehr jung, war aber mit mir sehr lieb. Sie führte mich in ihr Appartement, wobei sie mir den Vortritt ließ. Und gab mir eine Karte an den Sektionschef von H. als ich zusagte, bei der Gefangen-Korrespondenz helfen zu wollen. Sie ließ telefonieren, ob der Sektionschef zu sprechen sei, und ersuchte mich dann um diesbezügliche Nachricht. Ich ging also ins Rote Kreuz in der Landskrongasse 1, III Stock. Zwei Beamte sagten natürlich „Küßdiehand“ (ich glaube, alle beide) waren aber sonst sehr dummsinnig. Dann wurde ich zum Sektionschef geführt; dieser war überaus liebenswürdig, außer Mittwoch u. Sonntag gehe ich alle Nachmittage von 3–6 vorläufig hin; morgen fange ich an, er schien schon heute zu wollen; aber das ging noch nicht von mir aus. – Jetzt bin ich doch erst wieder zu dieser Gefangenen-Korrespondenz gekommen, aber ohne Cora [die älteste Schwester, geb. 1890]. – Morgen fange ich an. Wie es sein wird?
Ich bin sehr froh, daß ich nun doch bei dem Krieg helfen kann. Das ist mir dabei die Hauptsache. Sonst lege ich darauf weniger Wert, ich bin nur froh, daß es ohne Cora ist. – Damals stand schon, daß es überkomplett ist, scheinbar braucht man also auch dazu Protektion, ist auch das für Damen vom Roten Kreuz reserviert. – Wenigstens kann ich irgendwie helfen. – Heute war ich bei der hl. Communion und ich glaube daran. – Ich freue mich schon aufs Schlafengehen – aufs Träumen! – – Nun kann ich nicht mehr Pflegerin werden! – Wie es morgen sein wird? – Die Leute auf der Straße sind sehr, sehr dumm! Wann wird Friede sein? –
Samstag, abends. 27. Februar 1915.
Eigentlich wollte ich zu Verwundeten, woraus einstweilen nichts werden wird. Heute nach der Jause (nachdem ich sie gerichtet habe, denn selber jausnen tu ich nur manchmal) ging ich also in die Landskrongasse. Am Weg traf ich den Baron R., der mich sehr nett grüßte. Dort beim R.K. kam ich, als erst wenige waren. Eine Dame fragte, ob ich neu sei und daß ich zu ihr kommen solle. Wie sie heißt, weiß ich zwar noch nicht, aber ich arbeite vorläufig bei ihr. Ich habe Gefangenenlisten abzuschreiben, die österr. Gefangenen in Serbien nämlich, und zwar dreimal, dann kommen die 3 Karten resp. 30 Karten zusammen und ich schreibe, daß ich’s geschrieben habe. Heute schrieb ich 3 Listen ab, d.h. 90 Karten. Die Dame war ziemlich nett. Neu war auch ein Geistlicher; dann hustete ich nach Hause, und kam noch zum Betten machen, Nachtmahl herrichten zurecht. Die Leute auf der Straße sind oft sehr dumm. – Ich bin sehr froh, daß ich nun für den Krieg auch etwas tun kann, daß ich helfen kann. So habe ich aber daneben getroffen. Nun, ich werde ja sehen, wie es kommen wird. Erst wollte mich heute die nun eingetretene Beschränkung meiner Zeit ohne besondere Ursache (ohne zu pflegen) irritieren. Aber nun, wo ich es näher kenne, weiß ich auch, daß ich mich mitunter entschuldigen werden können. – Was ich Montag herein schreiben werde? – Mama hat die vornehme Ader bekommen und sagte, eine Köchin und ein Mädel nehmen zu wollen. Ob ich mich mit dieser Köchin vertragen würde? Mir ist nicht ganz wohl. – Ich will Verschiedenes so sehr! – Einmal Theater – spielen! Was wird im März sich ereignen? –
(…)
1. März 1915. Abends.
(…) Heute war ich wieder in der Landskrongasse (die Listen sind vom serbischen Roten Kreuz ausgestellt). Ich habe 4 Listen abgeschrieben u. 2 abgeschriebene revidiert. Dann hustete ich nach Hause, wo verschiedenes zu tun war – natürlich! – (…)
10. März 1915. abends.
Ich habe gestern nicht herein geschrieben, daß ich gestern, als ich in den Konsum [ein Geschäftslokal des Konsumvereins] ging, den Brief an den Dr. Paul T. auf[gab]. Ich bat ihn darin, meine Novelle zu lesen und mir eine Zeit, wann ich sie ihm bringen könne oder dürfe zu bestimmen, da ich beim R.K. sei und mich erst frei nehmen müßte. [Bernhardine Alma betätigte sich, wie auch ihr Vater, literarisch und veröffentlichte auch schon als junge Frau zahlreiche Texte.] –
Ich möchte mir eine Rote Kreuz Brosche kaufen. – Das Wetter ist kalt und stürmisch. Die armen, armen kleinen Soldaten im Feld! – Der Wehrmann am Schwarzenbergplatz [eine Propaganda-Aktion, für die Nägel gekauft werden konnten] ist herzig. Der Papa sagte, mir die K für einen Nagel zu zahlen. Heute war ich mit Marie [der Hausangestellten] im Konsum. Ich will zur Bühne! – Shaws Kleopatra will einen Mann mit „runden, starken Armen“. Das ist kindisch ausgedrückt (sie ist ja als Kind dargestellt!) aber es liegt der Wunsch der Frau nach Kraft und Stärke des Mannes drinnen. Ich zum Beispiel würde gerne, sehr, sehr, sehr, sehr gerne Verwundete pflegen, voll Liebe und Hingabe. Aber wenn ich heirate, will ich nicht pflegen – will ich mich eher verzärteln lassen – und könnte einen Mann, einen wie er mir gefällt, einen, den ich überhaupt gerne habe, unsagbar lieben. – Das Wetter ist so, daß man Sehnsucht nach süßem Geborgensein hat! – Und doch geht es mir eigentlich gut. Ich habe zwar viel, sehr, sehr viel zu tun – aber das zeigt mir gerade, daß mein Leben auch Wert hat. „Was ist denn dein? Der Preis, den meine Wirksamkeit erfüllt.“
Sammlung Frauennachlässe NL 09
Nächster Eintrag aus dem Tagebuch von Bernhardine Alma am 17. April 2015
Voriger Eintrag aus dem Tagebuch von Bernhardine Alma am 6. Februar 2015
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- Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.
Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 31, Tagebuch von Bernhardine Alma, Datum, SFN NL 09, unter: URL