Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 39: Tagebuch von Bernhardine Alma, 17. bis 25. April 1915, Wien

NL 09 Alma Bernhardine 1915 04 17Die Wienerin Bernhardine Alma (geb. 1895) war seit Februar 1915 im Kriegshilfsdienst tätig. Ihre unentgeltliche Aufgabe bestand darin, an fünf Nachmittagen pro Woche Schreibarbeiten für das Rote Kreuz zu erledigen. Dabei hat sie Listen abgeschrieben mit den Namen von toten Soldaten oder von Kriegsgefangenen. Seit Frühling 1915 besuchte sie zudem Soldaten in Wiener Spitälern, um ihnen Gesellschaft zu leisten. Dabei brachte Bernhardine Alma Kleinigkeiten zu Essen mit, die sie oder ihre Eltern selbst bezahlt haben. Und sie wurde mit direkten Berichten von Kampfhandlungen und körperlicher Versehrtheit konfrontiert. Auch werden im Eintrag Vorurteile angedeutet, die offenbar über Frauen im Front-Pflegedienst kursierten.

17. April 1915. Samstag, abends.
Das Wetter hat sich gebessert. In der Presse stand viel vom Frieden. Es ist, als sollte er jetzt wirklich bald kommen! Ach, wie herrlich das wäre! – Vielleicht schenkt uns Gott bald, bald einen Frieden. Heute habe ich mir die Bäckerei für die Soldaten gemacht. (4 Eier, 14 dkg Zucker, 16 od. 17 dkg Maismehl.) Ich möchte schon wieder das Spitalgehen vorüber haben, finde aber notwendig, daß ich hingehe. Vielleicht ist es recht nett morgen. – Nächste Woche gehe ich wieder beichten und kommunizieren, ich habe schon wieder den Drang. – Heute habe ich eine russische Liste geschrieben, die gehen ziemlich schwer. Heute holte ich u.a. vom Donau Konsum [Geschäftslokal des Konsumvereins] Orangen, die mir Mama mitgibt, ins Spital. Der junge C. scheint mich zu lieben. – Mit tun auch die leidenden Feinde so sehr leid! – Ach, wenn bald Frieden wäre! Wie herrlich das sein würde! – Sigrid [die ältere Schwester, geb. 1891] hat von Dr. C. für sich und mich Karten für eine Schülervorstellung einer Schauspielschule bekommen. Innerlich möchte ich ja gerne, wegen Äußerem aber nicht. Ich werde ja sehen, ob wir gehen werden. Ich möchte so sehr gerne zur Bühne! – Die Baronin war heute nicht im R.K. [Roten Kreuz], weil ihr Kleiner zur ersten Beichte geht. – Was werde ich morgen herein schreiben? Was diesen Monat Überhaupt noch? – Vielleicht ist bald Friede! –

18. April 1915. Abends. Sonntag.
Auf der drüben Seite habe ich eine Fotografie und ein Stückerl Papier gegeben, darauf hat ein Soldat aus dem Spital seinen Namen /schrieb/. Warum ich’s nur aufhebe – noch dazu im Tagebuch? – Weil es das Autogramm eines Helden ist, so leiden und kämpfen Heldenmut bedeutet – er ist ein Held, von dem man nicht schreiben wird, den man nicht nennen wird und der doch sein Alles fürs Vaterland hinzugeben bereit gewesen. –

Sollte mein Glück mich doch noch eine große Schauspielerin werden lassen, deren Namen mit hinaus dringt, deren Autogramme verlangt werden, dann soll mich dieses Autogramm helfen, mich nicht über mich selbst zu erheben. Hoffentlich ist bald Friede! Darin begegnen sich die Wünsche aller (auch der Papas?). Heute war ich im Hochamt. Heute schien die Sonne entzückend. Mamas Onkel Rudolf war heute da.

Heute ging ich ins Spital; ich hatte meine Bäckerei in 6 sehr nette Schnitten und 10 Orangen mit. Vor dem Spital redete mich eine ältere Frau an, ob sie hier recht sei; sie zeigte mir die Karte ihres Sohnes im Spital, den sie besuchen wollte. Also führte ich sie hin und als sie mir von ihrem armen Sohn erzählte, gab ich ein Stück Bäckerei, daß sie diesem bringen sollte, was sie erfreut annahm. Dann gab ich einem Soldaten ein Stück und redete mit ihm. Er ist Ungar, heißt Stefan M. und ist ganz alleinstehend. Es war in den Karpathen, erzählte von dem, was die armen Helden damit gemacht haben (die Russen haben Dum-Dum Geschosse!) von der Kälte, dem Schnee, in dem manche erstickt sind, von all den Schrecknissen des Krieges.

Ach, was er alles erzählte, auch, wie ein böhmisches Regiment gestreikt hat. Na, und dann hab ich ihn eingeladen, und er nahm gar so an – er kommt Dienstag um 2 Uhr! – Ich bin neugierig, ob er kommen wird. Er schreib mir seinen Namen, ich ihm die Adresse auf, wobei ich ihm mein Packel zu halten gab. (Zwei Orangen gab ich ihm auch, die er sehr gerne hat.) Vorübergehenden Verwundete gab ich auch Bäckerei und dann (die Besten waren fast alle im Vorraum leer) gab ich bei den Nachtkastelladen bei denselben (die Soldaten dazu kommen später!) ja 2 Orangen, wobei mir der M. (er geht schon, aber schwer, mit steifem Bein) half, was sehr nett war. Und dann ging ich.

Beim Zimmer 2 sah einer – glaub ich – so heraus, daß ich hinein ging u. ihm das letzte Stück Bäckerei gab. Außer ihm war nur einer da (es waren Schwerkranke). Ich redete aber nur mit dem Einen. Er ist ein Steirer, 21 Jahre und viel hübscher als auf dem Bild, er hat nämlich ein frisches, junges Gesicht, ein liebes Lachen und auch einen Dum-Dum Schuß. Er zeigte mir auch das Dum-Dum Geschoß, das ihm aus dem Fuß geschnitten wurde, noch 2 andere Kugeln, Fotografien und Ähnliches, die eine gab er mir eben. Er erzählte auch riesig viel, von den Schützengräben, den Angriffen, den Verrat der galizischen Bevölkerung, den deutschen [.], von sich, von einem im Krieg erblindeten Russen, von unsren lieben Soldaten und Ähnliches mehr. –

Ich versprach ihm, Sonntag wieder zu kommen und ihm mitzubringen, was ihn beides zu freuen schien. Diese armen, wunden Helden sind froh, wenn sie erzählen dürfen, wenn man ihnen zuhört! Wie sie dankbar sind, wie bescheiden – und sanft! Und diese haben die Schrecknisse des Krieges mitgemacht, die da wie Kinder zu behandeln sind. Man muß in ihnen den Schöpfergeist Gottes bewundern und anbeten. Es ist, als hätte ihnen ein mildes Schicksal […] zu trinken gegeben. Oh, wenn ich nur viel für die armen, kleinen Soldaten zu könnte! – –

Der neue Harald [?] ist diesmal wirklich reizend! Papas Oper wird hinreißend werden, wenn es je so weit kommt. Was wird sich diesen Monat noch ereignen? – Wenn nur der Krieg zwischen Amerika u. Japan für uns Frieden bedeuten würde. Aber dann soll einmal auf der ganzen Welt Friede sein! –

(…)

25. April 1915. Rosemar, abends.
(…) Ich hoffe, auf einen bald – bald – baldigen Frieden. Heute war ich im Spital, der M. grüßte mich an, ehe ich ihn sah – so redete ich mit ihm und kommt er morgen wieder. Was kann man machen? Ich gab ihm ein Stück Mohntorte, die ich gestern für heute gemacht, und Zigaretten, die gab ich auch vorübergehenden Verwundeten und zwei schon uniformierten Soldaten, die bald wieder fort müssen und beim M. waren, weshalb ich auch mit diesen sprach. Als sie gingen, salutierten sie so stramm vor mir, als ob ich ein Offizier wäre. Ich gab ihnen aber die Hand. – Dem M. gab ich dann noch Zigaretten (im Spital waren […] für Kranke die fortgebracht werden sollten, ich habe aber gar keine Angst vor irgendwelchen Ansteckung!) dann ging ich zum S.. Der ist wirklich herzig. Ich gab ihm Zigaretten und Wein; als ich ihm sein Wasserglas ausleerte am Gang, aß der M. glaub‘ ich – gerade die Torte. Dann schenkte ich dem kleinen S. ein und half ihm. Er hat so eine herzige Art zu danken. – was Papa sagen möchte, wenn er sehe, wenn ich die Soldaten zudecke, die Wunde besehe etz. – Mir gefällt, wie stramm die zwei heute salutierten. –

Es sollen 700 Pflegerinnen zurückgeschickt worden sein, weil sie frohen Ereignissen entgegen sehen. Das sind Pflegerinnen! – Wenn nur Frieden wäre! – Mamas Onkel Rudolf war heute da! –

Sammlung Frauennachlässe NL 09
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  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 39, Tagebuch von Bernhardine Alma, Datum, SFN NL 09, unter: URL