Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 89: Tagebuch von Bernhardine Alma, 21. bis 29. November 1916, Wien

1916 11 22Die 21jährige Wienerin Bernhardine Alma (geb. 1895) ging keiner Erwerbsarbeit nach. Sie war in die Führung des gutbürgerlichen Familienhaushalts eingebunden, seit 1915 war sie zudem stark im unbezahlten Kriegshilfsdienst engagiert. Von 1908 bis 1979 führte sie ihr Tagebuch, das schließlich 47 Bänden umfasste, die geschätzt 25.000 Einträge enthalten. Im Spätherbst 1916 war darin auch der Tod von Kaiser Franz Joseph I. am 21. November 1916 ein Thema. Den Eintrag am nächsten Tag, als sie davon erfahren haben dürfte, hat Bernhardine Alma als ein Gedicht gestaltet, das auch ihre insgesamt ambivalente Haltung zum Krieg ausdrückt.

21./ XI. abends Dienstag
Gott erbarme sich meiner! – Heute zahlte ich die Kohlen am Nordbahnhof; es ging tadellos. Vom R.K. [Roten Kreuz, wo sie an mehreren Tagen in der Woche Schreibarbeiten im Kriegshilfsdienst versah] war ich in der O. F. Trafik [Tabakwarenhandlung von „Onkel Franz“, wo sie zumeist Tabak und Zigaretten kaufe, die sie dann an Soldaten verteilte, die sie in Krankenhäusern besuchte]. Am Weg begleitete ich den P., der sehr nett grüßte, aber wir redeten nichts, weil Mariusl [der 14jährige Bruder der Schreiberin] mit mir ging wahrscheinlich. – – Im R.K. war es öd. (…)

22./XI. abends.
Und wie des Reiches Herrlichkeit – Rings hat erregt der Feinde Neid – Da hast du alles geprüft und erwogen – Und zuletzt noch das Schwert für uns gezogen … Du hast Für uns geschlagen den blutigen Krieg – Und hast uns geführt von Sieg zu Sieg. – Und nun du so viel für uns getan – Wie ein Fürst für sein Reich nur irgend kann – Da mußstest Du wohl zu Gott Vater gehen, für uns den Frieden zu erflehen?!

23./XI. abends. Donnerstag.
Mir tut es um den alten, lieben Kaiser mehr leid als ich dachte. Man kann’s wirklich nicht recht glauben, daß er wirklich tot ist. Es ist, als hätte er gar nicht sterben dürfen. Dabei ist mir der Carl I [Karl I., Nachfolger von Franz Joseph I.] sehr wenig sympathisch und die dazugehörige Zita [Ehefrau von Karl I.] direkt unsympathisch. – – Im R.K. gestern war erst der Dr L., dann der Hr H. sehr nett. Die Minna hat mir wieder Klee gegeben [?]. – Heute Vormittag war ich in der St. E. G. [vermutlich eine bestimmte Kirche], kam aber noch zeitlich genug zurück, um in der Küche zu helfen etz. – Heute im R.K. (ich gehe jetzt immer zeitlicher fort) war der H. wieder sehr nett. Er sagte mir, daß ich ihn „Herr H.“ und nicht „Herr Vorstand“ sagen solle, wie ich ihn absichtlich nannte. Und auf einmal sah er mich sehr nett an. – Wenn nur der Krieg schon ein Ende hätte! – – Ich hoffe noch immer auf eine süße Nachricht [vermutlich von Jaro G., dem Verehrer der Schreiberin, den sie im Rahmen von organisierten Spitalsbesuchen kennengelernt hat]. – D.W.g. [Dein Wille geschehe]!

24. November 1916. abends.
Wenn nur der Krieg schon aus wäre! Um den alten, echten Kaiser ist mir riesig leid! Ich möchte so gerne zu einem Arzt!!!! [Seit mehreren Wochen hegte Bernhardine Alma den Plan, sich von einem Psychologen untersuchen zu lassen] – – – – Heute war ich nicht im R.K., dafür viel fort. Ich habe zuhause sehr viel zu tun. Was ist heute in einem Monat? – Außer, daß Weihnachten ist? Wann wird der J.G. [Jaro G.] schreiben? Ich möchte zu einem Arzt!!!!!!!! Gott, erbarme dich unser! –

25./XI. abends. Samstag.
Es ist ein eigenartiges Gefühl, durch die dunklen Straßen von Wien zu gehen, das um seinen Kaiser träumt. Ich glaube, um diesen alten, lieben echten Kaiser ist Trauer wirklich. Ich kannte ihn doch gar – und mir ist doch leid! – Ich warte von Tag zu Tag auf eine liebe Nachricht [von Jaro G.], die nicht kommt. – Er kann es also so lange ohne mich aushalten! Vor einem Jahr wußte ich nicht, wie bald ich von ihm Nachricht bekommen würde – wie wird es diesmal sein? – – – – – – Heute nach dem R.K. war ich bei meinem Samstag-Geistlichen in der Stefanskirche [Bischofssitz und Wahrzeichen Wiens] beichten. Mir ist nicht ganz gut. (…)

27./ XI. 16 abends
Heute nach dem R.K. war ich in der Stefanskirche, was sehr gut war. Die Kirche ist teilweise mit schwarzen Tüchern sehr schön und traurig hergerichtet. Ich bin heute im Inneren etwas ruhiger, ich danke Gott sehr, sehr für jeden lichten Augenblick. – (…)

28./ XI. abends Dienstag
Mir ist um den Kaiser wirklich riesig leid! Vielleicht wird nun doch bald Friede! Ich will zu einem Arzt!!!!! – – Ich freue mich aufs Schlafen und Träumen. – Heute war die Tante Lilly da. Was heute in 1 Monat sein wird?
D.W.g.! –

29. / XI 16 abends
„Wir waren’s immer so gewöhnt,
Daß uns das Alter führte
Und das mit höchster Macht gekrönt
Ein weißes Haupt regierte!“
Mir ist wirklich so leid um den Kaiser! – Heute war ich in der St. E. G. und ziemlich bald zurück. Dann holte ich Mehl in der Donau [?]. – Mama verwöhnt mich direkt. – Vorm R.K. war ich bei den Eltern im Cafe [Lydia und Maxemilian Alma besuchten mit ihren Kindern regelmäßig Wiener Kaffeehäuser], wo sehr gute Schokolade war. Im R.K. bekam ich vom Hauptmann einen Passierschein für morgen [vermutlich zur Teilnahme an einem Teil des Begräbnis‘ von Kaiser Franz Joseph I.]. Es bekamen nur sehr wenige. Ich weiß aber noch nicht, ob ich gehen werde. – Ich will zu einem Arzt!!!!!!!!!! – – – – – Wann werde ich etwas Schönes und Liebes herein schreiben? –

Sammlung Frauennachlässe NL 09
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, „… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!“ Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 89, Tagebuch von Bernhardine Alma, Datum, SFN NL 09, unter: URL