Das Tagebuch von Anna H. (geb. 1903) umfasst Einträge aus dem Zeitraum von Oktober 1916 bis November 1917. Sie besuchte zu der Zeit eine private Klosterschule in Graz, die Eltern betrieben eine Gastwirtschaft. In ihren Aufzeichnungen hielt die 14-Jährige zumeist kriegsbezogene Ereignisse fest, die in patriotischen Formulierungen wiedergegeben sind. In der Form ist auch die Schilderung des Kriegseintritts der USA gehalten. An die Informationen dürfte die Schülerin in Zeitungen oder über das ‚Hören-Sagen‘ gekommen sein. Entsprechend benannte sie auch eine zu erwartende Kriegsbeteiligung von China oder schilderte eine Episode, in der Kaiser Karl sich für eine bessere Verpflegung der Soldaten eingesetzt haben soll.
20. April.
Jetzt zählen unsere Stunde Uhren um eine Stunde zu weit vorne. Wir haben nämlich jetzt, das heißt heuer, aber auch voriges Jahr, eine „Sommerzeit“. D.h. in d. Nacht vom „Weißen Sonntag“ [Sonntag nach Ostern] auf den Montag, also heuer v. 15. April auf d. 16. April sind um 2 h früh alle öffentlichen Uhren Österreichs um eine Stunde vorgeschoben, also um 2 h auf 3 h vorgeschoben worden. Da nun alles Zei sich nach d. öffentlichen Uhren sich richtet, so sind wir aber um eine Stunde d. gewöhnlichen Zeit voran. Dies hat d. Zweck, das Petroleum [Brennstoff für Lampen] zu sparen. Nämlich um ½ 6 h ist es jetzt schon licht, um 9 h wird es finster. Also bei mäßiger Zt. erspart man Petroleum. Voriges Jahr wurde in Wien allein eine richtige Menge Petroleum erspart. Nun wurde vorig. Jahr zw. auch i. d. Nacht vom „Weißen Sonntag“ auf d. Montag, die Uhren um 1 h auf 2 h verschoben. Das aber war voriges Jahr d. Nacht vom 30. April auf d. 1. Mai.
23. April.
Nun haben uns, d.h. Deutschland, die Herrn Amerikaner mit Präsident Wilson an d. Spitze, freundlichst d. Gnade gehabt, Krieg zu erklären. Jawohl! Und China beabsichtigt, das Gleiche zu tun. Aber dieses geniert [stört] uns sehr wenig. Aber d. Franzosen hatten eine große Schlacht mit d. Deutschen. Und zwar haben die Schlachten an d. Aisne [Fluss im Norden Frankreichs] stattgefunden. Deutschland hatte große Verluste an Menschen. Auch mußte es eine Strecke zurückgehen. Aber es kam zu keiner Durchbruchsschlacht. Hindenburg [deutscher Generalfeldmarschall] lässt dies ruhig geschehen. Man meint, Hindenburg schmiede Pläne, um Italien anzugreifen und dort eine entscheidente Schlacht herbeizuführen.
24. April.
Unser Kaiser und unsere Kaiserin haben im Stefansdom [Hauptkirche Wiens] in Wien ein Gelöbnis abgelegt und zwar im Namen d. ganzen Volkes. W Das Gelöbnis wurde vor dem Altar „unserer lieben Frau vom Siege“ [eine spezielle Anrufung der Heiligen Maria] gemacht. Und zwar lautete dies folge[nder]rmaßen: Sobald der glorreiche Friede Österreichs mit seinen Feinden zustande kommt, (sin) wird das österreichische Herrscherpaar in Verein mit dem österreichischen Volke eine Friedenskirche erbauen und zwar in Wien. Auch soll daselbst jedes Jahr zu Allerseelen ein feierlicher Gottesdienst für die gefallenen Krieger Österreichs stattfinden. Dieses geloben Herrscherpaar und Volk Österreichs.
Unser Kaiser sorgt auch liebevoll für seine Mannschaft. Dieses zeigt folgendes Geschichtchen, welches sich wirklich zugetragen hat: Einmal fuhr Kaiser Karl in einem gewöhnlichen Wagen [Zugswaggon] nach Baden [Kleinstadt nahe von Wien]. In diesem Wagen saßen auch mehrere Landsturmleute [Wehrpflichtige ohne militärische Ausbildung]. Einer dieser klagte über das schlechte Komißbrot [haltbares Brot]. Da sagte der Kaiser, der Soldat solle ihm ein Stückchen zu kosten geben. Der Soldat glaubte, d. Kaiser sei ein gewöhnlicher Offizier, da dieser bloß einen grauen Feldmantel anhatte. D. Soldat gab d. vermeintlicher Offizier auch ein Stückchen zu kosten. Der Kaiser, ganz betroffen über d. schlechte Brot, fragte d. Landstürmler, ob er ihm nicht d. Brot geben wolle, er gebe ihm dafür Geld. Der Soldat willigte ein, und sie tauschten. Der Kaiser nahm d. Brot, stieg in Baden aus ging zur dortigen Militär-Menage-Verwaltung [Zuständigkeit für die Versorgung]. Er fragte, wie es mit d. Brot gehe? Er wurde natürlich nicht erkannt. Ihm wurde geantwortet, daß das Brot ganz vorzüglich sei. Er zeigte d. Brot vor, und gab sich zu erkennen. Natürlich waren diese ganz verwirrt und wußten nicht, was sie tun sollten. Aber gleich darauf bekamen d. Soldaten besseres Brot.
Sammlung Frauennachlässe NL 53
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- Zum Tagebuch von Anna H. siehe auch: Petra Putz, „Die heldenmutigen Truppen kämpfen siegreich an allen Fronten …“ Die Wirkung der Propaganda im Ersten Weltkrieg am Beispiel des Mädchentagebuchs von Anna H. (1916/17), Wien, Diplomarbeit, 2008.
Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 101, Tagebuch von Anna H., Datum, SFN NL 53, unter: URL