Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 95: ‚Müttertagebuch‘ von Maria E. für ihren 1914 geborenen Sohn „Nusserl“, 7. bis 24. Februar 1917, Steiermark

NL 174 Handschrift Maria EDie Steirerin Maria E. (geb. 1890) hatte eine Ausbildung zur Lehrerin und Klavierlehrerin absolviert. Seit 1913 war sie mit dem Juristen Adolf E. verheiratet, der seit Anfang 1915 zum Kriegsdienst eingezogen war. Im Winter 1916/17 hielt er sich dabei in Graz auf. Das junge Ehepaar hatte drei zwischen 1913 und 1915 geborene Kinder. Das vierte wurde für Juni 1917 erwartete. Maria E. hat für alle ihre Kinder ein „Müttertagebuch“ geführt. Jenes für den 1914 geborenen Heribert, genannt „Nusserl“, liegt in der Sammlung Frauennachlässe als PC-Abschrift vor. Darin dokumentierte sie u.a. auch, wie selbstverständlich ihre kleinen Kinder mit soldatischen Insignien umgegangen sind.

7. Februar [1917]: Um die Mittagszeit stellen sich die Kinder immer ins Fenster der Balustrade des schönen Zimmers und rufen nach dem Papa. Nusserl [2,5 Jahre alt] tut es allen zuvor. Mit unermüdlichem Eifer geht es: „Papa komm! Papa komm!“ Die Freude, wenn sie ihn dann um die Ecke biegen sehen!
Weil heute ein herrliches Frühlingswetter ist, darf Heribert dem Papa entgegeneilen. Das gefällt ihm noch besser und so bald er die Uniform auftauchen sieht, reißt er sich ungestüm von mir los und jauchzt mit jubelnder Stimme: „Der Papa kommt! – Papa! Papa!“ umarmt er ihn. – Adolf schmeichelt den Kindern mit seinen Ehrenbissen [vermutlich kleine Bissen oder Naschereien von dem, was der Vaters zu sich nahm]. Ich bin vielleicht zu streng. Doch fürchte ich, damit die angeborene Genäschigkeit noch größer zu ziehn, wenn sie von allem zu kosten kriegen. Bei mir gibt es keine Ehrenbissen.

14. Februar: Für 2½ Jahre wiegt Nusserl nicht viel. Bloß 11 kg. Größe 85 cm. Er ist ein zartes schlankes Buberl. – Übrigens liebt er alle Soldaten und ist ganz glücklich über Adolfs Beförderung zum Feldwebel. Immer wieder fragt er: „Papa hast du noch den Stern? – Ich habe meinen noch!“ Heribert steckt sich nämlich alle alten Sterne auf sein Röckl und zeigt sie jedem in Stolz und Freude.

24. Februar: Ich habe Dr. O.s Kanarienvogel in Pflege. Nussi hat ihn gern und ist voll Verwunderung, daß das Tierlein beim Baden nicht „schreit“.

Sammlung Frauennachlässe NL 174
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert. Das Müttertagebuch von Maria E. liegt in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschrift vor.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 95, Tagebuch von Maria E., 7. bis 24. Februar 1917, SFN NL 174, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=28972#more-28972