Veranstaltungsreihe: Antisemitismus & Geschlecht, SoSe 2017, Wien

17190595_1455487674492621_3801205026278468901_nVeranstaltungsreihe der Fakultätsvertretung Geisteswissenschaften (Link)
Beginn jeweils um 19.00 Uhr
Beschreibungen der einzelnen Veranstaltungen weiter unten

  • 6. April 2017; Café Stein, Währinger Straße 6-8, 1090 Wien: Vortrag von Ljiljana Radonic: Psychoanalyse als kritische Theorie der Gesellschaft
  • 7. April 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude: Vortrag von Tjark Kunstreich: Freud, Identität und Geschlecht
  •  14. April 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude in Kooperation mit Boycott Anti-Semitism (Link): Vortrag von Frederik Schindler: Zu „Pinkwashing“ und „queer-powered BDS“
  • 21. April 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude: Podiumsdiskussion mit Lena und Sama Maani: Podium: Warum wir über den Islam reden sollten
  • 28. April 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude: Vortrag von Sama Maani: Identität als Ideologie – Warum wir glauben und es nicht wissen
  • 5. Mai 2017; Raum 1001, Sigmund-Freud-Universität, Freudplatz 2, 1020 Wien: Vortrag mit Marcus Brunner: Antisemitismus und männliche Subjektkonstitution
  • 12. Mai 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude: Vortrag von Yasemin Makineci: Die Vernichterin – Zum Geschlechterverhältnis des Selbstmordattentates
  • 19. Mai 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude: Vortrag von Karin Stögner: Natur als Ideologie – Intersektionen von Antisemitismus und Sexismus
  • 25. Mai 2017; Café Stein, Währinger Straße 6-8, 1090 Wien: Podiumsdiskussion mit Ljiljana Radonic und Andrea Trumann: Antisemitische Mütter – Anti-zionistische Töchter?

Beschreibungen der Veranstaltungen
6. April 2017; Café Stein, Währinger Straße 6-8, 1090 Wien

  • Vortrag von Ljiljana Radonic: Psychoanalyse als kritische Theorie der Gesellschaft

In den 1930er Jahren drängte sich den Kritischen Theoretikern die Frage auf, warum, trotz objektiver Möglichkeit die befreite Gesellschaft sich nicht einstellen wollte, ja ganz im Gegenteil sich die Massen dem Nationalsozialismus zuwandten. Die Suche nach dem über ökonomische Interessen hinausgehenden Kitt der Gesellschaft führte Horkheimer, Adorno und Marcuse zur Psychoanalyse. Die Kritische Theorie Adornos und Horkheimers wäre deshalb nicht nur ohne die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie, sondern auch ohne die Freudsche Psychoanalyse undenkbar. Freud lieferte mit Begriffen wie Verdrängung, Unbewusstes, narzisstische Kränkung und Projektion zentrale Kategorien für Gesellschaftstheorie im Allgemeinen und Antisemitismustheorie im Besonderen. Doch warum ziehen seitdem Versuche einer Revision der Theorie ihren gesellschaftskritischen Stachel? Wie lässt sich angesichts feministischer Kritik der Freudschen Weiblichkeitstheorie an der Psychoanalyse festhalten? Und welche geschlechtsspezifischen psychologischen Bedürfnisse erfüllt Antisemitismus?
 

  • 7. April 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude

Vortrag von Tjark Kunstreich: Freud, Identität und Geschlecht

Gilmans 1993 auf Amerikanisch als »Freud, Race, and Gender« erschienene Untersuchung über den Einfluss der zeitgenössischen Rassetheorien auf Freuds Denken und die Entdeckung der Psychoanalyse gilt als der gendertheoretischer Klassiker zur Frage von Maskulinität und Antisemitismus. Sehr genau arbeitet Gilman heraus, wie dem gegen den jüdischen Mann gerichteten Vorurteil die Misogynie innewohnt, etwa in der Vorstellung des beschnittenen Penis als Klitoris oder der mit der Ritualmordlegende verbundene Idee von der Menstruation jüdischer Männer. Gilman beschreibt Freuds Entdeckungsweg der Psychoanalyse als Auseinandersetzung mit derartigen Vorstellungen und ihren unbewussten Gründen. Inwieweit Gilmans Überlegungen über diesen wichtigen Entstehungsgrund der Psychoanalyse heute noch Relevanz besitzen und ob sie für eine Analyse des gegenwärtigen Antisemitismus nutzbar gemacht werden können, darum wird es in dem Vortrag gehen.
Tjark Kunstreich ist Psychoanalytiker (WPV/IPA), Sozialarbeiter und Publizist.
 

  • 14. April 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude

Vortrag von Frederik Schindler: Zu „Pinkwashing“ und „queer-powered BDS“ in Kooperation mit Boycott Anti-Semitism
Immer wieder ist von linken Gruppen zu hören, dass Israel nur deshalb keine Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender unterdrücken würde, um von Menschenrechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten abzulenken. Spätestens im letzten Jahr ist dieser Vorwurf des angeblichen „Pinkwashings“ verstärkt auch in Europa angekommen. Er wurde beispielsweise mehrfach in Berlin lautstark auf queeren Demonstrationen geäußert, auch in Wien gab es entsprechende Veranstaltungen. Warum sich die genannten Gruppen, die eng mit der antizionistischen Boykottkampagne „BDS“ zusammenarbeiten, bei der Sorge um Homorechte gerade um den einzigen jüdischen Staat kümmern und was das ganze mit jahrhundertealten antisemitischen Stereotypen zu tun hat, soll in diesem Vortrag diskutiert werden. Auch das Konzept des „Homonationalismus“ der Queer-Theoretikerin Jasbir Puar wird hier einer Kritik unterzogen.
Frederik Schindler ist freier Journalist in Frankfurt am Main und veröffentlicht u.a. in der Jungle World, in der Jüdischen Allgemeinen und in der taz. Ein Beitrag zum Vortragsthema erschien am 1. März 2017 im Sammelband „Beißreflexe – Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten“ von Patsy l’Amour laLove im Querverlag. Der Sammelband kann auf der Veranstaltung erworben werden.
 

  • 21. April 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude

Podiumsdiskussion mit Lena und Sama Maani: Podium: Warum wir über den Islam reden sollten

Wie kommt es, dass viele Linke die Ablehnung des Islams als „rassistisch“ wahrnehmen – nicht jedoch die Ablehnung des Christentums? Warum identifizierten „wir im Westen“ DemonstrantInnen des arabischen Frühlings als Moslems, die DemonstrantInnen etwa der Occupy-Bewegung in New York aber nicht als Christen? Warum reden wir, wenn wir vorgeben über den Islam zu reden, über alles mögliche andere (Terrorismus, Migration, „Integration“), nur nicht über den Islam?
Ausgehend von der Marxschen Erkenntnis, dass „die Kritik der Religion die Voraussetzung aller Kritik“ ist, und somit aller gesellschaftlichen Emanzipation, stellt sich auch die Frage, welche Konsequenzen sich aus der Etikettierung der Kritik am Islam als „rassistisch“ – sprich als „unmöglich“ – für Religionskritik als solche und in weiterer Folge für das linke Projekt einer emanzipierten Gesellschaft ergeben.
 

  • 28. April 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude

Vortrag von Sama Maani: Identität als Ideologie – Warum wir glauben und es nicht wissen

Die Aussage „Wir müssen den Islam respektieren“ ist für den aktuell weit verbreiteten, vom Über-Ich dominierten Respekt-Diskurs repräsentativ.
Analysieren wir die Position der Subjekte dieser Aussage – also der Position weltoffener, ihrem Selbstverständnis nach aufgeklärter Zeitgenossen –, zeigt sich aber, dass „der Islam“ in ihren Augen nur dann Respekt beanspruchen darf, wenn er seinerseits Aufklärung, Demokratie, Menschenrechte etc. respektiert. Jene Respektbezeugung verkehrt sich also in ihr Gegenteil: bei genauerer Betrachtung ist es „der Islam“, der die Werte jener modernen, weltoffenen Zeitgenossen zu respektieren hat – nicht umgekehrt.

Ausgehend von der These, dass der Wunsch jener weltoffenen Zeitgenossen, an das Gute „im Islam“ zu glauben, sich nicht zuletzt aus einem neuen Unbehagen am Kapitalismus speist, soll das Spezifische dieses Unbehagens anhand des Verhältnisses heutiger Subjekte zu den Bereichen Arbeit, Sexualität und Politik herausgearbeitet. Ein Verhältnis, das durch die zunehmende Dominanz asketischer Ideale und einem narzisstischen Rückzug von der real existierenden Objektwelt charakterisiert scheint. Im politischen Feld resultiert daraus eine entpolitisierte Politik, in der narzisstische Selbstbespiegelung die Auseinandersetzung mit objektiven gesellschaftlichen Zusammenhängen ersetzt.
 

  • 5. Mai 2017; Raum 1001, Sigmund-Freud-Universität, Freudplatz 2, 1020 Wien

Vortrag mit Marcus Brunner: Antisemitismus und männliche Subjektkonstitution

„Margarete Mitscherlich bezeichnete 1983 den Antisemitismus eine „Männerkrankheit“, die ihre psychischen Ursachen in der spezifischen psychosexuellen Entwicklung von Männern habe. Damit provozierte sie nicht nur eine kontroverse Debatte über Antisemitinnen und NS-Täterinnen, sondern lenkte den Blick allgemein auf geschlechtsspezifische Genesen und Funktionen antisemitischer Bilder.
Ich will in meinem Vortrag nicht so sehr die Geschlechtsspezifik des Antisemitismus im Allgemeinen in den Blick nehmen, sondern v.a. im Rückgriff auf kritisch-psychoanalytische Überlegungen zur Psychodynamik hegemonialer Männlichkeit nach den Anschlussstellen und Funktionen des Antisemitismus in der männlichen Sozialisation fragen. Dabei soll auch – im Sinne einer wirklich kritischen psychoanalytisch orientierten Sozialpsychologie – generell nach den Möglichkeiten und Grenzen psychoanalytischer Beiträge zur Antisemitismusforschung gefragt werden.“

 

  • 12. Mai 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude

Vortrag von Yasemin Makineci: Die Vernichterin – Zum Geschlechterverhältnis des Selbstmordattentates

Der taktische Vorteil des Frauseins durch als Babybauch getarnte Bomben erweitert den weiblichen Körper um ein weiteres Schlachtfeld in der islamischen Geschlechtersegregation. Die Rekrutierung von Frauen und Männern zu SelbstmordattentäterInnen verläuft zwar unterschiedlich; der antisemitische Gehalt der Ideologie der Vernichtung jedoch zeigt sich sowohl im Täter- wie im Täterinnenbewusstsein. In dem Vortrag sollen Anmerkungen zum islamischen Geschlechterverhältnis und die dazugehörigen psychoanalytischen Aspekte anhand des Beispiels der Rekrutierung zu Selbstmordattentäterinnen Raum finden.
 

  • 19. Mai 2017; Hörsaal II, Neues Institutsgebäude

Vortrag von Karin Stögner: Natur als Ideologie – Intersektionen von Antisemitismus und Sexismus

Bei der Beschäftigung mit den kulturellen und gesellschaftlichen Verzahnungen von Antisemitismus und Sexismus fällt auf, dass beide Ideologien mit eingängigen Bildern von Natur und Anti-Natur operieren. Juden und Frauen wird auf widersprüchliche Weise Natur und Natürlichkeit ab- und zugesprochen, sie werden ebenso auf Natur zurückgebunden wie als widernatürlich dämonisiert. Der Vortrag macht sich auf die Spur des komplexen Verhältnisses von Gesellschaft, Individuum und Natur, das sowohl im Antisemitismus als auch im Sexismus wirkt. Dabei wird zentral auf den zivilisatorischen Widerspruch von Körper und Geist und auf die gesellschaftliche Bedeutung der Geschlechterbinarität eingegangen.
Dr. Karin Stögner lehrt am Institut für Soziologie und im Studiengang Gender Studies an der Universität Wien. Sie ist Autorin des 2014 bei Nomos erschienen Bandes „Antisemitismus und Sexismus. Historisch-gesellschaftliche Konstellationen“ und derzeit Präsidentin des Forschungsnetzwerks Ethnic Relations, Racism and Antisemitism in der European Sociological Association.
 

  • 25. Mai 2017; Café Stein, Währinger Straße 6-8, 1090 Wien

Podiumsdiskussion mit Ljiljana Radonic und Andrea Trumann: Antisemitische Mütter – Anti-zionistische Töchter?

Unter diesem Titel hat schon 1994 Charlotte Kohn-Ley den Zusammenhang zwischen Geschlechterverhältnis und Antisemitismus seit dem Zweiten Weltkrieg bis heute verhandelt. Wie lässt sich nun über 20 Jahre nach dieser Intervention der Umgang der Frauenbewegung mit der Rolle von Frauen im Nationalsozialismus, die Täterin-Opfer-Umkehr des weiblichen Opfermythos und der als Anti- oder Post-Zionismus verkleidete „ehrbare Antisemitismus“ von Frauen fassen? Welche dieser Erkenntnisse lassen sich auf nicht-post-nazistische Autorinnen und Bewegungen wie Judith Butler oder die „Frauen in Schwarz“ übertragen?