Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus den Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 140: Tagebuch von Bernhardine Alma, 10. und 11. November 1918, Wien

Die junge Wienerin Bernhardine Alma (geb. 1895) schilderte in ihrem umfangreichen Tagebuch im Spätherbst 1918 einerseits ihre Wege, Aufwendungen und Strategien, für den Familienhaushalt ausreichend Lebensmittel und Kohlen zu bekommen. Andererseits dokumentierte sie die rasanten politische Entwicklungen sowie die Unsicherheiten über deren Ausgang. Gleichzeitig formulierte sie auch ihre Wunschvorstellungen von ihrer eigenen beruflichen Zukunft. Dabei wurden die Schilderungen der politischen Ereignisse von persönlichen überlagert – und sie berichtete etwa am 11. November 1918 ausführlicher vom überraschend möglich gewordenen Wiedersehen mit dem als Soldat eingerückten Geliebten, als vom Ende der Habsburgermonarchie.

10. November 1918. Sonntag, Nachmittag.
[…] Schreibend esse ich ein Stückel von dem Powidelbrot, das ich gestern gemacht habe. – Gestern Steg, Donau [verschiedene Lebensmittelläden]; Nachmittag ging ich in die Stefanskirche zu meinem ehemaligen Samstaggeistlichen. Er erkannte mich wieder, erinnerte sich noch an so viel und war wieder reizend! Sehr reizend. – Gott ist so unendlich gut; es ist am besten, Ihm alles zu überlassen; Er wird ja auch das Schicksal unsres armen Vaterlandes leisten. In Deutschland haben sie eine ordentliche Revolution; der Wilhelm ist gegangen, die Republik ausgerufen u.s.w. Alles ruht in Gottes Hand. Und wenn Er jetzt auch schwere Zeiten über uns schickt, so wird auch die Erlösung kommen. Man muß nur hoffen wollen und dann kann man es auch!
Auf Nachricht vom Jaro [Geliebter der Schreiberin im Fronteinsatz, von dem die Schreiberin schon längere Zeit keien Nachricht hatte] warte ich schon sehr, weil ich so gerne die Sicherheit haben möchte, daß ihm in den letzten Kriegstagen, bei der Meuterei unserer Truppen u.s.w. nichts geschehen ist, weil ich schon wissen will, was nun mit ihm geschieht. – Die Obstltin [Abkürzung für „Frau Oberstleutnant“, eine Bekannte der Familie] hat gesagt, wenn ich heirate, zieht sie mich an, vom Kopf bis Fuß muß ich wie „ein Zuckerl“ aus schauen. Na ja! Sie war heute wieder sehr liebenswürdig. […]
Heute beichtete ich nochmals beim […], der sehr lieb war, diesmal Küßte ich ihm die Hand, empfing vom Pfarrerl die heilige Communion. Gott ist unendlich gut! Mit der diesmaligen Wäsche bin ich noch nicht ganz fertig, aber es fehlt nur noch ein kleines bisserl. Ich hab ein liebes erwartungsvolles Gefühl, wofür ich Gott sehr, sehr danke!
Willst du dir ein hübsch Leben zimmern / Mußt dich ums Vergangne nicht kümmern / Das Wenigste muß dich verdrießen / Mußt stets die Gegenwart genießen / Besonders keinen Menschen hassen / Und die Zukunft Gott überlassen!
Ich will zum Theater [als Schauspielerin]! Ich bin aber nicht mehr so dumm, daß ichs beim bloßem Willen lasse, sondern werde mich eben prüfen & dann ausbilden lassen, eventuell ohne Wissen der Eltern! Dann werden ja doch stolz sein auf ihre berühmte Tochter. Der Trieb, den Gott in Jedem schuf, ist sein natürlicher Beruf! D.W.g.! [Dein Wille geschehe]

11./ XI. 18. abends
Was werde ich morgen hereinschreiben?
Gott ist so, so, so, so gut! – Heute Steg; O.F.T. [verschiedene Kaufläden]. Mariuserl [jüngerer Bruder der Schreiberin] hat mir gesagt, daß während ich [einkaufen war], mein – Jarerl [Jaro G.] ein bisserl da war, er ist in Wien, verwundet, kommt morgen. […] Ma [die Mutter der Schreiberin] will mich damit überraschen. Wenn, wenn er nur kommt! Ich hab ihn ja doch so gern! Nun merke ich wieder, wie gern ich ihn habe, wie ich mich noch nach ihm sehne! Ich wußte nicht mehr, daß ich ihn so gern habe. Nachmittag war ich am Nordbahnhof wegen Kohlen erfolglos. Mir ist die Kohlenwirtschaft so eklig. Am Nordbahnhof sind eine Menge Soldaten, auch viele Russen. Unser armer Kaiser Karl hat abgedankt. „Der Not gehorchend, nicht dem eigener Trieb!“ Vielleicht setzt ihn die Entente wieder ein! Heut war die Tante Hedwig Nachmittag da – Die Obstlin kommt so ziemlich alle Tage. Ich möchte die Kohlen erledigt haben. – Ich wäre so glücklich, wenn mein Jarel morgen käme. […] – Zum Theater will ich ja aber doch! D.W.g.! –

Sammlung Frauennachlässe NL 09
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 140, Tagebuch von Bernhardine Alma, Datum, SFN NL 09, unter: URL