Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus den Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 138: Tagebuch von Bernhardine Alma, 24. Oktober bis 2. November 1918, Wien

Ab Ende Oktober 1918 überschlugen sich in Berlin, Budapest und Wien die politischen Ereignisse. Im Tagebuch von Bernhardine Alma (geb. 1895) lässt sich nachvollziehen, welche (Falsch-)Informationen sie davon wann erhalten hat. Insbesondere wird die Unsicherheit betreffend der weiteren Entwicklung deutlich. Wiederkehrend wurde auch die Lebensmittel- und Heizmaterial-Knappheit dokumentiert. Im Herbst 1918 beschrieb die junge Frau dabei auch, wie sich die Bekannte und Verwandte gegenseitig aushalfen. Präsent wird in ihren Aufzeichnungen zudem ein zunehmender Nationalismus innerhalb der Habsburger Monarchie. Dieses Thema war für die Wienerin insbesondere zu verhandeln, da ihr Geliebter ein „Czeche“ war.

24. X. 1918, abends Donnerstag
„Weh! Ich kenn‘ mich selbst nicht mehr!“ Das Wetter ist kühl, aber schön. Die Luft ist oft so erfrischend, kräftigend. Es liegt etwas Starkes in ihr! Der Stadtpark ist so schön gefärbt; ich weiß nicht, ob er alle Jahre so schön war, so bunt, in solch herrlicher Farbenpracht! […]
Ich hab mein kleines Wien so, so gerne! Möchte es groß und glänzend sein!
Der Kaiser Karl ist mit seinen Leuten nach Ungarn gefahren. Wenn er die Ungarn uns vorzieht, brauchen wir ihn auch nicht, dann mag ich ihn auch nicht mehr! Wenn nur bald, bald äußerer Friede würde – und daß der Wilson [Thomas W. Wilson, Präsident der USA] und die Entente uns nicht gar zu schwere Bedingungen setzen!
Gestern bekam ich von der Hulda [vermutlich einer Bekannten] einen Brief und 300 Tabletten Sacharin [synthetisch hergestelltem Süßstoff]. […]

27. X. 1918, abends
In mir ist solch schweres, trauriges Gefühl! – Ich bin sehr traurig und müd – im Inneren so müd. Manche tun mir so leid und mit mir bin ich nicht zufrieden. Schön ist bloß, wenn ich das hl. Altarsakrament empfange. Heute tat ichs wieder nach einer sehr guten Pfarrerlbeichte [Beichte bei einem bestimmten Pfarrer], wobei er wieder meine Hand so lieb festhielt. […] Nachmittag war die Tanteanna da. Sie hat gefunden, daß ich „schmächtig“ bin. […]
Und doch hab ich den Jaro [Geliebter der Schreiberin, der sich derzeit an einem unbekannten Ort an der Front aufhielt] von Herzen lieb. Ich merk‘ es an meiner Vorliebe für Czechen. Und manchmal hab ich rasende, quälende Angst um ihn. In Italien wird ja noch so viel gekämpft. Gott schütze ihn – – und schenke uns bald den ersehnten Waffenstillstand. Heute war der Onkelrudolf von Mama da.

Mittwoch, 30. X. 18, abends
Gott ist so gut, viel besser, als wirs verdienen. Nun möge er auch noch unser armes Vaterland in seinen Schutz nehmen, da es nun schon einmal auseinander geht. Wozu wurde der dumme Krieg nur geführt und von uns gar so verloren. Aber wenigstens bekommen wir doch jetzt scheinbar bald Waffenstillstand und Frieden. Gebeten haben wir ja den Wilson oft genug darum, nun die Entente auch. Was mit dem Jarerl [Jaro G.] nun sein wird? Ob er nach Böhmen gehen wird? Wann er nach Wien wird kommen? Ich glaube, daß ich ihn nun bald wiedersehen werde. Das gäbe Gott. Denn ich habe ihn ja trotzdem sehr, sehr gerne. Wir haben trübes, kaltes Wetter. Ich habe oft so viel zu tun! – […]
Ich war O.F.T. [eine bestimmte Trafik], dann gleich Schützengasse […] Da wartete ich erst bei der Fr. v. F. [vermutlich eine Bekannte aus dem Kriegshilfsdienst], die mich auf der Stiege abfing, sehr nett war, mir schwarze Kohlen und selbstgebackenes gutes Brot brachte und sehr liebenswürdig war. […]

31. X., Donnerstag abends
Heute Steg, Bankverein, Nachmittag Konsum [verschiedene Lebensmittelläden] in der Joh. Straußgasse. Mir gefällt’s gar nicht, daß die Offiziere die Kaiserl. K u K Orden herabgenommen haben, sie sollten sich doch vor den Leuten nicht fürchten. Ich bedaure, kein schwarz-gelbes Kreuz mehr zu haben. Übrigens gab’s auch Offiziere, die’s noch trugen. […] Gott ist so gut, nur möge er sich des armen Österreichs erbarmen. Ich habe oft so viel zu tun. – Nun für momentan Schluß. Gott erbarme sich unser! –

Allerseelen 1918, abends
Dieses neue „Deutschösterreich“ mit seiner Volksregierung ist ein Stuß. Hoffentlich wird Wien bald von Engländern und Amerikanern besetzt, die Ordnung machen. Ungarn und die Türkei haben schon kapituliert. Der Graf Tisza ist als ein Held gestorben. [Der ungarische Ministerpräsident István Tisza Graf von Borosjenö und Szeged wurde während der ungarischen Asternrevolution am 31. Oktober 1918 erschossen.] Schön schauen wir aus! Wenn ich nur wüßte, was mit meinem Jarerl ist. Manchmal hoffe ich, daß er nun bald kommt, dann habe ich wieder solche Angst um ihn. Die Mama ist riesig nett mitunter. Ich bin neugierig, was sich aus unserem Chaos herauskrystalisieren wird. Gott stehe uns bei! Gestern Pfarrerlbeichte, hl. Communion. Das war das Netteste des Tages. Bei der Donau [Lebensmittelladen] bekam ich heute wieder mehr Fleisch. […] Wenn nun ein ordentlicher Friede kommen möchte und dass alles lieb und ordentlich wird. In der Nacht wurde mir mies. Diesmal wars nicht gar so arg. Bis in Budapest wieder mehr Ruhe ist, schicke ich der Frl. B. die Hefte [mit literarischen Texten zur Veröffentlichung]. […] Nun für heute Schluss. D.W.g. – [Dein Wille geschehe]

Sammlung Frauennachlässe NL 09
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  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

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Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 138, Tagebuch von Bernhardine Alma, Datum, SFN NL 09, unter: URL