Der Erste Weltkrieg in Nachlässen von Frauen Nr. 147: Korrespondenz von Maria und Adolf E., 18. bis 21. Jänner 1919, Steiermark

Maria und Adolf E. waren seit 1913 verheiratet und Eltern von vier kleinen Kindern. Anfang 1919 übersiedelte Adolf E. in eine steirische Bezirkshauptstadt, um hier eine Rechtsanwaltskanzlei zu eröffnen. Maria E. blieb mit den Kindern vorerst am bisherigen Wohnort, wo auch ihre Herkunftsfamilie lebte, mit der sie im engen Kontakt war. In der Korrespondenz des Paares aus diesen Wochen geht es um die Organisation der neuen Situation, aber auch um die Versorgung mit Lebensmittel, die ständigen Krankheiten der Kinder – sowie auch um die bevorstehenden ersten Wahlen zur konstituierende Nationalversammlung für Deutschösterreich im Februar 1919. Diskutiert wurde dabei die Kandidatur einer „Frauenpartei“, Adolf E. selbst engagierte sich für die christlich-soziale Partei. Die Briefe liegen in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschriften vor.

18. Jänner 1919
[Meine liebe Maria!]
[…] Am Abend meines ersten Tages hier will ich Dir kurz berichten; vorher aber Dir sagen, daß ich voll gesundem Optimismus den heutigen Tag als den Beginn der aufwärtsgehenden Linie betrachte: sobald eine Wohnung aufgetrieben u. die Verpflegung sichergestellt, kommst Du u. wirst hier gesund und die Kinder pausbackig. Beruflich, so hoffe ich fest, wird es uns wenigstens so gehen, daß die Hungerzeiten zu Ende sind. In diesem Sinne, gelt meine Maria!
Nun zu dem, was alles vorgekommen. Ich kam allein nach [Stadt], mein Fräulein hat den Zug versäumt u. kam erst nachmittags. Ich habe inzwischen in der Kanzlei eingeräumt. Der Wagen kam erst nach 2 Uhr, durch den Schnee hat der Kasten etwas gelitten, doch nicht besonders, sonst war alles in Ordnung […]
[Dein Adolf]

[Stadt], am 20. Jänner 1919
[Mein lieber Adolf!]
[…] Hast Du schon Klienten? […] Übrigens sagte unlängst ein […] Bauer [in der neuen Umgebung] zum S. Kramer „Ich muß schon zum Dr. E. gehen, der soll recht tüchtig sein!“ Mutter läßt daher fragen, ob sich die Klienten schon „angestellt“ haben? – […]
Doch nun was anderes. Mutter hatte mit dem Geburtstagsgeschenk große Freude. Die 2 Buben sagten schnell ein Gedicht auf und bekamen dafür den ganzen Festtag Lebzelt. Nur etwas trübte den Tag, daß die Kinder im Spital schlechter geworden sind. Sonntag schon erhielten wir telephonisch die Auskunft, daß beide fiebern, Karlis Gesicht angeschwollen ist. Gestern ging Mutter selber fragen in Begleitung Adolfi’s [geb. 1913] und Nussis [geb. 1914]. Hedwig [geb. 1915] ist schon besser.
Doch Karli [geb. 1917] hatte bereits in der Frühe 38.7°. Die Geschwulst, von der der Arzt nicht weiß, woher sie kommt, ist zwar abgelaufen. Doch kann er die Ursache des Fiebers nicht finden! Gottlob, daß es nicht Nierenentzündung ist … [Die zwei jüngeren Kinder waren derzeit an Scharlach erkrankt und daher im Krankenhaus.]
Petroleum habe ich noch immer nicht. Frl. F. telephonierte, sie bekäme es nur, wenn sie 1 kg Türkenmehl [Polenta] dafür gibt […]
Heute hat Nusserl eine große Freude. „Mama, Mama“, schrie er von unten kommend, „die Großmama hat eine Kuh!“ Immer will er sie sehen! Es soll ein schönes Tier sein, die jetzt halt nur ¼ l täglich gibt. Die große Ziege und der kleine Bock sind schon verkauft […]
Mein Lieb! Der erste Brief in Deinem neuen Wirkungskreise, der erste Brief im neuen Lebensabschnitte! Und er klingt so geschäftlich, daß ich selber ganz böse darüber bin! Aber er ist nur deswegen so, damit Du nicht glaubst, ich bin wieder „so ängstlich“ wegen Karli! Und das täte Dich doch ärgern!! Nein, mein lieber, lieber Adolf! Ich bin bestimmt stark und hoffe, daß es wieder besser wird. Schon, hat das „Zarterl“ doch schon soviel ausgehalten! Und Gott wird sicher helfen!
Ich hoffe ja auch, daß mein Fieber bald aufhört [Maria E. war an TBC erkrankt]. Es wird doch nicht schlechter, folglich muß es ja besser werden! Gelt? Die Kinder beten immer lieb fürs jüngste Brüderchen, besonders das „Nusserl“.– […]
Hast Du schon ein Telephon? Da kannst Du Dich ja selber nach den Kindern erkundigen. Für alle Fälle gebe ich Dir vorderhand halt täglich kurz Nachricht. Ist es recht?
Und nun grüße ich Dich an Deinem Wirkungsort! Hoffentlich können wir Dir recht, recht bald folgen, damit wir gemeinsam Freud und Leid erleben, Zusammenhelfen, -wirken – und arbeiten, wie wir ja zusammengehören! Ich will ja so gern gesund werden, damit ich wieder ein wenig nütze, damit ich es Dir und den Kindern behaglich machen kann! – […]
[Deine Maria]

[Stadt], am 21. Jänner 1919.
[Mein lieber Adolf!]
[…] Eben ist Luise [die Schwester der Schreiberin] mit der Nachricht aus dem Spital gekommen: Karli hat 38.1° und die Geschwulst ist etwas abgelaufen. Aber er ist munterer als gestern und der Arzt meint, daß es sich um eine Mandelentzündung handelt. Hedi hat 37.3° und sie ist ganz brav. Ich bin ganz zufrieden und hoffe das Beste […]
Da ich glaube, daß Dich die beiliegende Propagandaschrift interessiert und da Du sicher viel freie Zeit in der Kanzlei hast, schicke ich sie Dir zum Lesen […]
Lisl B. fragte mich, was ich dazu sage, daß sie eine eigene politische Frauenpartei zustande bringen wollen mit einer eigenen Frauenliste, wofür sich in den verschiedensten Kreisen bereits große Zustimmung zeige, da der Gedanke sicher gut und aller Unterstützung wert sei. Was sagst Du dazu?
Wußtest Du schon davon? […]
Ich habe noch immer 37.6°, aber fühle mich dabei ganz wohl. Adolfi ist noch immer im Bett, hat heute 37.8°, ist trotzdem das reinste Gangerl. Da ihm gar nichts weh tut, dürfte es sich um eine kleine Verdauungsstörung handeln. Die Buben fragen oft nach Dir. Nusserl wird alle Tage gescheiter. Mutter, die vielgeplagte, schickt Dir viele herzliche Grüße …
[Deine Maria]

Sammlung Frauennachlässe NL 174
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In diesem Fall sind auch die Ortsangaben anonymisiert angegeben. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert. Die Briefe des Ehepaars E. liegen in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschrift vor.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 147, Korrespondenz von Maria und Adolf E., Datum, SFN NL 174, unter: URL