CfP: Verdatung des Organischen (Event) Deadline: 15.03.08

Internationale Konferenz, organisiert vom Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“ der Humboldt Universität Berlin in Kooperation mit dem Institut für Geschichte der Medizin (Charité) und der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst e.V., Berlin

Zeit: 10.-12.09.2008
Ort: Humbold-Universität
Deadline: 15.03.2008

Verdatung des Organischen’ ist ein Begriff, mit dem wir auf dieser Konferenz sämtliche Prozesse belegen, die Intra- und Interrelationen, wie auch Transformationen zwischen dem Organischen und der Maschine in den wissenschaftlichen (Labor-)Praxen darstellen. Wir beziehen uns auf zumindest vier ineinander verwobene Schritte in diesem Prozess: Praktiken des Messens, Biometrische Verarbeitung, Verbildlichung und (Re-)Generation des Organischen, die in den Panels erarbeitet werden.

Praktiken des Messens (Panel I)

Messen ist eine Grundoperation der Verdatung. Es reduziert Qualitäten auf diskrete Größen, erzeugt Daten und liefert das Ausgangsmaterial für zahlreiche Visualisierungspraktiken. Das Panel fokussiert die materialen Techniken der Vermessung des Organischen seit dem frühen 19. Jahrhundert und deren Rückwirkung auf das dargestellte Objekt: In welcher Weise wird das Organische zum Produkt des Labors (Canguilhem)? Wie wird der Körper als epistemisches Objekt einer vermessenden Neugier rekonfiguriert? Welche Paradoxien und Ambivalenzen schaffen Verdatung und Digitalisierung unseres modernen Körperwissens (Chedarevian, Brain)? In Fallstudien sollen historische Beispiele aus den biometrischen Verfahren der letzten 200 Jahre diese epistemische Grundfiguration ausloten und ihre Auswirkungen und Folgen diskutieren.

Biometrische Verarbeitungsverfahren (Panel II)

Dieses Panel widmet sich jenem Wissenstransfer, der sich über die Mess- zu den Auswertungsprozeduren vollzieht. Die Zahlenlawine (Hacking) trifft auf den Körper und generiert über das Kalkül einen Informationskörper, der für Konzepte der Identität und Gesellschaft fruchtbar gemacht wird und zum Träger von Regulierungs- und Normalisierungsstrategien (Foucault) für Körper, Körperteile oder Organe wird. Die Verwandlung des Körpers bietet auch An/Eingriffspunkte für Manipulationen, Störungen oder Zuschreibungen (Richard). Aufgrund welcher Kriterien und Ziele wird und wurde der Körper in die Maschine oder Technologie eingespeist; wie lauten die technischen Konditionen von Zahl, Code und Maschine, durch die spezifische Körper(wissen) laufen und interagieren?

Die Zahl in der (Re-)Generation des Organischen (Panel III)

Dieses Panel untersucht den produktiven Weg von Daten, von der ‚Elektrik’, zum Biotischen. So dienen einerseits Kontakte zwischen Organischem und der Maschine, zwischen hard- und wetware ihrer quasi symbiotischen Verbindung. Andererseits liefert Genomik und Proteomik vermittels Bioinformatik große Datenmengen auch zur Regeneration biotischen Materials wie etwa im tissue engineering oder der Stammzellforschung (Franklin, Dupré). Welche Ausschlüsse generieren Produktivität in diesem Kontakt, welche neuen (?) Denkbarkeiten des Material-semiotischen in Gender- und Körpertheorien sind hier auszumachen und zu hinterfragen?

Berechnete Bild-Körper (Panel IV)

Die Statistik arbeitet mit der Verbildlichung von Daten, deren ikonografische Effekte auf altbewährten Sehgewohnheiten, auf dem Vor-Gesehenen (Silverman) basieren. Obwohl eine gewisse Ermüdung gegenüber dem Begriff der Repräsentation eingetreten ist (Lynch), sind die Bezüge zu identitäts- und gesellschaftspolitischen Fragen der Repräsentation wenig bearbeitet und nach wie vor brisant. Sehr bewusst fragt das Panel daher nach dem erkenntnistheoretischen Status, der Medialität und den Anwendungen und Effekten technischer Körper-Bilder, um die Konstruktion und Wirkmacht dieser (post)modernen Bild-Körper zu analysieren. Welche Normen und Normalitäten von Körperlichkeit, Sexualität, Geschlecht fließen auf welche Weise und mit welchen instrumentellen Grenzen in den Abbildungsprozess ein und wie können sie im und über das Bild hinaus verhandelt werden?

Aktualität und theoretischer Hintergrund der Tagung

Organische Daten spielen eine historisch herleitbare, gesellschaftlich zunehmend relevanter werdende Rolle insbesondere in der Verbindung zwischen Individuum und Staat (Desrosières). Biometrie, Medizin und informationstechnischen Disziplinen kommt dabei eine strategische Scharnierfunktion zu. Der grundlegende Gedanke der Tagung ist, dass standardisierte und statistische Daten des Körpers mit Körpern wechselseitig interagieren und zwar mit (historisch) situativ unterschiedlichen Effekten. Normwerte (Canguilhelm) legen in Zeichenstrukturen die Beziehungsmöglichkeiten der Elemente untereinander (Saussure) und die Übersetzungs- und Subjektivierungsprozesse (Foucault) fest. Anders als aktuelle Untersuchungen der statistischen (Bio-)Politiken, die sich auf die Bevölkerung richten, befasst sich diese transdisziplinäre und internationale Konferenz mit dabei zentral werdenden, aber unterbeleuchteten Wissenskonfigurationen. Sie beschäftigt sich mit der Produktivität der Zahl in den wissenschaftlich-technischen Prozessen und Praxen in den Übersetzungen zwischen dem Organischen und der Maschine. Das Organische zeigt sich in dieser Vermittlung als Schnittstelle zwischen dem Labor (Canguilhelm, Hess), dem Vor-Gesehenen (Silverman) und den Techniken des Selbst (Foucault).
Die Konferenz verfolgt in einem innovativen Gesamtkonzept die Zahl in den verschiedenen Prozessen der Umsetzung vom Organischen in Rohdaten und Daten bis hin zu ihrer normativen Re-Form(ulier)ung. Hierzu zählen Praktiken des Messens und Abbildens von Körperdaten, der statistischen Mittelung und Übersetzung in Formelwerke, wie auch die datengeleiteten Produktionsprozesse von Biomaterialien. Die Tagung fokussiert auf Übersetzungen, die der quasi symbiotischen Verbindung zwischen der hardware und der wetware, ebenso wie der labortechnisch gesäuberten Produktion biotischer Bestandteile dienen (Franklin).

Die Konferenz nimmt die Widersprüche zwischen den bisher einseitig betrachteten Facetten der ‚Verdatung’ als Ausgangspunkt für weitergehende Fragen. Das Konzept von Verdatung, auf das in dieser Tagung fokussiert wird, unterscheidet sich von herkömmlichen Verständnissen von Verdatung: Bislang wurde Verdatung in der Verbindung von Daten, IT und Internet im Sinne einer grundsätzlich dominanten Kraft verstanden, die ökonomische, soziale, politische und kulturelle Entwicklungen bestimme (Wang). Einem anderen Verständnis nach wurde Verdatung enger gefasst entweder auf die Eingabe und Verarbeitung personenbezogener Daten und auf bevölkerungsstatistische Sicherheits- oder Gesundheitstechniken bezogen (Linder, Feyerabend, Link) oder sie wurde medientheoretisch in Bezug auf eher passive NutzerInnen diskutiert (Schneider/Otto) bzw. umgekehrt wurde von subversivem Cyberfeminismus gesprochen.
Im Gegensatz hierzu stellt diese Tagung die Verdatung in mathematisch-naturwissenschaftlichen Prozessen heraus. Sie versteht Verdatungsprozesse nicht länger als Einbahnstraße. Stattdessen oszillieren Verdatungen in einem spannungsreichen Wechselfeld des Organischen, nämlich zwischen Standardisierung und Individualisierung, Normierung und Aneignung. Die Tagung fragt nach den Funktionen der Zahl als Plattform und Drehscheibe zwischen verschiedenen Disziplinen, Zeiten und Räumen. Die Verdatung teilt mit der Modellierung eine entscheidende Gemeinsamkeit: Modelle – und so auch in Formeln und Modellen gebundende Zahlendaten – ermöglichen, Räume zu überbrücken und können an verschiedenen Orten zugleich eingesetzt werden (Rheinberger, Giere). Die Tagung fordert herkömmliche Betrachtungsweisen heraus, indem sie die Widersprüche durch die Widerständigkeit des Instruments und Materials im Semiotischen ebenso betont (Haraway, Barad) wie jene zwischen Emanzipation und Expansion (Anderson, Deuber-Mankowski, Bock v. Wülfingen).

Aus der Perspektive der Geschlechterforschung wird den Informationstechnologien und dem ‚trockenen’ Nachbau der Fähigkeiten lebendiger wetware in künstlicher Intelligenz und artificial life ein hohes Maß an akademischer Aufmerksamkeit zuteil (Bath/Weber). Im Kontrast dazu wird die Übertragung des Organischen in das Digitale zur Rekonstruktion, Restitution und Replikation des Biotischen, wie zur Kommunikation mit der Maschine selbst, bisher wenig diskutiert. Verdatung wurde bisher vor allem durch (cyber-)feministische Theorie, Fiktion und Kunst thematisiert (Braidotti, Grosz, Draude, Kuni), weniger dagegen in der Analyse von Funktion und Effekten des Digitalen in der Wissensproduktion sowie von ihren Wirkungen innerhalb der Wissenschaften und Technologien. Eine kritische Überprüfung und Aktualisierung der geschlechtertheoretischen Analysen der Wiederkehr des – bis zur letzten Jahrhundertwende im Digitalen verschwunden gewähnten – Körpers ist überfällig. Es gilt in genaueren Analysen die veränderte Form und Struktur des Organischen in seiner Verkopplung und Übersetzung mit den Geräten zu ermitteln. Die Konferenz sucht nach Konzepten und einer Sprache, die diese Verschiebungen hin zur Praxis zu greifen vermag.

Die Tagung wird zu einem großen Teil über Panels und internationalem CfP organisiert (siehe unten; weitere aktuelle Informationen wie über die internationalen plenary speakers, Ablauf etc. in Kürze unter: www2.hu-berlin.de​/gkgeschlecht​/data/). Abstracts sind bis zum 15. März 2008 an die Email-Adresse datacizing#googlemail.com zu richten. Wir möchten Promovierende besonders ermutigen, sich zu beteiligen. Die Länge der Abstracts sollte 500 Wörter nicht überschreiten. Bitte geben Sie zusätzlich Ihre Anbindungsadresse, Forschungsinteressen und das Panel, auf das Ihr Beitrag abzielt, an. Im Fall einer noch ausstehenden Drittmittelzusage können Reisekosten für Referenten und Referentinnen in besonderen Fällen und auf Anfrage erstattet werden.

Kontakt:
Volker Hess
GraKo Geschlecht als Kategorie des Wissens
Institut für Geschichte der Medizin
xx4930450529031
datacizing#googlemail.com
URL: http://www2.hu-berlin.de/gkgeschlecht/data/

URL des CfP: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=8635

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