Die 19jährige Bernhardine Alma (geb. 1895) und ihre beiden älteren Schwestern waren als unverheiratete Frauen stark in die Arbeitsabläufe des gutbürgerlichen Familienhaushalts in Wien III eingebunden. Im November 1914 berichtet sie dabei erstmals von Engpässen in der Lebensmittelversorgung. Im Oktober 1914 hatte sie zudem einen Kurs für die Pflege von Verwundeten besucht, im November schien sich nun eine Möglichkeit zu ergeben, sich auch praktisch zu engagieren.
16. November. Montag, abends. 1914.
Wenn nur das ekelhafte Ungetüm schon aus wäre – Es war einmal ein Aas, das sich der Weltkrieg nannte! – Heute sind wieder viele Soldaten gefahren! – Mama u. ich waren heute erfolglos beim S. [einem Lebensmittelgeschäft] wo wir kein Mehl bekamen. Aber wir gingen an einem Haus vorbei, dessen Türe ein Schild mit dem Roten Kreuz und der Inschrift zierte, daß es eine Privatinstitution des roten Kreuzes sei. Im 2. Stock waren auch auf allen Fenstern Rote Kreuze. Und es fiel der Mama auf und sie sagte mir, daß ich hierher gehen sollte. Ich sehe es ja für eine Notwendigkeit an, für mehr als meine Pflicht, es zu tun. Hoffentlich ist es dem Papa dann auch nicht unangenehm. Dann möchte ich mich dem Roten Kreuz für Nachmittage ja so gerne zur Verfügung stellen. – Heute kauften wir unnatürlich großes Kraut. Nachmittags ging ich in den Konsum [Geschäftslokal des Konsumvereins]. Aber sie hatten leider kein Mehl mehr, doch bekomme ich es morgen oder übermorgen.
Der kleine K., ein Klosterneuburger, schrieb es mir gut und machte mir den Hof. Ich ließ es geschehen, im Interesse des Mehls. – Die Leute auf der Straße sind oft sehr dumm. Beim Anker [Geschäftslokal der traditionsreichen Wiener Großbäckerei] sind, wenn Mehl ist, schrecklich viel Leute; sind keine Leute, ist auch kein Mehl. – (…) Zuhause tu ich sehr viel, sehr! – Nun schreibe ich einstweilen nichts mehr. – Wie werde ich zu Verwundeten kommen? –
Dienstag. 16. XI. abends.
Der Papst, Holland und Amerika wollen Frieden vermitteln!!! Freitag gehe ich hinüber in diese Rote Kreuz Station, von der ich gestern geschrieben habe. Früher kann ich nicht. Heute Konsum, morgen Konsum mit Marie [vermutlich einer Hausangestellten], Donnerstag für Marie zu Weihnachten, Freitag gehe ich!!!!!!!!! – Samstag wieder Konsum. (…) ob es vormittags einmal gehen wird? – Oder vielleicht Freitag nachher? – Nun höre ich auf, um keine neue Seite anzufangen. – Ich habe schon geheult – so leid tun mir die Soldaten, die Weihnachten im Felde feiern! Wäre nur der Krieg schon aus! –
Sammlung Frauennachlässe NL 09
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.
- Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.
Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 22: Tagebuch von Bernhardine Alma, 16. November 1914, SFN NL 09, unter: URL