Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 28: Tagebuch von Bernhardine Alma, 4. Februar 1915, Wien

NL 09 Alma Bernhardine 1915 02 04Die Wienerin Bernhardine Alma war gerade 20 Jahre alt geworden. Seit Schulaustritt war sie im elterlichen Haushalt tätig. In ihrem Tagebuch formulierte vehement den Wunsch, sich in der Kriegskrankenpflege zu engagieren. Bisher hatte sie von ihren Eltern aber keine Erlaubnis dazu erhalten. Einen entsprechenden Kurs hatte sie im Herbst 1914 abgeschlossen, ohne die Prüfung abzulegen. Im Februar 1915 erhielt sie nun eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.

4. Februar 1915. Donnerstag, abends
[…] Nachmittags zog ich mich nett an, nahm den Brief vom Dienstag (er lautete: „Sehr geehrtes Fräulein! Im Auftrag des Kommissärs für Öst. Hilfsvereinswesen Grafen [Rudolf] Abensperg und Traun[-Maissau] beehre ich mich sie einzuladen, im Laufe des nächsten Nachmittag in der Kanzlei des K.K. Kommissärs I, Milchgasse 1, 1. Stock zur Besprechung einzufinden. Im Auftrag: Dr. Walter von ?“ Das ist so ungefähr der Brief, den ich eingelegt hatte. Die Unterschrift konnte ich nicht lesen.) Ich ging also zum (die Eltern sind grauslich!!!)
Es war eine Unterbrechung während welcher die Mama dem Papa die Geschichte mit dem Grafen so erzählte, daß Papa schimpfte, das Pflegen für unpassend fand u.s.w. – Ich möchte so, so, so gerne pflegen. Warum mir kein Wunsch ausgeht, warum? – Warum gerade ich kein Glück habe? – Aber nun weiter: Ich ging also in die Milchgasse zum Roten Kreuz (dessen Präsident der Graf Traun ist) wurde sehr hochachtungsvoll behandelt und mußte warten; dann in einem Zimmer wo der Dr. ? war. Der Beamte hatte mich hineingeführt, und dem Dr. den Brief vom Dienstag von mir (den ich bekommen hatte!) übergeben, worauf mich der Dr. ersuchte Platz zu nehmen und später meinen Brief, den ich damals an den Grafen geschrieben, hervor holte u. zu dem von mir empfangenen Brief legte. – Und dann kam der Graf. So etwas Imponierendes wie der in der glänzenden Uniform an sich hatte! – Groß war er – und elegant – ein Mensch, der zu befehlen gewohnt ist! – Ich ging mit ihm ins Nebenzimmer, wo ich mich zu, er sich an seinen Schreibtisch setzte – und er begann damit: „Sie wollen uns also helfen?“ Na, dann fragte er, ob ich bei den Eltern wohne, einen Kurs gemacht habe, und daß sie sehr froh darüber wären, fand es aber, da ich keinen Kurs beendet u. nur Nachmittags pflegen will, erst für aussichtslos. Aber dann sagte er, ich solle einen Kurs machen, er würde mich hinführen, wo ich Näheres erfahre – nun und war sehr lieb. Er führte mich dann in den Sitzungssaal zu einer Dame (es waren mehrere Damen u. Herren da) und bei dieser Dame wirkte sehr, daß der Graf Traun mich eingeführt. Während sie andre zwar lieb, aber doch kurz erledigte, ersuchte sie mich (nur mich) Platz zu nehmen – und gab sie mir, (trotzdem ich keinen Kurs absolviert hatte) eine Empfehlung an die Exzellenz Baronin Bienenf Spiegefeld [?] im Radetzkyspital, wo ich für Nachmittage als Pflegerin hin kommen soll. – Sollte ich keinen Erfolg haben, werde sie sich weiter bemühen. Sie war wirklich sehr nett. – Da die Empfehlung halb aufging, las ich sie. Natürlich berief sie sich auf den Grafen Traun, war sehr lieb und heißt die Dame Helene v. B. glaube ich. – So nett sind die Fremden heute. – Und zuhause? –
Mama schimpft und will, daß ich Kleider nähen lerne, aber das hat, finde ich, Zeit bis Cora [die verlobte ältere Schwester, geb. 1890] fort ist, also, der Krieg aus und keine Verwundeten mehr. – Ach, was gäben Tausende für die Empfehlung, die ich nicht benützen darf. – Haben die Eltern, weil sie mir Leben gaben, das Recht, dasselbe unglücklich zu machen? – Es ist furchtbar – etwas geben können und dabei nicht. Bei mir wird wirklich nie etwas draus! – Und was das Furchtbare ist, alles ist immer so nahe – so nahe und dann nichts! “ – – Und mir tut der Unglaube meiner Familie (Papa, Mama, Cora) mitunter beinahe weh. Das ist so ein Armutszeugnis! – – – Dann ging ich zum Zahnarzt; der Dr. begrüßte mich nur, dann machte mich der Assistent fertig u. mir den Hof. Als ich ihn dann wegen des Zahlens zum Doktor schickte, sagte er, daß der Dr. nichts verlange, worüber ich mich so ärgerte, daß er mich beruhigte u. ich sandte ihn wieder zum Dr., er solle mir die Rechnung schreiben. Dann machte es 6 K aus. Der Assistent fragte dann ob er mir hinein helfen dürfe, hielt meinen Mantel sehr lange u. sagte natürlich „Küßdiehand“. Aber das ist ein Unsinn! – Mein lieber Graf Traun ist mir viel wichtiger! – Wie wird das enden? – – –

Sammlung Frauennachlässe NL 09
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  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, „… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 28: Tagebuch von Bernhardine Alma, 4. Februar 1915, SFN NL 09, unter: URL.