Der Architekt Leopold („Olly“) Wolf (geb. 1891) war seit Anfang 1915 als Reserveoffizier der Artillerie in Krakow/Krakau stationiert. Im Sommer 1915 plante seine Verlobte Christl Lang (geb. 1891), gemeinsam mit seinen Eltern und Brüdern aus Wien auf Besuch nach Polen zu kommen. In seinem Brief von Anfang Juli 1915 beschreibt Leopold Wolf die aktuelle Situation in der Etappe als durchaus angenehm. Ein wiederkehrendes Thema in ihrem Briefwechsel ist die Unregelmäßigkeit der Feldpostzustellungen.
2. VII.15.
Liebste Christl!
Kaum habe ich Dir eine Karte aufgegeben, kommt schon wieder ein neuer Anlaß Dir zu schreiben. Die vor einigen Wochen so ersehnten großen [Postsendungen] sind nun angekommen. Wenn wir sie damals bekommen hätten, was wär das für ein Hallo gewesen. Nun, wir haben sie auch jetzt mit Freuden empfangen, obzwar ja nach unserem Urlaub längst alles überholt ist.
Die älteste Karte ist von 9. Mai, die letzte vom 10. VI. die Adressen sind von Fp. 64 und 74, aber es scheint noch nicht alles zu sein! Am schönsten ist der Brief vom 26. 5. der lange lange! Also ich hab genug zu lesen gehabt, denn außer Deinen Karten und dem einen Brief ist auch einer vom Willi [dem jüngeren Bruder des Schreibers] dabei. Die Karte von Mama nicht zu vergessen.
Deine sämtlichen Karten beginnen folgend: ‚Warum schreibst Du nicht, …‘ od. ‚Nachdem wir schon lange auf eine Nachricht von Dir warten. – – Es ist wirklich höchst ungemütlich, …‘, ‚Warum hüllst Du Dich in so rätselhaftes Schweigen …‘, ‚Die Stockung im Feldpostverkehr macht sich nun heimlich bemerkbar …‘ […] ‚… Ich sehe mich schon wieder getäuscht …‘, ‚…. Endlich nach 4 Wochen …‘
Na, ich habe fabelhafte Geduld. Also hab ich alles gelesen, ohne dran zu denken, daß ich etwas länger auf Post warten mußte, und noch bis heute hätte warten können, wenn ich nicht nach Hause gekommen wäre. – Diese berühmten Anfänge aber erleb nicht nur ich, sondern dem Klotz [Kollege von Leopold Wolf] geht es auch so und anderen auch, die auch alles ruhig über sich ergehen lassen und selber noch geduldig auf Post warten. Wie soll das erst in Italien werden?
Im übrigen gehts uns gut, nach einigen bewölkten Tagen ist heute wieder eine herrliche Hitze. Jedenfalls steht aber fest, daß ich heut ins Kino gehe, zur Eroberung von Przemysl [vermutlich ein russischer Aktualitätsfilm aus 1915]. Und schließlich warte ich mit erstaunlicher Geduld auf einen Antwortbrief auf den meinigen, resp. auf Eurer Erscheinen.
Du, liebste Carissima, das wär wirklich herrlich. Wir haben nichts zu tun, aber wirklich schon gar nichts, und wir könnten schön den ganzen ganzen Tag zusammen sein. Schau, Mama will sicher ein paar Tage Erholung und die findet sie hier wirklich ausgezeichnet. Hier sind doch ganz andere Verhältnisse, wie in Wien, und wenn man meint: Krakau-Festung! So sieht man sich aufs allerwunderbarste getäuscht, wenn man herkommt.
Wien ist ein elendes Nest im Vergleich zu Krakau. Ich hab Dir ja schon einiges geschrieben! Und unser Dienst? Zwei Tage war ich nun schon überhaupt nicht draußen (ich vollende den Brief heut am 3.) und denke mir, Du mußt doch einmal nachschauen gehen. Auf dem Weg tifft mich der Oblt. im Auto „Was willtst Du machen draußen? Ist ja nichts los, ein Teil der Mannschaft ist in der Fabrik [?], die andern tun Kegelschieben!“ Also ins Auto und zurück in die Stadt. Es ist 10 Uhr, denn man steht um ½ 9 auf, macht eine Stunde Toilette, und nun muß man doch was frühstücken. Also zum Hawelka, bei einigen Bieren wirds ½ 12. Dann rasch ins Kasino, die neuesten Zeitungen lesen, um Punkt 12 essen. Hiernach Kunstgenuß bis ca 3 Uhr oder im Klubsessel hinter der Berlinerzeitung ein Schläfchen. Nun ists Zeit ins Kaffeehaus. Einen oder 2 Eiskaffees, dann Spaziergang am Rynek [Ring, Hauptplatz von Krakau], und schon ists wieder Zeit zum Essen. Da ist Drobner [eine Gastwirtschaft] meist an der Tages- (besser Abend-) Ordnung und hierauf Kaffee Theater[…] oder […] Um ½ 11 ist man zu Hause, und den nächsten Tag geht genau so.
Wie viel schöner wär’s aber, wenn Ihr da wäret! Kann Mama nicht, so kann Papa, und können Brüder nicht, so kann die Tante. Zeit ham’mer, Zigarren ham’mer, Bier ham’mer, was brauch ma noch mehr? Nur die Christl, sonst nichts!
Viele herzlichste Grüße und Busserln Dein Olly.
Eine Unmenge von unserer Mannschaft hat Frau und Kinder da, es ist wie in der guten alten Zeit! Ebenso herzlichste Grüße allen unseren Lieben zu Hause, und beste Empfehlungen an Beyers, Müllers, Markls, etc, niemanden in herzlichster Weise zu vergessen!
Sammlung Frauennachlässe NL 14 I
Nächster Eintrag aus der Korrespondenz von Christine Lang und Leopold Wolf am 18. Juli 2015
Voriger Eintrag aus der Korrespondenz von Christine Lang und Leopold Wolf am 21. März 2015
Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.
- Zur Feldpostkorrespondenz von Christine Lang und Leopold Wolf siehe auch: Christa Hämmerle: Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares. In: Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2013, S 55-83.
- Zum Kriegsfotoalbum von Leopold Wolf siehe https://ww1.habsburger.net/de.
Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 47, Brief von Christine Lang an Leopold Wolf, Datum, SFN NL 14 I, unter: URL