Im Juli 1915 hatte die Wiener Modistin Christl Lang (geb. 1891) gemeinsam mit den Eltern und Brüdern ihres Verlobten Leopold („Olly“) Wolf (geb. 1891) diesen in Krakow/Krakau, wo er stationiert war, besucht. Zuvor war er auch kurz auf Urlaub in Wien gewesen. In seinem Brief vom 18. Juli 1915 beschreibt Leopold Wolf seine Stimmung nach ihrer Abreise, sowie einen Unfall in der näheren Umgebung, die die Verlobte ja nun auch selber kannte.
18. VII.15.
Liebste Christl!
Also, wie war’s denn? Jetzt, wo ich mich zum schreiben setze, um Dir zu sagen, wie’s war, weiß ichs nicht, denn zum Teil träum ich noch wie ichs acht Tage nun getan hab. Von vorn angefangen, war’s also so: Da war ich zuerst auf Urlaub. Na, wenn ich heut dran denk, wär mir lieber, ich wär nicht gewesen, oder es hätte so sein sollen: Kommen, die Wiedersehensfreude miterleben und dann gleich wiederfort, begleitet von Wünschen, wie sie ein Krieger verdient, dem es nur vergönnt ist, ein paar Stunden bei seinen Lieben zu verbringen, und bedauert, daß dem so ist.
Und dann hättet Ihr ja auch so kommen können, wie Ihr jetzt gekommen seid, und all die Zeit die ich in Wien „verleben“ mußte wäre uns Geschenk gewesen. In der Hauptsache ists ja auch so gekommen, und gewiß ist keiner so glücklich als ich, keiner weiß es dem Schicksal mehr zu danken als ich, das alles so gefügt hat.
Wie Du weggefahren warst, und wir gingen vom Bahnhof weg, war mir wohl – – eigener zu Mut, als wie ich von Wien wegmußte. Mir schnürte was die Kehle zu, und so gingen wir wortlos hinaus. Da sagte ich zum Klotz: „Glaubst Du, jetzt könnt ich wirklich heulen!“
Und da wärs schon aus mit der Fassung und – – –
Wir waren dann beim Drobner [Gastwirtschaft], damit man in Wirbel kommt und in andere Gedanken.
Aber das war auch nichts, ich trank ein einziges Glas Wein, und dann gingen wir nach Haus. Ich konnte wenig schlafen, dafür dachte ich aber mehr an Dich, Dir’s auch so gegangen sein mag.
Den andern Tag war ich in der Batterie. Ich bekam eine Karte vom 19. VI. in der violetten Schrift, wie ich Dir schon eine zeigte. Das war diese „erste“, von der in der andern, die Du kennst, die Rede ist. Von ihm war dazugeschrieben: Besten Gruß und Dank. – Unterschrift. Jetzt kommt aber der Clou. Nachmittag hatte ich Dienst, ebenso heut vormittag. Also, da kamen wieder 2 Stück Post, darunter auch für mich ungeheuer viel. Halbzerfetzt, total fett, etc.
Der älteste Brief ist einer vom Reinhart, aus Lerrado, (Folgaria) vom 6. April! Bitte, jetzt haben wir weit über Mitte Juli. Dann: Ein Brief von Dir, vom 4. VI., einer v. 20. V. einer v. 22. V. einer v. 13. V. einer v. 16. V., die Karte vom Hameau [Ausflugsziel im Wienerwald], (3. VI.), eine Karte von Mama, 14. V., eine vom Willi [dem jüngeren Bruder], 22. V., und ein Brief von ihm 15. V.
Heut vormittag wurden aus obigen Säcken noch entdeckt: Deine Ausflugskarte vom 18. V. und die vom Brauhausbesichtigen. Mit der gewöhnlichen Post kam aber ein Brief in der violetten Schrift, mehr als 6 Seiten lang. Ich hab mich furchtbar geärgert, daß er nicht 24 Stunden früher kommen konnte. Er ist am 13. VI. aufgegeben.
Gerade bekomme ich noch eine Karte von Mama – Ostergrüße!! Ich habe mir deshalb erlaubt, den Brief an die Carissima a zu unter brechen, um mich dafür bedanken zu können.
Anschließend hab ich gleich fröhliche Weihnachten gewunschen, sonst passiert meinen Wünschen was ähnliches!
Nun zurück zum Gestern, und zu der traurigen Geschichte, die sich da vollzog, also am ersten Tag, seit Ihr weg wart. Wie ich schon sagte, hatte ich Dienst. Ich stand in einer Kasematte, wo der Klotz Telefonschule hielt.
Ich freute mich über die vielen Briefe und wollte gerade zu lesen beginnen, da gibts irgendwo einen dumpfen Schlag. Rasch hinaus. Draußen laufen Kanoniere nach einem Platz auf dem freien Feld vorm Werk, über das auch Ihr gegangen seid, und einige sind bemüht, ein halb herausragendes, mächtiges Eisenstück auszugraben, das hergeflogen war. Ein Blick auf die Fabrik, die ganz in braunen Rauch gehüllt war, daß nur die Schornsteine wie warnend heraussahen, belehrte sofort. In den Säureflaschen, die dort neben den Geleisen stehen, war ein anderes Stück hereingesaust. Ein Unglück war klar.
Ich ließ sofort alle herumstehenden Leute in die Fabrik mitgehen, denn vielleicht könnte es ja etwas zu helfen geben. Am Weg liegt noch ein Eisenstück, und nun bemerkt man 2 od. 3 große Löcher im Dach der Fabrik.
In der großen Halle alles voll dickem braunen Rauch. Große Verwirrung, Bestürzung, man hört von Toten und tötlich Verletzten. Niemand weiß, was war, man sucht einen Flieger, man vermutet ein Attentat, ein Mörserrohr soll geladen gewesen sein und wär nun losgegangen – – nichts bestimmtes.
Einige Verwundete werden hinaus geschafft, einer ruft noch herzzerreißend um Hilfe. Und hier: das Blut bleibt einem in den Adern stehn, eine gräßlich zerrissene Leiche. Keine Arme, keine Beine, die Kleider weggefetzt, im ganz zerrisssenen Körper Eisenteile. Dort ein Fuß, dort unkenntliche Fleischklumpen, Blut und Knochen auf den Maschinen und […], die herzumstehn. Das war ein Oberleutnant. –
Weiß Gott, wie lang er schon im Feld war, es ist ihm nichts geschen, Er war mit dem eisernen [Auszeichnung] ausgezeichnet worden. Aber das Tragische, das Furchtbare ist das, daß er gerade auf Urlaub gehen sollte. Sein Stellvertreter war gerade gekommen, und noch etwa 15 Schritte von der Unglückstelle entfernt, als es geschah. Der Arme wird vielleicht schon nach Hause geschrieben haben, daß er kommen wird, und nun kommt dafür seine Todesnachricht. Er war von der Ms. Batt 11, Du hast ihn ja auch gesehen. Er war beim Drobner im Garten, wir auf unserm gewöhnlichen Platz und Du wirst Dich erinnern, auf den Hauptmann mit dem Mil. Verd. Kr. [Verdienst Kreuz] und dem Eisernen. Gleich nach ihm kam ein Oberleutnant, auch mit dem eisernen und ich stand auf und sagte: Die muß ich mir anschaun. Dieser Oberleutnant war der unglückselige T. Morgen ist sein Begräbnis. –
Liebste Christl! Nun schließ ich für heute, ich geh jetzt zum Onkel [der in Krakow/Krakau wohnte oder stationiert war?], wie ich versprochen, und schreib morgen früh gleich weiter. Also viele herzliche Grüße und innigste Busserln von Deinem Olly.
Der morgige Briefe ist nur Fortsetzung von diesem da. Herzliche Grüße auch an die Mutter und Tante Marie.
Sammlung Frauennachlässe NL 14 I
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.
- Zur Feldpostkorrespondenz von Christine Lang und Leopold Wolf siehe auch: Christa Hämmerle: Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares. In: Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2013, S 55-83.
- Zum Kriegsfotoalbum von Leopold Wolf siehe https://ww1.habsburger.net/de.
Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 49, Brief von Christine Lang an Leopold Wolf, Datum, SFN NL 14 I, unter: URL