Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 71: Feldpost von Christl Lang und Leopold Wolf, 5. und 6. April 1916, Wien und ein unbekannter Ort in Polen

1916 04 06Die Familie von Christine („Christl“) Lang (geb. 1891) führte einen Hut-Salon in Wien. Ihr Verlobter, der Architekten Leopold („Poldi“/„Olly“) Wolf (geb. 1891), war als Reserveoffizier der Artillerie in Polen stationiert. In ihrer Korrespondenz ist das Funktionieren und Organisieren der Postverbindungen ein ständiges Thema, das auch sarkastisch behandelt wurde, wie am 5. April 1916. In der Zeit ging es auch um die Un/Möglichkeiten, Feldpost in das russisch besetzte Galizien zu senden. Christl Lang äußerte sich am 6. April 1916 weiters über die veränderten Möglichkeiten der Erwerbstätigkeiten von Frauen, die Anwesenheit von polnischen Flüchtlingen in Wien, die Tätigkeit ihrer Hausangestellten und die Kriegsdienst-Verpflichtung ihres älteren Onkels. Sie schilderte einen Küchenunfall, die Kontakte zur Familie des Bräutigams und den Zeitvertreib ihres Umfelds: einen Käfigvogel und das Kartenlegen.

Postkarte von Leopold Wolf an Christl Lang

5. IV. 16.
Liebste Christl!
Heute früh erhielt ich als schönen Morgengruß Deine Karte vom 30. v. M. Alles im Hinterland lamentiert: keine Post, warum schreibst Du nicht, schon so lang nichts gehört, schreib doch mehr, u.s.f. Jeder von uns kriegt derartige Lamentos, doch die Abhilfe liegt in höherer Macht (…). Der Professor P. (?) würde sagen: das weiß also nur Gott und der Feuerwerker [die Feuerwehr], daher wolle Sie sich an einen der beiden Herrn wenden. Na, mach Dir keine Sorge, Christl, derweil gehts uns noch gut, wie früher. Herzlichen Dank für die Grüße von Mama und Papa und tausend Busserln Dein Poldi.

Brief von Christl Lang an Leopold Wolf

Wien, 6.4.1916.
Mein liebster Poldi!
Leider komme ich erst heute dazu Dir für Deinen letzten Brief vom 13. u. 14. und die Karte vom 21. v. M. die mich ganz besonders freute, herzlichst zu danken. Euer Wiedersehen [mit Leopold Wolfs älterem Bruder Hanns, geb. 1890, der in der Nähe von ihm stationiert wurde] hat mich bestimmt nicht minder gefreut wie Euch selber. Hoffentlich war es nicht nur so vorübergehend, zumindestens bleibt Ihr in der Nähe, nicht wahr? Hanns ist der reinste Prophet, er sagte mir nämlich voraus, daß er am Dienstag den 21. früh bei Dir sein werde, was ich ihm aber nicht glauben wollte und nun kam es doch so, na umso besser. Hat er meine Aufträge alle pünktlich erledigt? Dann mußt Du ja schwelgen in „der Massenpost“ [vermutlich Briefe, die Christl Lang dem Schwager persönlich für den Verlobten mitgegeben hat] (…) Von Dir mein Liebster erwarte ich nun Belohnung in gleicher Form für meinen ungehemmten Fleiß. Leider ist der Weg gar lang. Deine Briefe u. K. brauchen 14-16 Tage bis sie in meine Hände gelangen, und ich bin ich froh, daß es wenigstens so geht.

Mama läßt dich herzl. Grüßen u. sagen, daß sie sehr bald wieder schreiben wird. [Dieser Satz ist am Seitenrand geschrieben.]

Nun in erster Linie teile ich Dir mit lieber Poldi daß ich natürlich sehr gerne Dir u. auch dem Anton den Wunsch erfüllen zu helfen bereit bin. [Leopold Wolf hatte Christl Lang brieflich gebeten, der Ehefrau seines Kollegen oder Untergebenen Anton einen Brief weiterzuleiten. Sie lebte in einem galizischen Dorf, das derzeit von der russischen Armee besetzt war, weswegen keine Feldpost dort hin befördert wurde.] Hätte man das eigentlich nicht schon längst tun können, über einen neutralen Staat zum Beispiel; was ich leicht veranlassen hätte können, indem ich den Brief meiner Tante in Lausanne zur Weiterbeförderung geschickt hätte? Jetzt ist das überflüssig, denn ich habe mich heute auf der Post erkundigt, und erfahren, daß man nach L.[Liczkowce] wie das Nest heißt ungehindert schreiben kann. Ich habe bereits einen Brief an Antons Frau geschrieben, ließ ihn von einer Bekannten polnisch übersetzen (sicher ist sicher) und werde ihn morgen rekommandiert absenden. Bitte sag aber dem Anton vorläufig nichts davon, denn wer weiß ob es überhaupt gelingt und wie die Geschichte ausgeht. Nachdem die Russen dort gehaust haben, wär es möglich, daß sie fort geschleppt worden sind, was Gott verhüten soll, aber man kann ja nicht wissen, es gibt da leider soviel Möglichkeiten, und da sollte man ihm doch keine Hoffnungen im Voraus machen. Es tut mir wirklich herzlich leid und ich bin schon selber sehr gespannt was wir erfahren werden, hoffentlich Gutes.

Also jetzt muß ich Dir gestehen warum ich Dir seit Samstag nicht schrieb. Es war an einem Sonntag, aber ich war grad nicht festlich gekleidet, zum Glück, als ich für unsere Leckermäulchen einen Chaudeau [über Dampf gerührte Weinschaum-Creme] machen wollte. Aus was weiß ich was für Ursachen, ging die Geschichte in die Luft und der Dampf verbrühte mir beide Arme. Das war eine ziemlich unangenehme Geschichte, denn ich bekam keinen Chandeau und dafür aber obendrein noch eine Strafpredigt von Papa wegen meiner Unvorsichtigkeit. Daß Brandwunden keine Wohltat sind weiß jeder Mensch, und so aber aus der Haut fahren kann man nicht wiewohl ich’s auch gern getan hätte, denn ich wollte nachmittag zu Euch [der Familie des Verlobten] hinaus fahren, es war ein herrlicher Tag und ich freute mich so hinaus zu kommen und einstweilen hatte ich Hausarrest. Onkel Franz ein halber Invalid, leistete mir Gesellschaft, ich sag Dir das reinste „Reserve-Spital“ Kirchengasse 3. Tante Marie war auch da, und aus lauter Langeweile wurde bis zur Bewußtlosigkeit Patiencen [ein Kartenspiel] gelegt.

Diesen Brief hab ich mindestens in 4 Raten geschrieben, drum ist er auch so durcheinand. [Dieser Satz ist am Seitenrand geschrieben.]

Ich konnte natürlich nicht mittun und lebte daher sehr zurückgezogen in einem Winkel unseres Speisezimmers, aus dem mich nur ab und zu die Wut und der Ärger hervortrieb um mir in einem Dauerlauf um den Tisch herum etwas Luft zu machen. Schönes Sonntagsvergnügen, was? In der Kunst Patiencen zu legen habe ich übrigens schon viel profetiert, bin beinah schon Virtuosin.

Für meine Brandwundern hab ich ein sehr gutes Mittel gekriegt, so daß es mir heut schon wieder besser geht. Jetzt hab ich noch eine Bandage darauf und ich bin schon neugierig ob die Flecke vergehen, ich hoffe schon. Eigentlich kann ich noch von Glück sagen, denn grad so gut hätte ich die Geschichte ins Gesicht kriegen können. Ein bissl was war ohnehin auch, aber das ist schon geheilt. Die Sache hat mich natürlich bei jeder Bewegung geniert und deshalb konnt ich auch nicht schreiben, heut geht’s aber schon wieder. Montag war ich mit der Mutter am Platz oben [dem Garten der Schwiegereltern], wo schon alles blüht und wächst. Willy [der jüngere Bruder von Leopold Wolf, geb. 1893] kam gestern herein um sich nach meinem Befinden zu erkundigen sehr schön von ihm, ich hab ihn übrigens schon sehr lange nicht gesehen. Vater hatte diese Woche Geburtstag, ich konnte aber nur schriftlich gratulieren da ja Vater selten zu Hause zu treffen ist, und ich auch sehr schwer von zu Hause weg gehen kann.

Unser altes Hausmöbel [die Hausangestellte], die Frau Kathi hat uns verlassen müssen, da sie sehr krank geworden ist und ich glaub auch kaum, daß sie je wieder arbeitsfähig wird, da hab ich jetzt sehr viel zu tun, denn jemanden Fremden will Mama jetzt nicht nehmen, da ja fast den ganzen Tag niemand in der Wohnung ist von uns. Auch im Geschäft [dem Hut-Salon der Eltern] bin ich sehr nötig, denn auch da gibt es viel Verdruß, keine Leute zu haben, die dummen Gänse werden ja alle Tramway-Schaffnerinnen, und lassen ihren erlernten Beruf im Stich, das sind unsere Wienerinnen, dafür machen sich die Polinen breit, nehmen ihnen die guten Plätze weg und profetieren jedenfalls mehr als die bei der Tramway, die nach Kriegsende doch am Trockenen sitzen werden. Wir haben bereits 5 so polnische Flüchtlinge im Geschäft [als Hutmacherinnen?] und es ist unglaublich wie sich die Leute gleich in die Situation hineinfinden.

Denn durch diese neue Ausfuhr u. Einfuhrverbote sind wir arg betroffen, nichts ist zu haben, denn bisher ist ja doch alles von Frankreich herein gekommen, über die Schweiz, aber nun ist auch das unmöglich gemacht. Es wird wirklich schon schauderhaft. An allen Ecken und Enden spürt man’s schon.

Gestern hab ich aber doch was freudiges erlebt. Ich schrieb Dir doch, daß mein Onkel seit 1. März Vaterlandsverteidiger geworden ist, mit welcher Begeisterung kann man sich vorstellen, mit einem Wort diese 4 Wochen waren ein Martyrium für ihn. Abends ist er nach Hause gekommen in einem Zustand, der einen Stein erbarmen hätte können. Der Oberst des Rgm. (der alte Krampus, mit [dem] er eine verflixte Ähnlichkeit haben soll) ist natürlich blind und taub für so etwas, aber schließlich das Ende vom Lied heißt doch K. M. am Ring [Kriegsministerium?], gestern kam der Befehl und heute begann die „Karriere.“ Mein Onkel ist der Auto-Abteilung zugeteilt worden. Ich sagte ihm erst heute bei Tisch, schade, daß Du nicht früher schon drinnen warst, da hättest Du öfters den Poldi gesehen, da hast Du im Winter oft dort zu tun gehabt, nicht wahr? Mir ist ein großer Stein von Herzen und ich bin wirklich unendlich froh daß es so gekommen ist, denn wenn ich mir meinen Onkel im Schützengraben vorstellen sollte –.

Sonst gibt es nichts besonders zu sagen, mein werter „Zimmerherr“ [ein Käfigvogel], der Hanserl lebt noch immer, (Papa’s Kleinod) bespritzt mir fleißig meine Möbel, dieses Biest, und hält die Zeit wo ich einschlafen will für die Passendste um wie verrückt in seinen vier luftigen Wänden herum zu fahren. Soeben hat er […] mit seinem Herrn große Konversation geführt, wie rührend. Am liebsten tät ich eines schönen Tages das Türl auf und den Vogel davonfliegen lassen aber wehe, würden mir alle Götter Rache schwören, so wär es nichts gegen Papa’s Rache. Nun das will ich doch nicht herauf beschwören und so lass ich’s halt wie es ist.

Mama leidet noch immer an diesem chronischen Übel (oh diese verflixten Patience Karten) Tag für Tag ist’s die selbe (…). Im Moment ist großes Kopfzerbrechen, was soll ich mit dem Bub anfangen, die Fuchteln bleiben aus, keine Ass kommen, und so weiter lauten die div. Verzweiflungsschreie, und die Zeit ist nah, wo ich als rettender Engel erscheine um den verzogenen Karren wieder ins Geleise zu bringen, und dieser Wurst ein Ende zu machen, 1, 2, 3, –.

Hm 8 Seiten! Ich dank schön, mit meiner „blessierten Hand“ das soll mir jemand nachmachen. Drum Schluß mit Jubel. Also hab ich Dir heute genug von mir erzählt, oder ist’s noch zu wenig? Du ich bitte Dich lieber Olly sei nicht so leichtsinnig angezogen sonst verkühlst Du Dich, Du bist die starke Gebirgsluft nicht gewöhnt, vergiß das nicht.
Nun noch viele viele 1000 Busserln von

Deiner Christl
Ich könnt Dir noch 8 Seiten schreiben, aber zu viel ist ungesund.

Sammlung Frauennachlässe NL 14 I
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

  • Zur Feldpostkorrespondenz von Christine Lang und Leopold Wolf siehe auch: Christa Hämmerle: Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares. In: Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2013, S 55-83.
  • Zum Kriegsfotoalbum von Leopold Wolf siehe https://ww1.habsburger.net/de.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 71, Karte von Leopold Wolf an Christine Lang bzw. Brief von Christine Lang und Leopold Wolf, Datum, SFN NL 14 I, unter: URL