State in Early Medieval Europe, 500 -1050. Foundations, Limits, Developments
L’état en Occident au Haut Moyen Âge, 500 -1050. Fondements, Limites, Développements
Zeit: 18.-21. September 2007
Ort: Aula Unicampus, Altes AKH, Hof 1, Spitalgasse 2-4 oder Alserstr. 4, 1090 Wien
Kontakt: Helmut Reimitz und Michaela Simovich
Programm
‚Staat‘ im Frühmittelalter ist ein in mehrfacher Hinsicht kontroverses Thema. Umstritten sind erstens der Anteil und die Bedeutung der spätantik-römischen Traditionen einerseits und der (in der früheren Forschung zweifellos überschätzten) ‚germanischen‘ Elemente andererseits. Damit stellt sich zweitens die Frage, wie ‚geschlossen‘ oder ‚institutionalisiert‘ man sich den ‚Staat‘ und seine Elemente im Mittelalter letztlich vorstellen darf. oder ob dieser, wie die ältere deutsche Forschung annahm, noch ganz von personalen Bindungen geprägt war (“Personenverbandsstaat“). Entsprechend wird drittens unterschiedlich beurteilt, wann ein Wandel zu „transpersonalen Staatsvorstellungen“ und Institutionalisierung einsetzte. Viertens ist (folgerichtig) strittig, ob die damaligen Zeitgenossen überhaupt ein hinreichendes theoretisches Konzept von ihrem Staat hatten. Darüber hinaus aber herrschen über diese Fragen in den Geschichtswissenschaften der einzelnen Länder fünftens nicht nur unterschiedliche Einschätzungen vor, die ihrerseits auf divergierenden Traditionen beruhen, sondern man bedient sich auch unterschiedlicher Begriffe oder gebraucht analoge Begriffe anders, was die Verständigung nicht leichter macht. Viele deutsche Mittelalterforscher lehnen es ab, für das frühere Mittelalter überhaupt von einem „Staat“ zu sprechen, und vergleichen die politischen Zustände und Ordnungen im frühen Mittelalter mit den vorstaatlichen Gesellschaften der Ethnologie, während die west- und südeuropäische Geschichtswissenschaft weiterhin zumeist zwanglos, oft aber vielleicht auch unreflektiert, von „state“, „état“, „stato“ oder „estado“ spricht. Um die Entscheidung zwischen ‚Staat’ oder ‚Nicht-Staat’ zu vermeiden, hat sich in der deutschen Mediävistik der differenzierbare Begriff ‚Staatlichkeit’ eingebürgert, der allerdings kaum in andere Sprachen übersetzbar ist (wie schon am Titel dieser Tagung ablesbar). Zwischen den verschiedenen Forschungstraditionen in Europa unterscheiden sich Forschungsinteressen und Interpretationsmuster weiterhin deutlich, und es besteht keine Einigkeit darüber, was denn ‚Staat‘ in den Geschichtswissenschaften überhaupt bezeichnet und was den frühmittelalterlichen Staat charakterisiert.
Eine Untersuchung dieser Fragen im europäischen Rahmen und in vergleichender Perspektive ist deshalb überfällig. Sie ist bislang auf der Grundlage des heute erreichten Forschungsstandes noch nicht oder allenfalls zu einzelnen Aspekten geleistet worden. Eine internationale Projektgruppe versucht daher seit einiger Zeit, einen Überblick über die Forschungslandschaft zu gewinnen und die umstrittenen Fragen der europäischen Staatlichkeit im frühen Mittelalter zu diskutieren. Schwerpunkte waren hier zunächst folgende, jeweils im europäischen Vergleich zu behandelnde Aspekte:
1. Staatskonzepte und Terminologie von der Spätantike bis zum Hochmittelalter
2. Wahrnehmungen des Staates in zeitgenössischen Texten
3. Institutionelle Grundlagen, Ressourcen und Strategien frühmittelalterlicher Herrschaftspraxis
4. Ethnos, Nation und Staat.
Erste, bei einer Reihe von Treffen einer internationalen Projektgruppe zu dem Thema gewonnene Ergebnisse wurden in einem 2006 erschienenen Band („Staat im frühen Mittelalter“, hg. v. Stuart Airlie, Walter Pohl und Helmut Reimitz) veröffentlicht.
Die Diskussionen sollen beim Symposion in breitem Rahmen fortgeführt werden, wobei vier Aspekte im Zentrum stehen:
– räumlich die gesamteuropäische Perspektive,
– zeitlich die Entwicklung vom spätantiken Rom und Byzanz und den frühmittelalterlichen Nachfolgestaaten über die karolingerzeitlichen bis zu den ottonenzeitlichen Königreichen
– methodisch die – synchron zwischen verschiedenen Regna und Räumen wie diachron anzustellende – vergleichende Betrachtung und
– inhaltlich die Fragen nach den Grundlagen und Spezifika, den Möglichkeiten und Ausgestaltungen frühmittelalterlicher Staaten einerseits und deren Grenzen und Problemen andererseits. Dieser letzte, inhaltliche Aspekt bildet das Leitmotiv für alle Vorträge.
Das Symposion, das internationale Historiker versammeln wird, die durchaus unterschiedliche Forschungsansätze vertreten, soll diesen Fragen sowohl in „nationaler“ Perspektive, nämlich in Abwägung der Zustände in einzelnen Reichen, als auch im Hinblick auf einzelne Aspekte und Fallbeispiele der „Staatlichkeit“, in jedem Fall aber in vergleichender Herangehensweise, nachgehen. Nicht die terminologische Frage (Staat oder Nicht-Staat?) soll im Mittelpunkt stehen (die außerhalb von Deutschland weniger im Vordergrund steht); vielmehr soll der Befund diskutiert werden, der dann verschiedene terminologische Entscheidungen ermöglicht. Vor allem soll überprüft werden, welche Formen und Mittel ‚staatlicher‘ Integration und welche Vorstellungen von einem staatlichen Zusammenhang sich feststellen lassen, wie diese sich in den einzelnen Regionen und Reichen unterscheiden und wie sie sich von der Spätantike bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts entwickeln. Andererseits sollen Kriterien und Elemente der Organisation des ‚großen Raumes‘ in ihren Intentionen und ihrer Wirksamkeit (oder auch ihrer mangelnden Wirksamkeit) analysiert werden. Dabei kann selbstverständlich keine Vollständigkeit angestrebt werden, wohl aber eine methodische Diskussion darüber, was einzelne Zugänge für die Debatte um den frühmittelalterlichen Staat zu leisten vermögen.
Dr. Maximilian Diesenberger
Institut für Mittelalterforschung
Österreichische Akademie der Wissenschaften
Wohllebengasse 14
A-1040 Wien
Tel.: 0043-1-51581/7203
FAX: 0043-1-51581/7230
Österreichische Akademie
der Wissenschaften
Institut für Mittelalterforschung
Internationales Symposium: Staat und Staatlichkeit im europäischen Frühmittelalter, 500-1050. Grundlagen, Grenzen, Entwicklungen, 18.-21.09.2007, Wien
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