Category Archives: Edition_1. Weltkrieg in Selbstzeugnissen

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 134: Feldpostkarten von Adolf Müller an seine Ehefrau, 27. August bis 7. September 1918 aus der Gegend von Sbarasch in der Ukraine nach Našice in Kroatien

Aus dem Nachlass von Louise und Adolf Müller sind 138 Schreiben erhalten, die der Finanzbeamte (geb. 1881) zwischen 1915 und 1918 an seine Ehefrau und die kleinen Söhne adressiert hat. Im Spätsommer 1918 war er bei Sbarasch in der Ukraine in der Kriegsverwaltung eingesetzt. Louise Müller (geb. 1886) war in Nasice in Slavonien (Kroatien) auf Sommerfrische. Auf den regelmäßig verfassten Postkarten hielt Adolf Müller die Versorgung der Kompagnie sowie auch die der Familie in Wien bzw. in den Ferien fest. Er besprach das Vorhaben, eine Gehaltserhöhung bzw. Unterhaltszahlungen zu erreichen, wozu seine Ehefrau die Amtsgänge in Wien erledigte. Wiederholt wurde auch das Funktionieren der Post angesprochen und der 37-Jährige problematisierte die gesellschaftlichen Konventionen des Korrespondierens mit Verwandten und Bekannten.

27./VIII.18
Liebe Louise!
Die Sorgen, die du dir bei Schnitzel und Gurkensalat wegen meiner Ernährung machst, sind ja begreiflich, jedoch kann ich dir zu deiner Beruhigung mitteilen, daß sie unbegründet sind. Allerdings, Schnitzel gibt’s bei uns keine, aber das Stück Rindfleisch, das wir zu Mittag bekommen, schmeckt auch ganz gut und die Menage ist im allgemeinen soweit ausreichend, daß ich mit einer kleinen Zubuße aus eigenem [Sold] meinen Hunger vorderhand – stille. Als besagte Zubuße kaufe ich mir gewöhnlich nach dem Essen ½ [?] Obst (Birnen, Zwetschken) die 1 K–1 K 50 kosten, und abds. vor dem Schlafengehen, gehe ich noch ins Kaffeehaus auf 1 Glas süße oder saure Milch. Unlängst trank ich ein Glas gezuckerte (!!) saure Milch, das war ein Göttergetränk, versuchs einmal. Kostete allerdings – etwas weniger als ¼ l – 1 K!! Aber’s war delikat! Hast du dich schon wegen des Unterhalt-Beitrages erkundigt, es soll jemand im Hause nachgefragt haben! Gruß, Kuß Adolf

28./VIII
Liebe Louise.
Ich muss dich nur fragen, ob Familie G. meine Karte, die ich ihnen gleich nach meiner Ankunft hier schrieb, erhalten hat, ich habe bis heute keine Antwort und ich schliesse daraus, dass besagte Karte vielleicht gar nicht angekommen ist. Also erkundige dich und teile mir das Ergebnis mit, denn ich möchte nicht gerne in den Augen der Emma jun. oder sen. als Flegel dastehen, der nicht weiss, was sich gehört. Bei uns vergeht fast kein Tag, wo es nicht mindestens 1 mal regnet, und die Abende sind schon geradezu kühl. Wie geht es dir und den Buam [Buben], rechnet Otto [der ältere Sohn], wenn schon nicht täglich aber wenigst[ens] hie und da einmal, schaden würde es ihm nicht. Hast du dich schon erkundigt, wegen des U. B. Schreiben [betreffend einer Gehaltserhöhung bzw. Unterhaltszahlungen] an die Kontr. H. oder F., vielleicht teilen die dir mit, was los ist. Gruss und Kuss, Adolf

28./VIII
Liebe Louise.
Ich bekomme schon wieder 3 Tage keine Post von dir, findest du gar keine Zeit mehr, deinem armen Manne zu schreiben? Ich habe gestern auch an H. Konr. E. geschrieben und ihn um Auskunft gebeten, was es für eine Bewandtnis mit unserem Unterhaltsbeitrag hat, da angeblich jemand im Hause war, ein pane [?] Amtsdiener und sich nach dir erkundigt hat. Ich hoffe, er hat nicht unerlaubte Absichten gehabt, sondern blos den Auftrag, dir das Dekret, enthaltend Gewährung oder Abweisung (hoffentlich das erstere) zuzustellen. Heute ist im Sokolsaale Liedertafel des ukrainischen Gesangvereines, ich werde vielleicht ein wenig hin schauen. Mein gegenwärtiger Saldo Vortrag beträgt 3 K 50, also kannst dir vorstellen, dass ich heut der Welt einen Haxen ausreissen werde. Also Continue reading

Klicktipp: „3 Piloten – 1 Krieg“ (Weblog)

Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (MHM Gatow), Royal Air Force Museum (RAFM) und Musée de l’Air et de l’Espace (MAE) (Weblog)

Der Weblog ist ein internationales Gemeinschaftsprojekt. Er stellt drei junge Männer vor, die im Ersten Weltkrieg als Kampfpiloten eingesetzt waren: Peter Falkenstein, Jean Chaput und Bernard Curtis Rice kamen aus Deutschland, aus Frankreich und Großbritannien – als Soldaten waren sie „Feinde“. Ihre Feldpostschreiben und auch andere Quellen wie Tagebucheinträge, Auszeichnungen etc. werden auf der Website jeweils 100 Jahre, nachdem sie verfasst worden sind, gepostet. Die Quellen sowie auch ausführliche Kontextinformationen sind dabei jeweils in drei Sprachen verfügbar. (Weblog)

Beschreibung: „Die Piloten des Ersten Weltkriegs wurden in der nationalen Propaganda ihrer Herkunftsländer zu Rittern der Lüfte, Pionieren und Helden stilisiert. Doch wie sah die Realität aus? Wie wurde ein Mann Pilot? Was erlebte er im Krieg? Wie nahm er seine Umwelt wahr? Das Royal Air Force Museum London, das Musée de l’Air et de l’Espace – Aéroport de Paris – Le Bourget und das Militärhistorische Museum der Bundeswehr auf dem Flugplatz Berlin-Gatow wollen im Gemeinschaftsprojekt ‚Drei Piloten – Ein Krieg‘ einen Einblick in die Lebenswelt von drei Soldaten geben, die im Ersten Weltkrieg kämpften.“

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 133: Tagebuch von Ella Reichel, 21. August und 27. September 1918, Neulengbach

Die Eltern von Ella Reichel (geb. 1905) führten am Hauptplatz der Stadtgemeinde Neulengbach im Wienerwald eine Eisenwarenhandlung. Seit ihrem 8. Lebensjahr notierte sie sporadisch diaristische Aufzeichnungen. In den Beschreibungen der Ereignisse aus ihrem sozialen Umfeld waren Kriegsbezüge allgegenwärtig. Im Sommer 1918 war das u.a. die Enthebung ihres 44-jährigen Vaters aus dem Kriegsdienst oder Aktionen, bei denen Schulklassen Bromberblätter und Buchecken sammelten. Im Zuge dessen beschäftigte die 13-Jährige sich auch mit Geschlechterkonventionen. Im Herbst 1918 nannte sie zahlreiche Krankheits- und Sterbefälle in der Umgebung. Gleichzeitig wurde ein komfortabler Kuraufenthalt in Oberösterreich geschildert.

21. August 1918.
Ein Vierteljahr ist bald vergangen, seit ich zum letztenmal eingeschrieben habe. Seit dem hat sich vieles ereignet. Mitte Juni wurde mein Vater auf unbestimmte Zeit enthoben. Wir waren alle furchtbar froh darüber. Dann fuhr Mutter zu Doktor S. nach Sankt-Pölten, da ihre Drüse zu ungeahnter Größe angewachsen war. S. sagte, daß Mutter unbedingt nach Bad-Hall müsse. Da es sein mußte und Vater auch wegen der Drüse enthoben wurde, Mutter aber allein nicht fahren wollte, so fuhr auch ich mit. Am 25. Juni, ½ 8h früh wurde abgereist. Ich mußte natürlich früher aus der Schule austreten, da die Ferien erst am 15. Juli anfingen. Darüber kränkte ich mich selbstverständlich nicht. Am 18. September muß ich aber eine Prüfung ablegen, da ich sonst kein Zeugnis bekomme. Zum Glück traten auch „R.“ und „L.“ von meiner Klasse mit mir aus. Erstere fuhr auf Sommerfrische, Letztere wurde schwer krank. Also machen wir drei, die Prüfung mitsammen. Aber nun weiter. Nachdem wir abgedampft waren, errangen wir erst in St. Pölten mit Mühe und Not einen Platz, natürlich 2. Klasse. In unserem Abteil war auch eine Dame, die nach „Hall“ zur Kur fuhr. Die Fahrt war äußerst langweilig. Um ½ 5 h Nachmittags kamen wir in Hall an. Bei unserer Ankunft war sehr schönes Wetter. Wir gingen gleich in die uns von Frau Z. rekommandierte „Pension Albrecht“, wo wir auf 8 Tage aufgenommen wurden, dann aber wo anders hingeschickt wurden, da unser Zimmer schon vergeben war. Nachdem wir uns umgekleidet und gewaschen hatten, gingen wir auf Anraten Frau A.s noch heute zu Doktor „Haidentaler“. Er ist ein älterer Herr und war sehr lieb und freundlich. Mutter mußte früh und {Nachmittag} abends 3 Gläser Jodwasser trinken. Er verordnete auch, daß wir 4 Wochen hier bleiben müssen.

27. September 1918.
Wieder ist ein Monat vergangen. Luisl [eine Freundin] fuhr am 16. fort [sie besuchte in Gmunden eine Ausbildung oder hatte dort eine Dienststelle]. Beim Abschied weinte sie ein bißchen, ich aber nicht. Von ihr habe ich erst einen Brief erhalten. Sie hat schon 1 ½ kg abgenommen, aber Heimweh hat sie nicht. Heute erst, war unsere Prüfung. In allen Gegenständen weiß ich, daß ich lauter vorzüglich habe, nur in Rechnen weiß ich ’s nicht bestimmt. Wenn ich nur lauter vorzüglich hätte! Wenn ja, bekomme ich ein Buch. R. hat auch nicht lauter 1, L. brauchte keine Prüfung machen. R. und ich lernten immer bei uns, vor der Prüfung. Morgen bekommen wir die Zeugnisse. Auch Prüfungstage muß man zahlen. 12 K. Gemeinheit! Diese Woche war es richtig lustig in der Schule. Fräulein S. und U. [die Lehrerinnen] waren von Ungarn noch nicht hier. Daher hatten wir noch keinen geregelten Unterricht.
Vormittag wurden die 2. und 3. Klasse zusammengezogen und Frl. M. unterrichtete. Nachmittags gingen wir, die ganze Bürgerschule, Knaben und Mädchen mit Lehrer W. und R. (ein neuer Lehrer aus Asperhofen) Brombeerblätter sammeln. Es war furchtbar lustig.
Im Dreiföhrenwald spielten wir dann; der Kaiser schickt Soldaten aus. W. spielte mit. Es war Continue reading

Klicktipps: Übersichten zu Quellensammlungen aus dem Ersten Weltkrieg auf Portalen und in den Sozialen Medien (Weblogeinträge)

Ein Ausgangspunkt für diese Zusammenstellung im Salon 21 war der Weblogeintrag von Mareike König auf „La Grande Guerre 1914-2014“ (2014)

Anlässlich des Erinnerungsjahres 1914 (und auch bereits zuvor) wurden international zahlreiche Digitalisierungsprojekte umgesetzt. Hier werden Selbstzeugnisse und andere historische Quellen online auf Portalen und in verschiedenen Formaten der „Sozialen Medien“ zur Verfügung gestellt.

Bei Selbstzeugnissen handelt es sich in den meisten Fällen um die Kriegstagebücher von Soldaten bzw. deren Feldpostbriefe. Die Projekte sind jeweils unterschiedlich konzipiert. In einigen werden die Quellen auch jeweils genau 100 Jahre, nachdem sie verfasst worden sind, gepostet. Diese Projekte werden entsprechend nach wie vor laufend erweitert.

Die folgenden Zusammenstellungen bieten verschiedene Informationen über unterschiedliche Online-Ressourcen:

Christian Götter und Andreas Eberhard auf „H-Soz-Kult“
Christian Götter und Andreas Eberhard (Braunschweig) stellten bereits 2012 eine Sammelrezension von „digitalen Quellensammlungen zum Ersten Weltkrieg“ für die moderierte Informations- und Kommunikationsplattform H-Soz-Kult zusammen. (Web)

Klaus Graf auf „Archivalia“
Der Historiker Klaus Graf brachte im Jänner 2014 eine unkommentierte Auflistung von verschiedenen Initiativen in seinem Weblog „Archivalia“. (Web)

Mareike König auf „La Grande Guerre 1914-2014“
Die Historikerin Mareike König stellte in ihrem Weblog „La Grande Guerre 1914-2014“ im August 2014 die Übersicht „Der Erste Weltkrieg ‚in Echtzeit‘: Tagebücher 1914-1918 in den Sozialen Medien“ zusammen. Darin werden mehrere Projekte besprochen, eine weiterführende Linkliste erweitert die Vorstellung. (Web)

Otto Vervaart auf „digital 1418“
Der niederländische Historiker Otto Vervaart ging im Februar 2014 mit dem Weblog „digital 1418“ online, in dem er „digital projects concerning the First World War“ vorstellt. Diese Aufstellung wird auch aktuell noch ergänzt. Sie zeigt dabei den enormen Umfang und die vielen unterschiedlichen Perspektiven von Quellen-Ressourcen zum Ersten Weltkrieg, die inzwischen erarbeitet worden sind und online zur Verfügung stehen. (Web)

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 132: Feldpostkarten von Adolf Müller an seine Ehefrau und die kleinen Söhne, 11. bis 22. August 1918 aus der Gegend von Sbarasch in der Ukraine nach Našice in Kroatien

Adolf Müller (geb. 1881) war im Zivilleben Finanzbeamter in Wien. Als Soldat war er in der Kriegsverwaltung tätig. Im Sommer 1918 hatte er Urlaub mit seiner Familie in Nasice in Slavonien (Kroatien) verbracht. Anfang August rückte er von dort wieder in das Frontgebiet bei Sbarasch in der Ukraine ein. Die von ihm erhaltenen Postkarten an seine Ehefrau Louise Müller (geb. 1886) sind teilweise mit Schreibmaschine verfasst. Es werden darin u.a. Einkommensstrategien besprochen. Das Ehepaar bemühte sich offenbar um eine Gehaltserhöhung bzw. Unterstützungszahlungen, wofür Louise Müller Amtsänge erledigte. Adolf Müller beschrieb weiters seine Tagesabläufe und Menüfolgen. Auch gab der 37-Jährige Kommentare zur Erziehung und der Ernährung der zwei kleinen Söhne ab. Kritik an der aktuellen Situation wird v.a. subtil ausgedrückt, etwa durch die Verwendung der auf Postkarten gedruckten Phrase „Ich bin gesund und es geht mir gut.“

Zbaraz, 11./VIII.18
Liebe Louise!
Ich bin fahrplanmäßig gestern morgens um 6h in Budapest angekommen, verwendete den Vormittag zur Besichtigung der Stadt, n.m. gegen 2h fuhr ich wieder fort, war heute früh um 8h in Lemberg, wo schon der Zug nach Tarnopol bereit stand, um 2h waren wir in T. und um 5h im gelobten (?) Lande Zbaraz. Im Laufe dieser Woche sollen die noch beim SW Baon verbliebenen Deutsch Meister des Mannschaftsstandes – also ohne die Chargen – zum IR4 einrücken, also ich bleibe, nach den Worten zu schließen mit denen mich der Baonsadjudant Ltnt. H. begrüßte hier!
Gruß & Kuß Adolf [quer über den Text geschrieben]

11./VIII.17
Lieber Otto! [Der ältere Sohn]
Die Mutter hat mir geschrieben, dass du der Großmutter einen Wunsch [Gratulationsschreiben] geschrieben hast. Hoffentlich ist er dir möglichst schön, & fehlerfrei gelungen. Denke dir, vielleicht komme ich gar Ende dieses oder Anfang des nächsten Monats auf ein paar Tage nach Wien, bzw. Prittlach [Prítluky in Südmähren]. Weißt du, der Kaiser braucht, weil wir so eine gute Menage [Verpflegung] haben, schon wieder Geld & da muß ich Kriegsanleihe zeichnen, was du & Gottfried [der kleine Bruder] gezeichnet habt, ist schon aufgehangen. Nehmt ihr fleißig Sonnenbäder? Und tust du hie & da lesen, schreiben & rechnen? Vergiß nicht ganz darauf! Viele Bussi dir & Gottfried
schickt euer Vater

14./VIII.18
Liebe Louise.
Ich erhielt gestern eine Karte von Mutter, worin sie sich nach dem Pipi [Huhn], das noch immer nicht gekommen ist, erkundigt. Also schaue, dass du im Laufe der Woche vielleicht etwas, wenn auch kein Federvieh, ihr schicken kannst [von der Sommerfrische nach Wien], denn ein gegebenes Versprechen muss man halten. Heute ist N. wieder auf Absentierung gefahren, weil seine Mutter schwer erkrankt ist, also habe ich wieder das Vergnügen täglich von 8 Uhr morgens bis [.] Uhr abds. in der Kanzlei zu hocken. Was machen die Buam [Buben]? Weinen sie, wenn die Mutter zum Kovar drahn geht [möglicherweise zum Tanz]? […] Und wie geht es dir? Hoffentlich „bist du gesund und es geht dir gut“? Bei uns ist am 17. grosses Kaiserfest mit Tanzkränzchen. Jedenfalls ohne mir. Gruss, Kuss, Adolf. Continue reading

Klicktipp: „The Rural Diary Archive: Canadien Diaries from 1800 to 1960“ (Portal)

6f8d78b78a4fe11ad5d146bfe94af3d9University of Guelph, Canada: „The Rural Diary Archive“ (Web)

Auf der Website werden die Scans von hand- oder maschingeschriebene Tagebuch-Aufzeichnungen aus den ländlichen Regionen der großen Provinz Ontario im Südosten Kanadas zur Verfügung gestellt. Derzeit sind es Aufzeichnungen von 24 verschiedenen Verfasser/innen. Diese Quellen sind Teil des Bestandes des „Rural Diary Archive“ an der University of Guelph.

Die frühesten der Aufzeichnungen in diesem Bestand gehen bis Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Die Schreiber/innen waren häufig Migrant/innen aus Europa. Der Bestand wird laufend erweitert – und die Besucher/innen der Website sind aufgerufen, einzelne Seiten zu transkripieren. Entsprechend ist die Website als „Citizen-Science“-Projekt zu verstehen.

Beschreibung auf der Website: „Our archive showcases over 150 Ontario diarists from 1800 to 1960. Discover and Meet the Diarists are good places to get acquainted with these people from the past. Learn how to unlock the riches within their daily entries and escape into the past. You can read and search through handwritten or typed nineteenth-century diaries. Help us transcribe the handwritten ones to make these valuable sources accessible to all.“

Liste der online verfügbaren Tagebuchaufzeichnungen (Link).

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 131: ‚Müttertagebuch‘ von Maria E. für ihren 1914 geborenen Sohn „Nusserl“, 5. Juni bis 24. Juli 1918, Steiermark

Die 28jährige Steirerin Maria E. war vierfache Mutter. Ihre Kinder waren zwischen einem und fünf Jahren alt und sie führte für jedes von ihnen ein sogenanntes ‚Müttertagebuch‘. Das Buch für den 1914 geborenen Heribert, genannt Nusserl oder auch Berterl, liegt in der Sammlung Frauennachlässe in Auszügen als PC-Abschrift vor. In diesen Büchern wurde die jeweilige Entwicklung der drei Buben und des Mädchens eingetragen. Daneben werden Ereignisse aus dem familiären Umfeld geschildert, wobei u.a. die aktuell gewordene Versorgungslage dokumentiert ist, die inzwischen auch besser situierte Familien betroffen hat. Im Juni 1918 wurde Maria E.s Ehemann vom Fronteinsatz nach Graz versetzt. Dabei brachte er u.a. auch Lebensmittel mit. Das Müttertagebuch von Maria E. liegt in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschrift vor.

Wieder vereint.
5. Juni: Um 5 Uhr früh kommt endlich der Papa und geht nie mehr fort. [Adolf E., geb. 1885, war als Jurist von einem Kriegsschauplatz in Italien an das Gericht in Graz versetzt worden.] Jubelnd sagt sich das unser Heribert immer wieder. Dann geht es ans Auspacken. Die Großmama muß auch dabei sein. Wieder gibt es Kirschen [Adolf E. hatte wenige Tage zuvor bereits Kirschen durch einen Boten senden lassen], wobei Nuß nicht zu kurz kommt, da er ja lange schon gar nichts mehr angestellt hat. Aber auch alles andere interessiert ihn, besonders die große überzogene Kiste, die zusammengerollte Matratze, die Leintuch-Landkarte, und die zahlreichen Photographien, wo überall der Papa und viele Kanonen darauf sind.

6. Juni: Berterl darf mit dem lieben Papa zu Dr. J. Darob viel Freude.

7. Juni: Wir gehen nach Andritz [Ortsteil von Graz]. Nusserl erwirbt sich an Mama G. und Lenerl schon wieder neue Freunde. […]

20. Juni: Heribert hat eine ziemlich große Phantasie. Die Geschichten, die ihm erzählt werden, malt er sich alle schön aus. Mit dem großen Bruder [dem 5jährigen Elmar] spielt er oft „Adam und Eva!“ Beide setzen sich dabei unter Karlis [geb. 1917] Schlafwagen und sprechen mit geteilten Rollen. Den „Apfel“ pflücken sie unter entsprechenden Gesten aus der Höhe und das scheinbare Essen macht ihnen großes Vergnügen.

30. Juni: Tante Mizzi aus Gnas [in der Südoststeiermark] machte für die Buben Anzüge aus Sandsäcken und Heribert paßt er besonders gut. „Die Tante Mizzi ist wohl brav!“ wiederholt er ein um das andere Mal und geht im neuen Gewand dem Papa entgegen. Der Kleine ist nicht eitel, nur freut er sich mit jedem Ding, das ihm gehört und gibt auf alles, auch auf Kleider sorgsam acht. […]

6. Juli: Ich bin in Heriberts Ansehen gestiegen, weil ich [von einem Krankenhausaufenthalt] auch einmal einen vollen Koffer mitgebracht habe. Am meisten freuen den zweiten die Nüsse von der Gnaser Tante! Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 130: Feldpostbriefe von Maria E. in der Steiermark und Adolf E. aus von der Gegend von Udine, 2. und 4. Juni 1918

Die Korrespondenz des Ehepaares Maria und Adolf E. liegt in der Sammlung Frauennachlässe in Auszügen als PC-Abschrift vor. Maria E. (geb. 1890) war in einer steirischen Stadt aufgewachsen, wo sie die Ausbildung zur Klavierlehrerin absolviert hatte. Ihre Eltern waren Kaufleute. 1913 heiratete sie den aus Böhmen gebürtigen Juristen Adolf E. (geb. 1885), ihre Kinder waren 1913, 1914, 1915 und 1917 geboren worden. Adolf E. war seit 1915 zum Frontdienst „bei Gericht“ eingezogen. Im Frühjahr 1918 hielt er sich dabei in der Gegend von Udine auf, im Juni wurde er nach Graz versetzt.

2. Juni 1918, Adolf E. an Maria E.

[Meine liebe Maria!]
[…] Es ist mein letzter Brief, den ich Dir schreibe, denn meine Transferierung ist gekommen, ich komme und dann soll ja sobald nicht mehr die Notwendigkeit eintreten, Dir schriftlich zu sagen, was ich mit Dir reden will. […]
In diesem meinem hoffentlich für recht lange Zeit letzten Briefe will ich Dir nochmals sagen, wie innig lieb Du mir bist, wie ich nur an Dich denke und mit jeder Faser meines Herzens an Dir hänge …
Wenn nun auch die schwere Zeit noch nicht aus ist, jetzt, da ich komme, wollen wir sie miteinander eines Geistes tragen und für Dich und die Kleinen auf bessere Tage warten, die ja auch uns gewiß noch schlagen; alles spricht ja dafür:
Du gehst der Genesung entgegen [Maria E. war an TBC erkrankt], die Kleinen wachsen sich heraus [derzeit hatten drei ihrer vier kleinen Kinder die Schafblattern], der Krieg wird ja auch nicht mehr ewig dauern u. dann wird schon für mich eine Stelle zu finden sein, wo es uns so geht, dass wir nicht zu klagen haben. Das erhoffe ich mir schon Deinetwegen, um Dir danken zu können für alle Deine große Liebe zu mir u. um vergessen zu machen, was Schweres Du alles während der letzten Jahre erleben mußtest. Ich fasse meine Rückkehr nach Graz als Wendepunkt zum Bessern auf u. Hand in Hand wollen wir eines Sinnes unserem Glücke für uns u. unsere Kinder entgegenstreben, ich lebe in der Überzeugung, dass Du ja dasselbe fühlst. – […] Transferiert bin ich zum Gerichtsoffizier des Stellvertreters des Militärkommandanten Graz; die Kanzlei ist beim Paulustor, wo im 1. Stock das Divisionsgericht ist u. ich früher war, nur sind seine Kanzleiräume im Parterre; das Gute ist, ich habe dann nur einen Chef, und nicht viele Herren u. wenn mein neuer Chef – ich weiß nicht ob es ein Bekannter ist – ein guter Mann ist, wird es eine ganz schöne Tätigkeit werden […]
[Dein Adolf]

4. Juni 1918, Maria E. an Adolf E.

[Mein lieber Adolf!] Continue reading

Klicktipp: „FLY – Forgotten Letters Years 1900-1974“ aus Portugal (Portal)

Faculdade de Letras da Universidade de Lisboa, Centro de Linguística (CLUL),  Alameda da Universidade (Web)

Das Projekt „FLY Forgotten Letters Years“ sammelt Selbstzeugnissen aus Portugal – und stellt diese online zur Verfügung. Auf dem Portal sind 2.000 Briefen verfügbar, die zwischen 1900 und 1974 verfasst wurden.

Die Selbstzeugnisse werden als Abschriften (in portugisischer Sprache) zur Verfügung gestellt, dabei finden sich auch immer kurze Kommentare zum historischen, sprachlichen und soziologischen Kontext.

Constituição da amostra

Insgesamt konnten bisher 3.700 Briefe in 16 öffentlichen Archiven und 130 Privatsammlungen gesammelt werden. Die auf dem Portal veröffentlichten 2.000 Schreiben sind eine Auswahl davon, bei umfangreichen Korrespondenzen wurden 20 Briefe ausgewählt. Der Korpus beträgt insgesamt ca. 700.000 Wörter, geschrieben von 572 Autor/innen; Diese kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Ihre Selbstzeugnisse handeln u.a. von den Themen Krieg, Auswanderung, Gefangenschaft oder Exil.

1.860 Schriftstücke wurden in persönlichen Zusammenhängen verfasst, an Verwandte, Freund/innen, Verliebte oder Bekannte. 140 weitere sind – meist von Emigrant/innenen – an das Nationale Informationssekretariat (SNI) gerichtet worden.

Von den 870 erfassten Personen (Schreiber/innen und Empfänger/innen) sind 78 % Männer, 22 % Frauen, was die hohe Analphabet/innenrate in Portugal widerspiegelt, die auch geschlechterspezifisch geprägt war. In den Korrespondenzen geht es dementsprechend auch vorwiegend um die Männer, die als Soldaten eingezogen oder inhaftiert waren, dem Staat verwiesen oder ausgewandert, und dabei gelernt haben, zu schreiben. Knapp die Hälfte der Briefe ist an Frauen adressiert. (Web)

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 129: Feldpost von Christl und Leopold Wolf, 19. April 1918, von Wien an einen unbekannten Ort in Polen

Im Frühling 1918 war die Wienerin Christl Wolf (geb. Lang, geb. 1891) Mutter geworden. Brieflich berichtete die 27-Jährige ihrem Ehemann Leopold Wolf (geb. 1891) von der Entwicklung des Säuglings. Daneben schilderte sie auch die neue Situation als Haushaltsvorständin und ihre Erwartungn an ihr Dienstmädchen. Im selben Brief erklärte sie geschäftliche Entscheidungen ihrer Eltern, über die sie detailliert informiert war und fragte nach Anweisungen von ihrem Ehemann, wie sie hier in seiner Abwesenheit auftreten solle.

Wien, 19. IV. 1918.
Liebster Poldi!
Schönen Dank für Deinen heutigen Brief, der allerdings erst nach 5 tägiger Pause eintraf. Also trotzdem Dich die Langeweile plagt wie ich bemerke entwickelst Du nicht einmal den in letzter Zeit so bewährten Schreibfleiß. Oder, nimmt Dich die ominöse Kaffeehausbedienung, auf die Du ein Auge (wie schön von Dir, daß Du nicht gleich alle zwei wirfst) zu werfen beabsichtigtest so in Anspruch? Armes Kind was hast du für einen Vatta!!! –
Nun die Einleitung Deines Briefes in der es heißt, daß Du Dich nur für 14 Tage installierst ist ja sehr verheißungsvoll, ansonsten verrätst Du mir aber nicht viel, wie die Sache steht. Die 14 Tage wären ja bald um, also lang hast Du nimmer Zeit. […]
Dann gleich noch eine Neuigkeit. G., d. i. dem Papa sein Häuseragent, der ihm bis jetzt Häuser kauft u. verkauft hat ist vorgestern gekommen und hat dem Papa einen Käufer für das Stroheckgassenhaus gebracht und seit gestern hat Papa schon das Geld in der Tasche. Und zwar mit glänzenden Gewinn. Kannst Dir vorstellen was für ein Geris um die Häuser ist. Der Besitzer vom Blatt „Salon“, ein gewißer E. hats gekauft. […] (Reiner Gewinn 40.000 K) doch bitt ich Dich das nicht weiterzuerzählen. Mama setzt sich nun in den Kopf bis l. Mai muß ein anderes in Hitzing gekauft sein, und setzt alle Hebel in Bewegung. Na ich bin neugierig ob das gelingt.
[…] Bei der Gelegenheit mach ich Dich aufmerksam, daß es Mama ihre Absicht ist, falls sie ein Haus jetzt kaufen und eine halbwegs passende Wohnung drinnen ist, selbe uns anzutragen. Das heißt auf Deutsch, daß sie will, daß wir in ihr Haus ziehen. Wie verhältst Du Dich dazu, daß es seine Vor- u. Nachteile hätte brauche ich nicht erst sagen. Bitte schreibe mir, wie ich mich diesbezüglich Mama gegenüber zu verhalten habe.
Dann erinnere ich Dich gleich, daß Mama am 7. Mai Namenstag hat, einen Tag nach Continue reading