Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 134: Feldpostkarten von Adolf Müller an seine Ehefrau, 27. August bis 7. September 1918 aus der Gegend von Sbarasch in der Ukraine nach Našice in Kroatien

Aus dem Nachlass von Louise und Adolf Müller sind 138 Schreiben erhalten, die der Finanzbeamte (geb. 1881) zwischen 1915 und 1918 an seine Ehefrau und die kleinen Söhne adressiert hat. Im Spätsommer 1918 war er bei Sbarasch in der Ukraine in der Kriegsverwaltung eingesetzt. Louise Müller (geb. 1886) war in Nasice in Slavonien (Kroatien) auf Sommerfrische. Auf den regelmäßig verfassten Postkarten hielt Adolf Müller die Versorgung der Kompagnie sowie auch die der Familie in Wien bzw. in den Ferien fest. Er besprach das Vorhaben, eine Gehaltserhöhung bzw. Unterhaltszahlungen zu erreichen, wozu seine Ehefrau die Amtsgänge in Wien erledigte. Wiederholt wurde auch das Funktionieren der Post angesprochen und der 37-Jährige problematisierte die gesellschaftlichen Konventionen des Korrespondierens mit Verwandten und Bekannten.

27./VIII.18
Liebe Louise!
Die Sorgen, die du dir bei Schnitzel und Gurkensalat wegen meiner Ernährung machst, sind ja begreiflich, jedoch kann ich dir zu deiner Beruhigung mitteilen, daß sie unbegründet sind. Allerdings, Schnitzel gibt’s bei uns keine, aber das Stück Rindfleisch, das wir zu Mittag bekommen, schmeckt auch ganz gut und die Menage ist im allgemeinen soweit ausreichend, daß ich mit einer kleinen Zubuße aus eigenem [Sold] meinen Hunger vorderhand – stille. Als besagte Zubuße kaufe ich mir gewöhnlich nach dem Essen ½ [?] Obst (Birnen, Zwetschken) die 1 K–1 K 50 kosten, und abds. vor dem Schlafengehen, gehe ich noch ins Kaffeehaus auf 1 Glas süße oder saure Milch. Unlängst trank ich ein Glas gezuckerte (!!) saure Milch, das war ein Göttergetränk, versuchs einmal. Kostete allerdings – etwas weniger als ¼ l – 1 K!! Aber’s war delikat! Hast du dich schon wegen des Unterhalt-Beitrages erkundigt, es soll jemand im Hause nachgefragt haben! Gruß, Kuß Adolf

28./VIII
Liebe Louise.
Ich muss dich nur fragen, ob Familie G. meine Karte, die ich ihnen gleich nach meiner Ankunft hier schrieb, erhalten hat, ich habe bis heute keine Antwort und ich schliesse daraus, dass besagte Karte vielleicht gar nicht angekommen ist. Also erkundige dich und teile mir das Ergebnis mit, denn ich möchte nicht gerne in den Augen der Emma jun. oder sen. als Flegel dastehen, der nicht weiss, was sich gehört. Bei uns vergeht fast kein Tag, wo es nicht mindestens 1 mal regnet, und die Abende sind schon geradezu kühl. Wie geht es dir und den Buam [Buben], rechnet Otto [der ältere Sohn], wenn schon nicht täglich aber wenigst[ens] hie und da einmal, schaden würde es ihm nicht. Hast du dich schon erkundigt, wegen des U. B. Schreiben [betreffend einer Gehaltserhöhung bzw. Unterhaltszahlungen] an die Kontr. H. oder F., vielleicht teilen die dir mit, was los ist. Gruss und Kuss, Adolf

28./VIII
Liebe Louise.
Ich bekomme schon wieder 3 Tage keine Post von dir, findest du gar keine Zeit mehr, deinem armen Manne zu schreiben? Ich habe gestern auch an H. Konr. E. geschrieben und ihn um Auskunft gebeten, was es für eine Bewandtnis mit unserem Unterhaltsbeitrag hat, da angeblich jemand im Hause war, ein pane [?] Amtsdiener und sich nach dir erkundigt hat. Ich hoffe, er hat nicht unerlaubte Absichten gehabt, sondern blos den Auftrag, dir das Dekret, enthaltend Gewährung oder Abweisung (hoffentlich das erstere) zuzustellen. Heute ist im Sokolsaale Liedertafel des ukrainischen Gesangvereines, ich werde vielleicht ein wenig hin schauen. Mein gegenwärtiger Saldo Vortrag beträgt 3 K 50, also kannst dir vorstellen, dass ich heut der Welt einen Haxen ausreissen werde. Also besser‘ Dich und schreibe bald deinem Adolf.

29/VIII.18
Liebe Louise.
[…] Gestern war Liedertafel des ukrain. Gesangsvereins, ich hörte mir ein Stück an, einen gemischten Chor für Männer- und Frauenstimmen, den haben sie ganz tadellos gesungen. Bussi Adolf.

2./IX.18
Liebe Louise.
Du schreibst mir nicht, ob Onkel Jaques meine Gratulation erwidert hat, ich bekomme von Familie G. keine Antwort, ich bin ausser mit dir nur noch mit Mutter und Karl in Korrespondenz, denn wer meine Karten und Briefe nicht beantwortet, dem dränge ich mich nicht auf. Ich habe Langs [die Eltern der Cousine Christl Wolf] von hier aus noch nie nicht geschrieben, und werde auch nicht eher schreiben bis ich nicht von ihnen eine Bestätigung über meine Schreiben erhalte. Ich habe es endlich einmal satt, immer den Demütigen zu spielen und mich ungestraft gar so als Nullerl [österreichischer Begriff für eine als inferior wahrgenommene Person] behandeln zu lassen. die 50 K liess ich mir durch einen Kameraden, der 13 auf 3 Tage nach Wien fuhr, aus der Sparkasse (von Karl) 14 herausbringen, also kannst du dir vorstellen, dass es mir momentan nicht schlecht geht. Wie lange gedenkst du in N. [Nasice in Slavonien/Kroatien] zu bleiben? Elise und Clothilde waren wieder in Wien. Gruss und Kuss Adolf.

3./IX.18
Liebe Louise!
Deinen Brief vom 29./VIII. habe ich heute erhalten und entnehme aus demselben, dass es euch gut geht. Herrn Kontrollor E. habe ich schon geschrieben, bin auf die Antwort neugierig. Wenn du nur bis 15. draussen bleibst [in der Sommerfrischt], ist es ja vielleicht möglich, dass du mit dem Gehalt bis dahin auskommst ob ich dich werde abholen können, weiss ich nicht, schreibe mir auf alle Fälle genau den Tag, an dem du Nasice zu verlassen gedenkst, dann werden wir ja sehen. Dass die Kinder wenig Milch trinken, macht mir gar keine Freude, denn gerade das wäre ihnen sehr wohltuend. Mutter hat mir schon geschrieben, dass sie Butter und Topfen von dir erhalten hat und sehr erfreut war. Unsere Adresse in W.W. wird sein: Etappen Post Nr. 167. Wir dürften Ende dieser Woche dorthin abgehen, also kannst du deine künftigen Korrespondenzen dorthin richten. Gruss, Kuss Adolf.

7./IX.18
Liebe Louise!
Also das ist die letzte Karte, die ich dir nach N. schreibe, die nächste dürftest du schon in Wien lesen. Ich weiß zwar nicht, wie lange meine Karte zu dir hinunterbrauchen, aber da ich deine so beiläufig nach 6-8 Tagen erhalte, so vermute ich daß sie in der umgekehrten Richtung auch nicht schneller gehen dürften. Glaubst du, solange reicht dein Gehalt, den du um 1. bekommen hast, auszukommen, oder gedenkst du vielleicht „vor der Schlacht von Waterloo“ eine Anleihe von Fl. [Gulden, ehemalige Währung in Österreich-Ungarn] bei der G. Mutter zu machen? Ich frage jetzt schon ob Familie G. meine Karte von hier erhalten hat, Antwort – keine. Ja, ja, aus den Augen aus dem Sinn. Sage einmal, hat Onkel G. meine Gratulation erwidert, ich habe ihnen von hier aus noch nicht geschrieben, weil ich auf eine Korrespondenz mit jemandem, der es nicht der Mühe wert erachtet, meine Karten zu erwidern, verzichte. Sonst geht es euch, hoffentlich gut, bei uns regnets ohne Ende. Gruß, Kuß Adolf

Sammlung Frauennachlässe NL 14 III
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

Das Ehepaar Müller war nahe verwandt mit der Familie von Leopold Wolf und Christl Lang, SFN NL 14 I.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 134, Postkarten von Adolf an Louise Müller, Datum, SFN NL 14 III, unter: URL