Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 132: Feldpostkarten von Adolf Müller an seine Ehefrau und die kleinen Söhne, 11. bis 22. August 1918 aus der Gegend von Sbarasch in der Ukraine nach Našice in Kroatien

Adolf Müller (geb. 1881) war im Zivilleben Finanzbeamter in Wien. Als Soldat war er in der Kriegsverwaltung tätig. Im Sommer 1918 hatte er Urlaub mit seiner Familie in Nasice in Slavonien (Kroatien) verbracht. Anfang August rückte er von dort wieder in das Frontgebiet bei Sbarasch in der Ukraine ein. Die von ihm erhaltenen Postkarten an seine Ehefrau Louise Müller (geb. 1886) sind teilweise mit Schreibmaschine verfasst. Es werden darin u.a. Einkommensstrategien besprochen. Das Ehepaar bemühte sich offenbar um eine Gehaltserhöhung bzw. Unterstützungszahlungen, wofür Louise Müller Amtsänge erledigte. Adolf Müller beschrieb weiters seine Tagesabläufe und Menüfolgen. Auch gab der 37-Jährige Kommentare zur Erziehung und der Ernährung der zwei kleinen Söhne ab. Kritik an der aktuellen Situation wird v.a. subtil ausgedrückt, etwa durch die Verwendung der auf Postkarten gedruckten Phrase „Ich bin gesund und es geht mir gut.“

Zbaraz, 11./VIII.18
Liebe Louise!
Ich bin fahrplanmäßig gestern morgens um 6h in Budapest angekommen, verwendete den Vormittag zur Besichtigung der Stadt, n.m. gegen 2h fuhr ich wieder fort, war heute früh um 8h in Lemberg, wo schon der Zug nach Tarnopol bereit stand, um 2h waren wir in T. und um 5h im gelobten (?) Lande Zbaraz. Im Laufe dieser Woche sollen die noch beim SW Baon verbliebenen Deutsch Meister des Mannschaftsstandes – also ohne die Chargen – zum IR4 einrücken, also ich bleibe, nach den Worten zu schließen mit denen mich der Baonsadjudant Ltnt. H. begrüßte hier!
Gruß & Kuß Adolf [quer über den Text geschrieben]

11./VIII.17
Lieber Otto! [Der ältere Sohn]
Die Mutter hat mir geschrieben, dass du der Großmutter einen Wunsch [Gratulationsschreiben] geschrieben hast. Hoffentlich ist er dir möglichst schön, & fehlerfrei gelungen. Denke dir, vielleicht komme ich gar Ende dieses oder Anfang des nächsten Monats auf ein paar Tage nach Wien, bzw. Prittlach [Prítluky in Südmähren]. Weißt du, der Kaiser braucht, weil wir so eine gute Menage [Verpflegung] haben, schon wieder Geld & da muß ich Kriegsanleihe zeichnen, was du & Gottfried [der kleine Bruder] gezeichnet habt, ist schon aufgehangen. Nehmt ihr fleißig Sonnenbäder? Und tust du hie & da lesen, schreiben & rechnen? Vergiß nicht ganz darauf! Viele Bussi dir & Gottfried
schickt euer Vater

14./VIII.18
Liebe Louise.
Ich erhielt gestern eine Karte von Mutter, worin sie sich nach dem Pipi [Huhn], das noch immer nicht gekommen ist, erkundigt. Also schaue, dass du im Laufe der Woche vielleicht etwas, wenn auch kein Federvieh, ihr schicken kannst [von der Sommerfrische nach Wien], denn ein gegebenes Versprechen muss man halten. Heute ist N. wieder auf Absentierung gefahren, weil seine Mutter schwer erkrankt ist, also habe ich wieder das Vergnügen täglich von 8 Uhr morgens bis [.] Uhr abds. in der Kanzlei zu hocken. Was machen die Buam [Buben]? Weinen sie, wenn die Mutter zum Kovar drahn geht [möglicherweise zum Tanz]? […] Und wie geht es dir? Hoffentlich „bist du gesund und es geht dir gut“? Bei uns ist am 17. grosses Kaiserfest mit Tanzkränzchen. Jedenfalls ohne mir. Gruss, Kuss, Adolf.

21./VIII.18
Liebe Louise.
Aus deiner Karte vom 15. ersehe ich, dass meine Karte von Budapest nach Nasice gerade 5 Tage gebrauch hat, das sind ja recht tröstliche Aussichten für Galizien, da dürfte so eine Karte 3 Wochen brauchen. Mutter schrieb mir, dass sie meine 1. Karte vom Felde in 4 Tagen nach Weidling [traditioneller Sommerfrische-Ort bei Wien] bekommen hat, während eine Karte von Tante Marie aus Gars [in Niederösterreich] 8 Tage brauchte. Dass du wartest, ist mir sehr unangenehm, hoffentlich nicht vergeblich. Also gegen Ende dieses [.] heisst s wieder: Auf nach Wolhynien [Gegend in der nordwestlichen Ukraine]. Was wird uns denn dort wieder bevorstehen? Immer, wenn man wo ein bisschen eingewöhnt ist, heisst s wieder wandern (zu einer andern.) Was machen die Buam, baden sie fleisig in Wasser und Luft? Bei uns vergeht kein Tag, wo es nicht mindestens 1 mal regnet. Gruss und Kuss an dich, die Buam und die übrige Nasicer Plattn [?].
Adolf [quer über den Text geschrieben]

22./VIII.18
Liebe Louise!
Gestern n.m. kam N. von seiner Absentierung zu rück, ich konnte also wieder zum 1. male seit 8 Tagen um 8h die Kanzlei verlassen. Ich gieng also zuerst nachhause, um mich ein bisschen herzurichten, dann besuchte ich G. und gegen 9h gieng ich in ein Kaffeehaus, wo ich immer abds die Reste des I.R. 4 versammeln. Es waren auch bereits einige 12-15 Mann dort, ich trank 2 Milchkaffee, aß eine Art Zwieback dazu, trug auf allgemeines Verlangen, wie es im Theaterjargon heißt, einige meiner Kriegsgedichte vor und trollte mich gegen 11h wieder heimwärts. Hast du schon wegen des Gehaltes an H. B. oder H. Kontr. H. geschrieben? Hat der Karl schon Geld geschickt und wie viel? Rechnet Otto noch hin und da, wenn schon nicht täglich? Das alles interessiert mich!
Gruß Kuß Adolf

Sammlung Frauennachlässe NL 14 III
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

Das Ehepaar Müller war nahe verwandt mit der Familie von Christl und Leopold Wolf, SFN NL 14 I.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 132, Postkarten von Adolf an Louise Müller, Datum, SFN NL 14 III, unter: URL