Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 129: Feldpost von Christl und Leopold Wolf, 19. April 1918, von Wien an einen unbekannten Ort in Polen

Im Frühling 1918 war die Wienerin Christl Wolf (geb. Lang, geb. 1891) Mutter geworden. Brieflich berichtete die 27-Jährige ihrem Ehemann Leopold Wolf (geb. 1891) von der Entwicklung des Säuglings. Daneben schilderte sie auch die neue Situation als Haushaltsvorständin und ihre Erwartungn an ihr Dienstmädchen. Im selben Brief erklärte sie geschäftliche Entscheidungen ihrer Eltern, über die sie detailliert informiert war und fragte nach Anweisungen von ihrem Ehemann, wie sie hier in seiner Abwesenheit auftreten solle.

Wien, 19. IV. 1918.
Liebster Poldi!
Schönen Dank für Deinen heutigen Brief, der allerdings erst nach 5 tägiger Pause eintraf. Also trotzdem Dich die Langeweile plagt wie ich bemerke entwickelst Du nicht einmal den in letzter Zeit so bewährten Schreibfleiß. Oder, nimmt Dich die ominöse Kaffeehausbedienung, auf die Du ein Auge (wie schön von Dir, daß Du nicht gleich alle zwei wirfst) zu werfen beabsichtigtest so in Anspruch? Armes Kind was hast du für einen Vatta!!! –
Nun die Einleitung Deines Briefes in der es heißt, daß Du Dich nur für 14 Tage installierst ist ja sehr verheißungsvoll, ansonsten verrätst Du mir aber nicht viel, wie die Sache steht. Die 14 Tage wären ja bald um, also lang hast Du nimmer Zeit. […]
Dann gleich noch eine Neuigkeit. G., d. i. dem Papa sein Häuseragent, der ihm bis jetzt Häuser kauft u. verkauft hat ist vorgestern gekommen und hat dem Papa einen Käufer für das Stroheckgassenhaus gebracht und seit gestern hat Papa schon das Geld in der Tasche. Und zwar mit glänzenden Gewinn. Kannst Dir vorstellen was für ein Geris um die Häuser ist. Der Besitzer vom Blatt „Salon“, ein gewißer E. hats gekauft. […] (Reiner Gewinn 40.000 K) doch bitt ich Dich das nicht weiterzuerzählen. Mama setzt sich nun in den Kopf bis l. Mai muß ein anderes in Hitzing gekauft sein, und setzt alle Hebel in Bewegung. Na ich bin neugierig ob das gelingt.
[…] Bei der Gelegenheit mach ich Dich aufmerksam, daß es Mama ihre Absicht ist, falls sie ein Haus jetzt kaufen und eine halbwegs passende Wohnung drinnen ist, selbe uns anzutragen. Das heißt auf Deutsch, daß sie will, daß wir in ihr Haus ziehen. Wie verhältst Du Dich dazu, daß es seine Vor- u. Nachteile hätte brauche ich nicht erst sagen. Bitte schreibe mir, wie ich mich diesbezüglich Mama gegenüber zu verhalten habe.
Dann erinnere ich Dich gleich, daß Mama am 7. Mai Namenstag hat, einen Tag nach den Vater seinen. Bitte vergiß nicht. Wenn Du auch glaubst Du könntest bis an dem Tag in Wien sein, so schreibe doch auf alle Fälle eine Karte. Du weißt ja, Mama ist in der Beziehung riesig empfindlich. –
Wegen der Gas brauch ich nichts mehr unternehmen, da ja jetzt schon uneingeschränkter Verbrauch gestattet ist. Erst im Herbst muß ich mich wieder darum kümmern. Bitte vergiß nicht auf meine Aspestplatte [?], ich könnte sie schon so notwendig brauchen. Das Maß hast Du in Deinem Notizbuch. Einen Schein d.h. die Quittung von Deiner Gage habe ich gefunden. Es steht drauf, daß Du sie umgehend unterschrieben einsenden sollst. Ich glaub das ist jetzt schon zu spät. Du wirst das dort schon geordnet haben, nicht wahr? Na auf alle Fälle heb ich ihn auf.
Unserem Mädi gehts recht gut, bis auf den Ausschlag, also besser ist er schon, sie hat teilweise schon eine neue Haut, aber die ist so fein u. zart, daß die viele Nässe, trotzdem ich sie sehr fleißig trocken lege, doch beständig reizt. Das wird noch lange dauern bis das gut wird. Aber sonst ist sie schon so herzig, sie kann schon recht stramm ihr Kopferl halten, allein darf ich sie auch nicht liegen lassen, z.B. wenn sie offen am Diwan liegt und es passt ihr irgendetwas nicht rutscht sie gleich davon. Als ich sie das letztemal gewogen hab, hatte sie 3260 gr. also sie nimmt ganz schön zu. Sie ist auch kolossal lebhaft und bei Tag schläft sie nicht mehr so viel wie früher! In der Nacht ist sie meistens recht brav. Sehr oft schläft sie von 1/2 10h bis um 1/2 7, 7h früh. Mehr kann man doch nicht verlangen.
Auch ich schaue schon bedeutend besser aus. Hab wieder ein volleres Gesicht. Ich glaub Du wirst zufrieden sein mit Deinem schönen Weibi, wenn Du wieder kommst, doch wenn Du nur schon da wärst. Ich komm mir so halb vor, es fehlt mir immer was, so einsam ist’s. Lang ertrag ich das nicht!
Heute habe ich noch dazu eine Sorge mehr. Mit der B. [dem Dienstmädchen] hat es doch keinen Halt. Ich muß mich um eine Nachfolgerin umsehen was schwer genug ist. Nachdem es aber nicht anders ist, kann man nichts machen. Sie schimpft täglich über die Kriegsküche in einer Weise, die mir zuwider ist. Ich glaube nämlich auch, sie wird von den anderen Mädeln beim Essen holen aufgehetzt. Sie erzählt mir ja sehr oft wie sie alle miteinander dort schimpfen über die Küche u. ihre Frauen. Dann will sie mir den Kinderwagen nicht hinauf u. hinunter tragen. Nun was soll ich da machen?
Wegen der Kost hätt sie sich wahrlich nicht so beklagen brauchen. Wenns auch Mittag weniger gut war, dafür hatten wir abends immer was gutes. Wir haben jeden abend Fleisch und was dazu. Mehr kann man doch nicht.
Mama hat mir vorige Woche einige male Fleisch geschickt, dann vom Onkel das Geselchte, und vom Gagistenverein [Vereinigung von Berufssoldaten] bekam ich auch ein schönes Stück, also gings ja ganz gut. Am Waschtag hat sie sich mit einem Dienstboten im Haus gestritten, hat die eine „dalkerte Böhmerin“ geheißen u.s.w. und hat mir gleich damals versichert, sie wascht nicht mehr, weil sie sich nicht streitet. Doch schließlich, der Quatsch wird Dich nicht interessieren. Schwamm drüber.
Doch ja noch etwas, zwischen unsere beiden dienstbaren Geister, Deinem u. meinem spinnt sich was. Mehr kann ich Dir nicht sagen, weil Du ja die Briefe liegen läßt.
Den „Fiori“ [?] werd ich Dir morgen schicken. Die beiden Zeichnungen im heutigen Brief sind Dir wieder gelungen. Besonders der „Bundesbruder“ mit der […]hose. Das andere verstehe ich nicht ganz. Das mußt Du mir erklären, und ich muß jetzt schließen, denn das Mädi hat Hunger, was sie mir sehr geräuschvoll zum Bewußtsein bringt.
Also bitte liebstes Manni schreib ein bissl fleißiger und komm recht recht bald.
Sei innigst geküßt von Deinem einsamen Weibi.

Sammlung Frauennachlässe NL 14 I
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

  • Zur Feldpostkorrespondenz von Christine Lang und Leopold Wolf siehe auch: Christa Hämmerle: Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares. In: Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2103, S 55-83.
  • Zum Kriegsfotoalbum von Leopold Wolf siehe https://ww1.habsburger.net/de.

Das Ehepaar Wolf war verwandt mit der Familie von Louise und Adolf Müller, SFN NL 14 III, die in ihrer Feldpost auch Bezug auf sie nahmen (Link).

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 129, Brief von Christine Wolf sn Leopold Wolf, Datum, SFN NL 14 I, unter: URL