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Der Erste Weltkrieg in Nachlässen von Frauen Nr. 142: Tagebuch von Bernhardine Alma, 17. November 1918 bis 11. Jänner 1919, Wien

Bernhardine Alma (geb. 1895) beschrieb in ihrem Tagebuch die politisch aufgeheizte Stimmung in ihrem persönlichen Umfeld. Sie schilderte das „Politisieren“ mit verschiedenen Personen, insbesondere die nationalistischen Unstimmigkeiten mit ihrem Geliebten Jaro G. beschäftigten sie sehr. Dabei ist eine allgemeine Resignation in den Einträgen festzustellen, insbesondere durch die anhaltend schwierige Situation, Lebensmittel und Heizmaterial bekommen zu können.

17./XI. 1918 Sonntag, Nachmittag
[…] Meisner [einer der Zeitungsredakteure, der literarische Texte von Berhardine Alma verlegt hat] [und ich] gingen gemeinsam nach Hause, er klagt über Kopfschmerzhen etz, politisierte, wobei ich sogar die Partei der Kaiserin Zita nahm, da er sie „haßt“. […]

Sonntag, abends, 24./XI. 18.
[…] Teilweis tut es mir sehr leid, daß wir den Krieg so verhaut haben. Gott erbarme sich! […]

4./XII. 18. Abends
„Mein Gott, mein Gott! Warum hast du uns verlassen!“
Diese trostlose politische und wirtschaftliche Lage, dazu dies elende Wetter! Diese Welt von Haß, der wir preisgegeben sind. Dabei persönliche Enttäuschungen und innere Quälereien – […]

8.12.1918
[…] Mein armes, liebes, schönes Wien!!! – – Wenn’s nur bald anders werden möchte! –
[…] Der Jaro schweigt sich wieder mal aus. Und das letzte mal war er so voll Triumpf wegen der czechischen Erfolge, mir, der Deutschen gegenüber – […]

11.1.1919
[…] Heute bekam ich einen sehr netten und lieben Brief vom Sektionschef, ein Dankschreiben für die im R. K. [Roten Kreuz] geleistete Arbeit. Das ist wenigsten eine sehr liebe Anerkennung, gefiel auch den Eltern sehr. […]

Sammlung Frauennachlässe NL 09
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Der Erste Weltkrieg in Nachlässen von Frauen Nr. 141: Tagebuch von Bernhardine Alma, 12. bis 15. November 1918, Wien

Im November 1918 übereschlugen sich die Ereignisse für Bernhardine Alma (geb. 1895). Während sich ringsum große politische Veränderungen abzeichneten, erfüllte sich mit der Rückkehr ihres Geliebten Jaro G. für sie ein großer persönlicher Wunsch. Im Tagebuch hat dieses Thema jedenfalls mehr Gewicht. Gleich beim ersten Treffen der Verliebten kam es aber offenbar zu politischen Unstimmigkeiten.

12. November 1918. Abends
Ich bin, muß Gott so, so, so dankbar sein. Und mein Jarerl hab ich ganz sinnlos gerne. Und nun endlich darf ich die Angst um ihn los sein, muß nicht mehr um sein süßes Leben zittern! Der Krieg ist ja aus und er ist in Wien – ist da! – Gott ist so gut! Könnte ich Seine unendliche Gnade nur verdienen! – es kommt mir direkt unglaubhaft vor, daß mein süßes Jarerl nun wirklich aus aller Gefahr ist – daß er da, daß ihm nichts geschehen ist. Denn die leichte Fußwunde, die er hat, zählt ja nicht. Vorläufig bleibt er in Wien. Das andre gibt sich dann, entweder kommt er nach Böhmen (ich hab ihm schon England & Frankreich eingegeben) oder so etwas. [Jaro G. war gebürtiger Tscheche.] Ich hab ihn ja so gerne! – – – – –
Übrigens waren Sonntag der Onkelrudolf v. M. da & die Lislhauser, die ganz begeistert von meinem Haar war, da, von dem sie nicht glauben wollt‘, daß Natur sei.
Heute Donau [vermutlich eine Verkaufsstelle für Lebensmittel]; ich hatte sehr viel in der Küche zu tun. Nachher ist mein Jarerl gekommen. Er hat kein Barterl mehr, ist rasiert wie ein Schauspieler. Er geht mit dem Stock. Wir saßen im Speiszimmer, er politisierte, wodurch er mich zwang, die Partei der Deutschen zu nehmen.
Dann fragte er, was das Klavier macht, ich sagte, daß es drinnen steht. Dann kam der Pa [Vater der Schreiberin], der mit ihm sehr nett war, obwohl er ihn ja nicht leiden mag. Er küßte mir natürlich beim Gehen & Kommen trotz meines Weigerns die Hand und sagte, daß er Freitag käme, wenn er dürfe. Ich mächt‘ ja so gerne, daß er kommt! Wenn er nur bald kommen möchte, recht bald! – Hoffentlich am Freitag oder eher. […] Ich bin neugierig, wie’s morgen sein wird. – […] – –
Mein Jarerl ist so, so, so, so lieb! D.W.g.!

Leopoldi 1918 ab 15./XI. Nachmittag
Heute beichtete ich beim Pfarrerl, der wieder sehr herzig war, empfing vom Unterl die heiligste Communion. [Die Schreiberin verwendete für verschiedene katholische Geistliche, die sie konsultierte, Kosenamen, jeweils mit einer Endung auf -erl.]
Das war etwas Schönes, sehr Schönes – wenngleich ich sonst sehr traurig bin. Es gibt Augenblick, da ist es, als Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus den Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 140: Tagebuch von Bernhardine Alma, 10. und 11. November 1918, Wien

Die junge Wienerin Bernhardine Alma (geb. 1895) schilderte in ihrem umfangreichen Tagebuch im Spätherbst 1918 einerseits ihre Wege, Aufwendungen und Strategien, für den Familienhaushalt ausreichend Lebensmittel und Kohlen zu bekommen. Andererseits dokumentierte sie die rasanten politische Entwicklungen sowie die Unsicherheiten über deren Ausgang. Gleichzeitig formulierte sie auch ihre Wunschvorstellungen von ihrer eigenen beruflichen Zukunft. Dabei wurden die Schilderungen der politischen Ereignisse von persönlichen überlagert – und sie berichtete etwa am 11. November 1918 ausführlicher vom überraschend möglich gewordenen Wiedersehen mit dem als Soldat eingerückten Geliebten, als vom Ende der Habsburgermonarchie.

10. November 1918. Sonntag, Nachmittag.
[…] Schreibend esse ich ein Stückel von dem Powidelbrot, das ich gestern gemacht habe. – Gestern Steg, Donau [verschiedene Lebensmittelläden]; Nachmittag ging ich in die Stefanskirche zu meinem ehemaligen Samstaggeistlichen. Er erkannte mich wieder, erinnerte sich noch an so viel und war wieder reizend! Sehr reizend. – Gott ist so unendlich gut; es ist am besten, Ihm alles zu überlassen; Er wird ja auch das Schicksal unsres armen Vaterlandes leisten. In Deutschland haben sie eine ordentliche Revolution; der Wilhelm ist gegangen, die Republik ausgerufen u.s.w. Alles ruht in Gottes Hand. Und wenn Er jetzt auch schwere Zeiten über uns schickt, so wird auch die Erlösung kommen. Man muß nur hoffen wollen und dann kann man es auch!
Auf Nachricht vom Jaro [Geliebter der Schreiberin im Fronteinsatz, von dem die Schreiberin schon längere Zeit keien Nachricht hatte] warte ich schon sehr, weil ich so gerne die Sicherheit haben möchte, daß ihm in den letzten Kriegstagen, bei der Meuterei unserer Truppen u.s.w. nichts geschehen ist, weil ich schon wissen will, was nun mit ihm geschieht. – Die Obstltin [Abkürzung für „Frau Oberstleutnant“, eine Bekannte der Familie] hat gesagt, wenn ich heirate, zieht sie mich an, vom Kopf bis Fuß muß ich wie „ein Zuckerl“ aus schauen. Na ja! Sie war heute wieder sehr liebenswürdig. […]
Heute beichtete ich nochmals beim […], der sehr lieb war, diesmal Küßte ich ihm die Hand, empfing vom Pfarrerl die heilige Communion. Gott ist unendlich gut! Mit der diesmaligen Wäsche bin ich noch nicht ganz fertig, aber es fehlt nur noch ein kleines bisserl. Ich hab ein liebes erwartungsvolles Gefühl, wofür ich Gott sehr, sehr danke!
Willst du dir ein hübsch Leben zimmern / Mußt dich ums Vergangne nicht kümmern / Das Wenigste muß dich verdrießen / Mußt stets die Gegenwart genießen / Besonders keinen Menschen hassen / Und die Zukunft Gott überlassen!
Ich will zum Theater [als Schauspielerin]! Ich bin aber nicht mehr so dumm, daß ichs beim bloßem Willen lasse, sondern werde mich eben prüfen & dann ausbilden lassen, eventuell ohne Wissen der Eltern! Dann werden ja doch stolz sein auf ihre berühmte Tochter. Der Trieb, den Gott in Jedem schuf, ist sein natürlicher Beruf! D.W.g.! [Dein Wille geschehe]

11./ XI. 18. abends
Was werde ich morgen hereinschreiben? Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 139: Tagebuch von Ella Reichel, 1. November 1918, Neulengbach

Ella Reichel (geb. 1905) lebte in Neulengbach, wo ihre Familie zum gehobeneren Bürger/innentum gehörte. In ihrem sporadisch geführten Tagebuch schilderte die 13-Jährige im Herbst 1918 aktuelle Ereignisse: Sie zählte einige politische Ereignisse auf und kommentierte sie, vermischt mit Berichten aus ihrem Freundinnenkreis, der Schule und ihrer Gardarobe. Sie benannte Todesfälle in der Umgebung und berichtete, dass die Schule wegen der Spanischen Grippe geschlossen sei. Gleichzeitig machte sich das Mädchen Gedanken über gesellschaftliche Konventionen und philosophierte über das Erwachsenwerden.

1. November 1918
Allerheiligen! Aber nicht wie sonst. Früher war alles so feierlich, und jetzt? Alles ist aufgeregt. Es hat sich auch großes zugetragen. Unser Kaiser Karl will abdanken und wir werden eine Republik bekommen. Wien ist keine Residenzstadt mehr, sondern nur eine Stadtgemeinde. Eine Revolution ist unausbleiblich. Die Leute fürchten sich schon alle. Sie denken wahrscheinlich dasz gemordet und geraubt wird. Unsinn! Bis zu uns werden sie ja gar nicht kommen die Revolutionäre. Ich fürchte mich nicht ein bißchen. Aber in Wien soll es ja schauderhaft zugehen. Nun genug von dem. […]
Von Luisl traf gestern eine Nachricht ein. Die O. schrieb, daß Luisl ein keckes Benehmen hat und daß sie nichts kennt, als essen und schöne Kleider. Auch ein Zeugnis hat sie mitgeschickt. 3, 2 und nur ein paar 1. Ich würde mich schämen an Luisls Stelle. [Die Freundin Luisl war seit Herbst 1918 in Gmunden zur Ausbildung.] Aber nun muß ich auch noch die Todesfälle bezeichnen.
Also: die Jüngste vom Schloßer M., die 9 jährige Greterl starb an Ruhr. Die Friedel P. starb an Tihus, ihr Vater an Lungenentzündung und ihre Mutter liegt auch an Tiphus inm St. Pölten. Frau S. starb an der spanischen Grippe! Mutter, Vater, Florl und ich hatten auch die Grippe, aber nur im leichten Grade. In unserer Gemeinde sind während dieser Zeit schon 50 Personen gestorben. Schrecklich! Nun etwas anderes. Im Oktober bekam ich von Frau R. einen wunderschönen Ring zum Geschenk. Gold und mit einem kl. Herz aus Türkis, darum kleine falsche Perlen. Heute hatte ich meinem Mantel zum erstenmal an, nachdem er gefärbt wurde. Er ist jetzt dunkelblau und sehr schön. Dazu hatte ich mein schwarzes Pelzerl und einen weißen umgeänderten Filzhut. Sehr herzig war ich heute angezogen. Seit 11. Oktober haben wir schon Ferien, wegen der Grippe. Am 5. November fängt die Schule wieder an. Fad! Ich lerne jetzt nicht mehr bei Hr. Ö. Klavier, sondern bei Gretl [ihrer älteren Cousine]. Man muß viel üben, lernt aber auch viel mehr. Ich lerne sehr gerne bei ihr.
Heute ist ein fader Tag. Regen und Regen und wieder Regen. Gar kein la Tousaint. Trotzdem ist nach dem Segen eine Prozession. Wie haben wir uns im Frieden immer auf Allerheiligen gefreut. Im alten Friedhof kleine Kerzerl anzünden und auf alle Gräber Kreuze von weißen und schwarzen Beeren machen, das war lustig. Aber wenn jetzt auch Frieden wäre, ich wäre ja doch schon zu groß dazu. Ach, daß ist fad, daß man immer hören muß: „So ein großes Mädel wie du bist, und noch immer spielen“. Wenn ich nur immer im so bleiben würde, wie ich jetzt bin. Aber das geht leider nicht! Continue reading

Klicktipp: Auszüge aus historischen Quellen zum Herbst 1918 (ORF-Fernsehen)

ORF-Schwerpunkt zum November 1918

Wie bereits im März 2018, als Erinnerung an die Ereignisse im Frühling 1938, (Link) werden im ORF-Fernsehen auch anlässlich des Jubiläums der Republiksgründung im Herbst 2018 täglich wechselnde Zitate aus Selbstzeugnissen, Pressemeldungen und weiteren historischen Quellen vorgestellt. Die Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität ist dabei mit Auszügen aus fünf verschiedenen Tagebüchern vertreten.

Die Zusammenstellung aller Beiträge kann derzeit in der TVthek angeschaut werden (Link).

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus den Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 138: Tagebuch von Bernhardine Alma, 24. Oktober bis 2. November 1918, Wien

Ab Ende Oktober 1918 überschlugen sich in Berlin, Budapest und Wien die politischen Ereignisse. Im Tagebuch von Bernhardine Alma (geb. 1895) lässt sich nachvollziehen, welche (Falsch-)Informationen sie davon wann erhalten hat. Insbesondere wird die Unsicherheit betreffend der weiteren Entwicklung deutlich. Wiederkehrend wurde auch die Lebensmittel- und Heizmaterial-Knappheit dokumentiert. Im Herbst 1918 beschrieb die junge Frau dabei auch, wie sich die Bekannte und Verwandte gegenseitig aushalfen. Präsent wird in ihren Aufzeichnungen zudem ein zunehmender Nationalismus innerhalb der Habsburger Monarchie. Dieses Thema war für die Wienerin insbesondere zu verhandeln, da ihr Geliebter ein „Czeche“ war.

24. X. 1918, abends Donnerstag
„Weh! Ich kenn‘ mich selbst nicht mehr!“ Das Wetter ist kühl, aber schön. Die Luft ist oft so erfrischend, kräftigend. Es liegt etwas Starkes in ihr! Der Stadtpark ist so schön gefärbt; ich weiß nicht, ob er alle Jahre so schön war, so bunt, in solch herrlicher Farbenpracht! […]
Ich hab mein kleines Wien so, so gerne! Möchte es groß und glänzend sein!
Der Kaiser Karl ist mit seinen Leuten nach Ungarn gefahren. Wenn er die Ungarn uns vorzieht, brauchen wir ihn auch nicht, dann mag ich ihn auch nicht mehr! Wenn nur bald, bald äußerer Friede würde – und daß der Wilson [Thomas W. Wilson, Präsident der USA] und die Entente uns nicht gar zu schwere Bedingungen setzen!
Gestern bekam ich von der Hulda [vermutlich einer Bekannten] einen Brief und 300 Tabletten Sacharin [synthetisch hergestelltem Süßstoff]. […]

27. X. 1918, abends
In mir ist solch schweres, trauriges Gefühl! – Ich bin sehr traurig und müd – im Inneren so müd. Manche tun mir so leid und mit mir bin ich nicht zufrieden. Schön ist bloß, wenn ich das hl. Altarsakrament empfange. Heute tat ichs wieder nach einer sehr guten Pfarrerlbeichte [Beichte bei einem bestimmten Pfarrer], wobei er wieder meine Hand so lieb festhielt. […] Nachmittag war die Tanteanna da. Sie hat gefunden, daß ich „schmächtig“ bin. […]
Und doch hab ich den Jaro [Geliebter der Schreiberin, der sich derzeit an einem unbekannten Ort an der Front aufhielt] von Herzen lieb. Ich merk‘ es an meiner Vorliebe für Czechen. Und manchmal hab ich rasende, quälende Angst um ihn. In Italien wird ja noch so viel gekämpft. Gott schütze ihn – – und schenke uns bald den ersehnten Waffenstillstand. Heute war der Onkelrudolf von Mama da.

Mittwoch, 30. X. 18, abends
Gott ist so gut, viel besser, als wirs verdienen. Nun möge er auch noch unser armes Vaterland in seinen Schutz nehmen, da es nun schon einmal auseinander geht. Wozu wurde der dumme Krieg nur geführt und von uns gar so verloren. Aber wenigstens bekommen wir doch jetzt scheinbar bald Waffenstillstand und Frieden. Gebeten haben wir ja den Wilson oft genug darum, nun die Entente auch. Was mit dem Jarerl [Jaro G.] nun sein wird? Ob er nach Böhmen gehen wird? Wann er nach Wien wird kommen? Ich glaube, daß ich Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Nachlässen von Frauen Nr. 137: Feldpost von Christl Lang und Leopold Wolf, 15. und. 22. Oktober 1918, von einem unbekannten Ort in Italien nach Niederösterreich

Christine Wolf (geb. Lang, geb. 1891) und Leopold Wolf (geb. 1891) aus Wien waren seit Frühsommer 1917 verheiratet. Seit Winter 1918 waren sie Eltern einer kleinen Tochter. Christine Wolf lebte in den letzten Monaten in einem Ausweichquartier in Niederösterreich. Aus der Feldpost des Paares sind gut 200 Schreiben erhalten. Die zwei am spätesten datierten Schreiben wurden im Oktober 1918 verfasst. Darin geht es um Artzbesuche der jungen Mutter, die Regelung der Gehaltseinstufung als Soldat sowie auch Strategien einer möglichen Versetzung. Der inzwischen als „Autooffizier“ im Rang eines Oberleutnants bei der Artillerie eingestufte Leopold Wolf deutet darin mehrfach an, ein baldiges Ende der Kriegshandlungen zu erwarten.

15.10. 18.
Liebstes Weibi!
Du wirst Dich natürlich in erster Linie wundern auf wie feinem Briefpapier ich Dir schreibe. Das hab ich gelegentlich der Ausgrabungen in meinem Schreibtisch entdeckt. Nichtsdestotrotz wäre ich schon froh zu wissen wie’s Dir geht. Ich hätte Dir schon in Wien sagen können, Du möchtest statt wegen Deiner Plombe nach Horn, gleich nach Wien fahren, damit Du auch zum Prof. S. gehen kannst. Denn ich denke mir, es wird halt doch besser sein, Du wartest erst nicht lang und läßt Dir ins Augerl schauen, was denn da los ist.
Wozu zuwarten? Die Kleine, die ja hoffentlich wohlbehalten Deine Abwesenheit überstanden hat, wird auch diesmal schön brav sein. Also fahre gleich nach Wien, es wird vielleicht nur auf Augentropfen oder derlei ankommen, bevor vielleicht eine Entzündung oder sonst was Unangenehmes heraus kommt. Ja?
Hier hat mein Vertreter, ein Aspirant, sehr brav gearbeitet, so daß ich schon länger ausbleiben konnte, als ich anfänglich beabsichtigt. In den letzten Tagen hat’s allerdings greulich geregnet, so wie es heute noch fortgeht. In Trient hatten wir zum Nachtmahl – K 2.40! – Hendl mit sehr fetten Makkaroni nach einer Vorspeise – ein Stück Hering. Um 11h nachts, also mit großer Verspätung, war ich hier.
Ich habe – wie die Verhältnisse jetzt liegen – nicht mehr viel zu tun hier, vielleicht gar nichts mehr, was sich morgen oder übermorgen entscheiden wird. Also kann ich beruhigt ins Spital gehen und mein sonst notwendig gewordener Vertreter dorthin, wo der Pfeffer gedeiht.
Nach allem, was ich hier höre und sehe, steht schon alles am Sprung nach rückwärts, man erwartet den Eintritt der unausbleiblichen Veränderungen früher, als man vernünftiger Weise annehmen kann. Jedenfalls bin ich aber immer noch früher dran abzufahren.
Nun kommt eine sehr erfreuliche Mitteilung: Mit dem Ausrüstungsbeitrag {von 150.- K} bin ich, wie ich Dir schon sagte, diesmal wieder Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus den Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 136: Briefe von Clara Ducraux an ihre Schwägerin Lili Stephani, 23. September 1918 aus Gilamont in der Schweiz nach Chemnitz in Sachsen

Clara Ducraux (geb. 1860) war in Sachsen aufgewachsen. Mit ihrer Familie lebte sie in Gilamont (Vevey) am Genfersee in der Schweiz. Von hier aus schrieb sie ihrer Schwägerin Lili Stephani (geb. 1869). Deren Ehemann Hermann Stephani (geb. 1864) war als Oberst gleich in den ersten Wochen des Ersten Weltkrieges 1914 bei Kampfhandlungen gestorben, ihr 19jähriger Sohn Kurt Stephani im November 1914. Aus dem umfangreichen Nachlass von Lili Stephani liegen mehrere hundert Korrespondenzstücke vor, die eine Nachfahrin als Abschrift der Sammlung Frauennachlässe zur Verfügung gestellt hat.

Brief vom 23. September 1918, geschrieben auf schwarz umrandeten Briefpapier

Meine liebe Lili!
Damit meine Zeilen rechtzeitig in Deine Hände gelangen, muß ich sie in dieser schweren Zeit schon heute absenden. Meine herzlichsten Glückwünsche zum Eintritt in ein neues Lebensjahr, zu Deinem fünften Kriegsgeburtstag und möge es auch der letzte sein! Die wirtschaftlichen Verhältnisse werden ja fürchterlich. Alles, was die Feinde Euch s. Z. [seinerzeit?] gewünscht haben, ist nun über sie selbst gekommen. Man sieht überall Elend, hungrige, halbnackte Kinder – die Aehren wurden einem bei der Ernte von einer Schar wartender Kinder fast aus den Händen gerissen; die Kartoffeln auf dem Acker gestohlen, sowie Messing von den Türen, […] u.s.w. […]; die Polizei gesteht sich machtlos ein inmitten all dieser hungrigen Menschen. Auf dem Lande kommt eine Kommission unsere Ernten in Beschlag zu nehmen; ehrlichen Menschen wird nur knapp zum Leben gelassen. Der Mensch ist ein auffallend geduldiges Tier geworden und von Freiheit ist keine Spur mehr vorhanden. Ich zittere für die Zukunft meines teuren Vaterlandes.
Nun wirst Du wohl Deiner Einsamkeit enthoben sein und Deine Elisabeth wieder bei Dir haben. [Elisabeth Stephani, die 1894 geborene ältere Tochter der Adressatin, war nach der vorgezogenen Matura 1914 als Rot-Kreuz-Schwester eingerückt. Ihre jüngere Schwester Christine Stephani war im Kriegshilfsdienst engagiert.] Ihr werdet Euch nach dieser ersten Trennung doppelt genießen. Ich fühle mich hier immer vereinsamter ohne meinen deutschen Jungen und doch bin ich Gott so dankbar ihn so friedlich heimgerufen zu haben; er ist ja nun aller Sorgen enthoben. [Der Sohn der Schreiberin ist 1918 aus nicht bekannten Gründen gestorben.] Viele junge Männer wurden hier unter großen Schmerzen von der spanischen Krankheit weggerafft und noch wütet sie unter dem Militär. Wo sind die sorglosen Zeiten, als Hermann [der Ehemann der Adressatin und Bruder der Schreiberin] Dich als junge Frau nach La Veyre führte, wo Du vor 24 Jahren Deinen Geburtstag feiertest? Sie sind für immer verschwunden. […] Bei uns ist fast alles beim Alten; wir arbeiten und leben so weiter in unserer Einsamkeit. Keines der Kinder zeigt eine Neigung zum Heiraten. Meine größte Freude sind die Briefe aus der Heimat.
Hier wird alles amerikanisch beurteilt, geliebt, geschwärmt und bin ich begierig zu sehen, ob dieses Volk [die USA] wirklich nur aus Menschenliebe auf den Kriegsschauplatz eingetreten ist. Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 135: Feldpostkarten von Adolf Müller an seine Ehefrau und den kleinen Sohn, 16. September bis 11. Oktober 1918 aus der Gegend von Lublin in Ostpolen nach Wien

Adolf Müller (geb. 1881) war in der Kriegsverwaltung tätig. Im September 1918 war er aus der Gegend von Sbarasch in der Ukraine nach Ostpolen versetzt worden. Seine Familie war inzwischen aus der Sommerfrische in Slavonien (Kroatien) wieder nach Wien zurückgekehrt. In den Schreiben aus dem Spätsommer und Herbst 1918 kommt zunehmend die Kriegsverdrossenheit und der Wunsch nach einem Ende des nun bereits mehrere Jahre dauernden Situation der Trennung zur Sprache. Gegenüber seiner Ehefrau skizzierte der Beamte auch Strategien, wie sie beide in der Zukunft das Familieneinkommen möglicherweise gemeinsam bestreiten könnten. Dem kleinen Sohn malte er zu dessen Geburtstag das kulinarische Schlaraffenland aus, das Wien in Friedenszeiten war – und das es wieder werden würde.

16./IX.18
Liebe Louise!
Die Übersiedlung ist schneller von Statten gegangen, als ich gefürchtet hatte. Gestern n.m. gegen 7 h fuhren wir von Lemberg weg u. waren heute 3 h morgens an Ort und Stelle um 5 h begann die Auswaggonierung – es lag dichter Nebel rings herum – gegen 9 h setzten sich die Fuhrwerke in Bewegung und nach vielleicht weiteren 20 Minuten waren wir an Ort & Stelle. Wir sind in Kasernen untergebracht die – vielleicht 1/2 Stunde außerhalb der Stadt gelegen – so in Pavillonform, ähnlich dem Wr. Versorgungsheim in Liesing [im Süden von Wien] angelegt sind, jedes einzelne Gebäude höchstens für 1 Halbkomp. Ich war jedenfalls, wie ich das Ganze sah, sehr angenehm enttäuscht. Lebensmittel sollen auch in der Stadt zu kaufen sein, nur noch viel teurer, als in Galizien! H. R. ist, glaube ich, in Lublin, das ist nicht weit weg von hier, wenn ich auf Urlaub fahre muß ich über Lublin & auch über Jedrzejow (1914/15) fahren! Wenn ich nur schon wieder auf Urlaub fahren könnte! Na vielleicht in 5 Monaten! Bis dahin ade, ihr Lieben
Adolf [quer über den Text geschrieben]

17./IX.18
Liebe Louise!
Wenn deine Übersiedlung so glatt abgelaufen ist, wie die unsere, kann ich dir nur gratulieren. Ich bin, nach den Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe, mit dem Tausche zufrieden, in dem Punkte dürftest du mir wohl widersprechen, hoffentlich ists in Wien jetzt doch wenigstens besser, als im Sommer vor der Ernte [vermutlich in Bezug auf die Lebensmittelsituation]. R. schrieb mir, dass er in den nächsten Tagen nach Wien kommen dürfte & dich besuchen wird, ich habe meine Antwort an seine Wr. Adresse gerichtet. Auch Tante Marta schrieb mir, dass sie meine bzw. deine Glückwünsche erhalten habe & dass sie dir an die Wr. Adresse Antwort schicken wird. Nur Familie Lang [die Eltern der Cousine Christl Wolf] hüllt sich nach wie vor in Schweigen, das ich jedoch nicht mehr unterbrechen werde und wenn es bis zum nächsten Urlaub dauern sollte!! Hast du viel Mehl & Fett mit hineingenommen [aus Nasice in Kroatien nach Wien]. Und hast du es heil über die Grenze gebracht? Hast du nicht Frau A. ersucht dir, so wie Tante M. von Zeit zu Zeit 1 kg Packerln zu senden? Was ists mit Unterstützung?
Das alles interessiert sehr euren Vater

18./IX.18
Liebe Louise!
Deine Karte nebst Photographie habe ich heute erhalten und ersehe aus der letzteren, dass du sehr gut aussiehst, weniger gut sieht Otto aus [der ältere Sohn im Volksschulalter], der so schwarze Ringe um die Augen hat. Dem hätte es nicht geschadet, wenn er recht viel Milch getrunken hätte, gelungen ist nur, dass Tante Gisela böse ist, weil […] wir bei ihr nicht Speichel lecken wollen, aber nur getrost, auf einen Brief von mir kann sie lange warten. Und wenn sie noch so böse ist, das kränkt mich sehr wenig. Wer meine Korrespondenzen konstant keiner Antwort würdigt, der soll sich nicht beklagen, dass ich mich ihm mit meiner Korrespondenz lästig falle. Wie ist das Leben jetzt in Wien. Im Vergleich zu N. [Nasice] jedenfalls schlecht. Jetzt musst du halt von dem angesammelten Speck zehren.
Gruss und Kuss dir und Kindern von eurem Vater. Continue reading

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1418. documenti e immagini della grande guerra (Web)

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