Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 82: Tagebuch von Bernhardine Alma, 11.-15. September 1916, Wien

NL 09 Alma Bernhardine 1916 09 11Berhardine Alma (geb. 1895) war in gut situierten Verhältnissen in Wien aufgewachsen. Eine weiterführende oder eine Berufsausbildung hatte sie nicht absolviert. In ihrem sehr umfangreichen Tagebuch lassen sich u.a. die Arbeitsaufgaben einer jungen Bürgerstochter nachlesen sowie ihre Erwerbs- und Berufsstrategien. Die ältere Schwester Sigrid (geb. 1891) arbeitete als Fotografin, Cora (geb. 1890) hatte über eine Zeitungsannonce standesgemäß geheiratet, Berhardine Alma selbst war stark in die Führung des repräsentativen Familienhaushaltes eingespannt. Seit Herbst 1915 leistete sie zudem mehrfach in der Woche unbezahlte Schreibarbeiten für das Rote Kreuz, wo sie inzwischen eine co-leitende Position innehatte, und sie besuchte verwundete Soldaten in Spitälern. Im Sommer 1916 planten Sigrid und Bernhardine Alma, sich beruflich neu zu orientieren. Sigrid Alma strebte eine Laufbahn als Beamtin an, Berhardine Alma versuchte, einen Ausbildungsplatz für eine Position in der Krankenhausverwaltung zu bekommen, was eine kriegsbedingte neue Möglichkeiten speziell für Frauen gewesen sein dürfte.

11. September 1916, abends Montag
Ich habe so viel [im Haushalt] zu tun. – Der kleine Halbidiot von einem neuen Mädel [Hausangestellte] ist natürlich schon wieder fort. Ich habe wirklich riesig viel zu tun. Papas Zeitungslesen kann ich nicht leiden, von Ma auch nicht. (…) Im R. K. [Dienst im Roten Kreuz] war es nicht interessanter als sonst. Hoffentlich werden meine Hände durch das viele Arbeiten nicht zu rauh! –
Sigrids Prüfung [zur Beamtin] ist erst am Mittwoch (…). Ich möchte bald Nagy-Antworten [auf eine für Sigrid Alma aufgegebene Heiratsannonce] bekommen. Ich will so viel! –

12. 13./IC 1916, abends
Vater, dir in die Hände
Sei Anfang und Ende
Sei alles gelegt! – – – –
Gestern vorm R. K. ging ich zum Onkel Franz. Er war diesmal in höchsteigenster Person in der Trafik und sehr nett. Ich glaube, er nannte mich „Tschapperl“, weil er meinen echten Namen nicht weiß. –
Wir sprachen ziemlich lang, er war sehr nett und bekam ich Tabak [den sie an Abenden zu Zigaretten stopfte und bei den Spitals-Besuchen den Soldaten mitgenommen hat]. Dann hielt ich mich mit dem Beamten in der städtischen Dienstvermittlung auf [um ein neues Dienstmädchen zu finden], dann kam ich ins R.K. (…)
Sigrid hat ein sehr hübsches Kostum bekommen. – (…) [Sie] hatte heute Prüfung im Rathaus, aber natürlich keine Protektion. Das Resultat wird sie erst nächste Woche erfahren. –
Marius [der 14jährige Bruder] ist oft sehr nett. Ich habe oft riesig viel Arbeit [im Haushalt, wo derzeit kein Hausmädchen angestellt war]. Heute ging ich zur Hofrätin K. am Heumarkt 23. Sie war sehr nett und liebenswürdig. Der Kurs sei hauptsächlich für Offizierswitwen u. -waisen, der 2. Kurs beginnt im Oktober, da könne was vielleicht doch gehen. Es sei 2 Monate Unterricht, dann komme ich als Leiterin in ein Militärspital, was aber fraglich ist, oder so wohin, am Steinhof, Alland u.s.w. Sie nannte mich „jung und hübsch“, fürchtete aber, daß ich zu schwach sei – wies mir ein Gesuch ans Kriegsministerium zu schreiben. Aber drinnen soll ich mich 22 Jahre machen. Sie war sehr lieb und schrieb mir auf, wo ichs übergeben soll. Sie ließ sich die Hand nicht küssen und war wirklich reizend zu mir. Paperl [der Vater Maximilien Alma hatte eine leitenden Position bei der DDSG innen] hat mirs Gesuch schon ausgesetzt. Morgen schreibe ich es mir ab, um es dann zu überbringen.
Die Eltern scheinen aber doch nicht ganz einverstanden zu sein; ich bin dann ja ganz fort von zuhause. –
So reizvoll mir diese Tätigkeit, ferner die damit verbundene Unabhängigkeit, der hohe Gehalt u. das alles, auch erscheint – ich wollte beinahe, daß mein Gesuch dann abgelehnt wird. – Nein, wie Gott es schickt, ist es gut, muß es gut sein, weil eben Er es so schickt. D.W.g.! [Dein Wille geschehe]
P.S. Heute habe ich vom S. einen Brief (sogar rosa) bekommen. Wir bekommen wahrscheinlich d.h. hoffentlich ein Mädel von ihm. (…)

14. September 1916, abends Donnerstag
(…) Vorm R. K. ging ich in die Biberstraße 26, Department XI vom Kriegsministerium, wie mir die Hofrätin gesagt hatte. Die Offiziere dort waren ziemlich nett. (Einer dort sah dem Jaro [dem Verehrer der Schreiberin, den sie in einem Spital kennen gelernt hatte] ähnlich und war infolgedessen reizend!) Der Oberintendant B. sagte mir daß es den 2. Wirtschaftskurs überhaupt nicht gibt. Es wird keiner mehr abgehalten. Ich bin doch einesteils sehr, sehr froh! – Ich möchte so gerne Theater spielen! – – Was wird die Zukunft bringen? Was? – (…)
Im R. K. haben die ekelige Regierungsrätin, die Comtena M. und die Fr. v. P. über die Wiener so losgezogen. Als ichs verteidigte, lenkte die Frau v. M. brav ein. – [Die Bezeichnungen der Frauen beziehen sich sehr wahrscheinlich jeweils auf die Positionen ihrer Ehemänner]
Was wird die Zukunft bringen?

15. VIIII 1916, abends Freitag
(…) Im R. K. hat mich die B. wieder eingeladen. – Der alte russische Übersetzer ist zu mir gekommen, er habe mir unter 4 Augen etwas zu sagen – ich fragte ihn, ohne aufzustehen, darum. Er sagte, daß ich ihm bei seiner Arbeit helfen solle. Natürlich wollte ich nicht und die Fr. v. P., die gleich dagegen war, lehnten es dann in meinem Namen entschiedenst ab, da sie mich, als ihre Stellvertreterin, nicht entbehren könne. – Was werde ich morgen hereinschreiben?

Sammlung Frauennachlässe NL 09
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 82, Tagebuch von Bernhardine Alma, Datum, SFN NL 09, unter: URL