Patrick Bühler, Daniel Deplazes und Katharina Vogel; Georg-August-Univ. Göttingen und DIPF: Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (Web)
Zeit: 05.-06.10.2026
Ort: Göttingen
Einreichfrist: 18.01.2026
Die Reformpädagogik und die Jugendbewegung entstanden, als sich zwei wirkmächtige neue Medien durchzusetzen begannen: der Film und die Photographie. Wie bei der Reformpädagogik und der Jugendbewegung – bekannte Beispiele sind sozialistische Jugendorganisationen und die Pfadfinderinnen und -finder – handelte es sich auch bei der Ausbreitung von Film und Photographie um «globale» Entwicklungen. Aber nicht nur entstanden die neuen Medien und die neue Pädagogik zur selben Zeit, sondern die neue Erziehung setzte von Anfang an auch auf Film und Photographie, um ihre neuen Ansätze zu illustrieren und um für ihre neuen Errungenschaften die Werbetrommel zu rühren.
Was immer ihre Schwierigkeiten mit der «Moderne» gewesen sein mögen, was immer ihr Kampf für «Natürlichkeit» bedeutete, wenn es um Film und Photographie ging, zeigten sich die Reformpädagogik und die Jugendbewegung resolut modern. So setzten die Reformpädagoginnen und -pädagogen früh auf Filme, um in ihre Methoden einzuführen und Einblicke in ihre Schulen zu gewähren (so z. B. Maria Montessori oder Ovide Decroly), und in der Jugendbewegung wurde fleißig photographiert, wie etwa die Fahrtenbücher und die Publikationen der Jugendbewegung mit ihren zahlreichen Bildern von Zeltlagern, dem Abkochen, Gruppen beim Wandern, Skifahren, Schwimmen etc. zeigen.
Beim Workshop, der an die seit kurzem unternommene Forschung zur Visual History der Reformpädagogik und der Jugendbewegung anschließt, handelt es sich um eine Arbeitstagung, um einen Band zur Inszenierung von Reformpädagogik und Jugendbewegung vorzubereiten. Die Studien, die am Workshop diskutiert werden, sollen mit Hilfe von Bildern (Filmen, Photographien, aber auch Skizzen, Linolschnitten etc.) analysieren, wie und mit Hilfe von was welche Aspekte (Geschlecht, Körper etc.) der neuen Formen von Pädagogik – des Lernens, der Gemeinschaft etc. – illustriert und inszeniert wurden und wie sie sich im Verlauf der Zeit veränderten.
Da es dem Workshop um Inszenierungen geht, soll, wenn möglich, auch nicht nur untersucht werden, wie die Bilder aufgebaut sind, welche Motive und Accessoires verwendet wurden etc., sondern auch die «Funktionen» der Bilder in ihrem Zusammenhang in den Zeitschriften, Fahrtenbüchern etc. analysiert werden: Wo stehen sie, was illustrieren sie, mit welchen Legenden wurden sie versehen etc.? Da die Bilder dazu dienten, für Gruppen zu werben und deren «Identität» zu festigen, soll den stilistischen Eigenheiten ein besonderes Augenmerk geschenkt werden. Denn da es sowohl in der Reformpädagogik (Aktivität der Kinder, Kameradschaft etc.) als auch in der Jugendbewegung (Singen, Abkochen etc.) sehr große Überschneidungen in den Praktiken und den beschworenen Gefühlen gab, waren politische, religiöse und stilistische Nuancen entscheidend.
So meinte etwa ein Schweizer Wandervogel: «Wenn man von Mode spricht, denkt man gewöhnlich an die Kleidermode. Daß es auch bei uns im Wandervogel eine solche gibt, wurde mir zum erstenmal recht deutlich, als es mir einfiel, einmal nicht in gewohnter Kluft (d. h. Schillerhemd und kurzen Hosen) mit einigen ‹stilechten› Wandervögeln auf Fahrt zu gehen und ich deswegen ihre spöttisch-missbilligenden Blicke zu ertragen hatte» (Leuzinger 1921, S. 52). Was die Reformpädagogik (z. B. für Herren kurze Hosen und lange Bärte) und erst recht die Jugendbewegung pflegten, war also auch ein bestimmter Stil, zu dem gewisse Formen des Sprechens, Fühlens, Kleidens, Lesens etc. gehörten, der auch in Aufnahmen inszeniert und «transportiert» wurde.
Beitragsvorschläge zum Workshop, die eine Skizze (max. 500 Wörter) und knappe biographische Angaben enthalten sollten, können bis zum 18. 01. 2026 bei den Veranstaltenden eingereicht werden. Wir freuen uns über Ihr Interesse!
Literatur:
Hunziker, Hans (1937): Schule und Jugendwandern. Bern: Haupt.
Leuzinger, Hans (1921): Besprechungen. In: Wandervogel. Monatsschrift der Schweizer Wandervögel, 12(7/8), S. 52.
Kontakt: k.vogel@dipf.de
Quelle: HSozKult
