Category Archives: Edition_1. Weltkrieg in Selbstzeugnissen

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 82: Tagebuch von Bernhardine Alma, 11.-15. September 1916, Wien

NL 09 Alma Bernhardine 1916 09 11Berhardine Alma (geb. 1895) war in gut situierten Verhältnissen in Wien aufgewachsen. Eine weiterführende oder eine Berufsausbildung hatte sie nicht absolviert. In ihrem sehr umfangreichen Tagebuch lassen sich u.a. die Arbeitsaufgaben einer jungen Bürgerstochter nachlesen sowie ihre Erwerbs- und Berufsstrategien. Die ältere Schwester Sigrid (geb. 1891) arbeitete als Fotografin, Cora (geb. 1890) hatte über eine Zeitungsannonce standesgemäß geheiratet, Berhardine Alma selbst war stark in die Führung des repräsentativen Familienhaushaltes eingespannt. Seit Herbst 1915 leistete sie zudem mehrfach in der Woche unbezahlte Schreibarbeiten für das Rote Kreuz, wo sie inzwischen eine co-leitende Position innehatte, und sie besuchte verwundete Soldaten in Spitälern. Im Sommer 1916 planten Sigrid und Bernhardine Alma, sich beruflich neu zu orientieren. Sigrid Alma strebte eine Laufbahn als Beamtin an, Berhardine Alma versuchte, einen Ausbildungsplatz für eine Position in der Krankenhausverwaltung zu bekommen, was eine kriegsbedingte neue Möglichkeiten speziell für Frauen gewesen sein dürfte.

11. September 1916, abends Montag
Ich habe so viel [im Haushalt] zu tun. – Der kleine Halbidiot von einem neuen Mädel [Hausangestellte] ist natürlich schon wieder fort. Ich habe wirklich riesig viel zu tun. Papas Zeitungslesen kann ich nicht leiden, von Ma auch nicht. (…) Im R. K. [Dienst im Roten Kreuz] war es nicht interessanter als sonst. Hoffentlich werden meine Hände durch das viele Arbeiten nicht zu rauh! –
Sigrids Prüfung [zur Beamtin] ist erst am Mittwoch (…). Ich möchte bald Nagy-Antworten [auf eine für Sigrid Alma aufgegebene Heiratsannonce] bekommen. Ich will so viel! –

12. 13./IC 1916, abends
Vater, dir in die Hände
Sei Anfang und Ende
Sei alles gelegt! – – – –
Gestern vorm R. K. ging ich zum Onkel Franz. Er war diesmal in höchsteigenster Person in der Trafik und sehr nett. Ich glaube, er nannte mich „Tschapperl“, weil er meinen echten Namen nicht weiß. –
Wir sprachen ziemlich lang, er war sehr nett und bekam ich Tabak [den sie an Abenden zu Zigaretten stopfte und bei den Spitals-Besuchen den Soldaten mitgenommen hat]. Dann hielt ich mich mit dem Beamten in der städtischen Dienstvermittlung auf [um ein neues Dienstmädchen zu finden], dann kam ich ins R.K. (…)
Sigrid hat ein sehr hübsches Kostum bekommen. – (…) [Sie] hatte heute Prüfung im Rathaus, aber natürlich keine Protektion. Das Resultat wird sie erst nächste Woche erfahren. –
Marius [der 14jährige Bruder] ist oft sehr nett. Ich habe oft riesig viel Arbeit [im Haushalt, wo derzeit kein Hausmädchen angestellt war]. Heute ging ich zur Hofrätin K. am Heumarkt 23. Sie war sehr nett und liebenswürdig. Der Kurs sei hauptsächlich für Offizierswitwen u. -waisen, der 2. Kurs beginnt im Oktober, da könne was vielleicht doch gehen. Es sei 2 Monate Unterricht, dann komme ich als Leiterin in ein Militärspital, Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 81: Kriegsgefangenenkarten von Georg M. an seine Verlobte in Wien, 30. August 1916, und an Bekannte in Wien, 17. November 1917, Astrachan/RUS

1916 08 30Der Wiener Georg M. (geb. 1884) war als Mannschafts-Soldat an der Front in Russland eingesetzt gewesen, als er im Juni 1916 angeschossen, gefangen genommen und in ein Kriegsgefangenen-Spital in der Stadt Astrachan an der Wolga-Mündung eingeliefert wurde. In den folgenden Monaten schrieb er wiederholt Postkarten an seine Verlobte Juli G. (geb. 1881). Erst Ende August 1916 erhielt er die erste Antwortpost aus Wien. In seinem Schreiben wird auch angesprochen, dass Soldaten oft den Angehörigen von anderen Kriegsteilnehmern informelle Informationen über deren derzeitigen Aufenthalt zukommen haben lassen. (Dazu auch die Postkarte an Familie Hahn aus 1915). Auch werden wieder Geldsendungen genannt, die Kriegsgefangene – wie auch Soldaten – offenbar von zu Hause erhalten haben, und es gibt Hinweise auf Verdienstmöglichkeiten in der Kriegsgefangenschaft.

Karte von Georg M. an die Verlobte Juli G. in Wien

Astrachan, 30. August, 1916     21
Mein liebes Julei!
Heute mit großer Freude Deine Karte erhalten, habe selbe schon mit Sehnsucht erwartet. Herzlichen Dank dafür. Freut mich, alles bei Gesundheit zu wissen, was ich auch fernerhin wünsche. Auch freut mich die Freundlichkeit von P. und K. [zwei Männer aus der Einheit des Schreibers], dass sie Dich verständigten, für das ich ihnen sehr danke, – wäre lieber beim Baon. [Battalion] geblieben. K. war unser Dienstführender und wird wahrscheinlich über höheren Auftrag gehandelt haben. Geld habe ich noch keines erhalten. Telegrafisch dauert unter Umständen länger als der gewöhnliche Postweg, welcher noch der Beste ist. Wenn’s was Neues gibt, teile es mir mit. Auch die Adresse von Franz und Kathi. Hat P. oder K. etwa besonderes geschrieben?
Herzliche Grüsse an Mutter, alle Verwandten u. Bekannten.
Innigste Küsse sendet Dir
Dein Schurlei

Karte von Georg M. an Familie S. in Wien

Astrachan, 17. November 1916
Liebe Freunde!
Von meinem Schicksal werdet Ihr wohl schon benachrichtet sein, nicht wahr. Bin nun schon ganz ausgeheilt, nur bei einiger Anstrengung werde ich leicht noch ermüdet, werde hier in meinem Berufe [als Friseur] verwendet, verdiene mir dadurch auch etwas, was Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 80: Feldpostschreiben von Richard Pöhn an die Mutter und Schwester in Wien, 7. August und 8. September 1916 aus Plzen/Pilsen

1916 08 07Der 24jährige Richard Pöhn (geb. 1892) war seit Beginn des Ersten Weltkriegs als Mannschaftssoldat an der Frontlinie in Russland und in Südtirol eingesetzt gewesen. Im Sommer 1916 kam er zu einer „Arbeiterkompanie“ bei der Artillerie in Plzen/Pilzen. Die näheren Umstände lassen sich nicht rekonstruieren. Wie er an die Mutter in Wien schrieb, fehlten anfangs auch ihm selbst nähere Informationen dazu. Direkt angesprochen wird auf der Postkarte, dass der junge Mann – wie bereits als Soldat – auch in der aktuellen Situation Unterstützung, wahrscheinlich in Form von Kleidung, Werkzeug oder Geld, von der Familie zu Hause benötigt hat – und offenbar auch damit rechnen konnte.

Postkarte an die Mutter Amalie Pöhn

7./8. 1916
Liebe Mama!
Gestern sind wir noch von den Quatieren weck und sind in einer Kaserne. Meine Adreße ist und wird es hofendlich bleiben (Pilsen Bory Adilerikaserne des Adillerieregiments No 19. Arbeiterkomp.) Wir werden beim Militär bleiben. Es ist so wie in anfang des Krieges, mann weis lange nicht wie man daran ist. Heute waren wir in die Werke, es wurde die Brofesion aufgenommen, morgen geht’s an die Arbeit. Wann und was du mir senden solst, werde ich noch schreiben. Vorläufig weis ich selbst nicht mehr. Arbeitszeit von 6h früh bis 7h abens 1 ½ St. Mittag. Sonst geht es mir gut, viele herzliche Grüße und Küsse von deinem Sohn Richard
Grüße an alle.

Postkarte an die Schwester Addy (Adolfine) Pöhn

8./9. 1916
Liebe Addy!
Habe heute deinen Brief von 3./9. erhalten. Wenn ich am Sonntag komme, so komm ich um 9h-10h früh zuhause an. Bestimmtes kann ich leider nicht schreiben, denkt dir H. Hans hat mir 10 K gesandt.
Viele herzliche Grüße u. Küße von Deinem Bruder
Richard

Diese zwei Schreiben sind die letzten erhaltenen Poststücke aus der Korrespondenz von Richard Pöhn. Wie aus seiner Todesanzeige hervorgeht, starb er im November 1918 unter nicht rekonstruierbaren Umständen in einem Spital in Innsbruck.

Sammlung Frauennachlässe NL 20
Kein weiterer Eintrag aus diesem Nachlass.
Voriger Eintrag aus der Korrespondenz von Richard Pöhn am 29. Februar 2016

Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 80, Postkarte von Richard Pöhn, Datum, SFN NL 20, unter: URL

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 79: Kriegsgefangenenkarten von Georg M. an seine Verlobte in Wien, 22. Juli bis 27. August 1916, Astrachan/RUS

1916 07 22

Der Wiener Georg „Schurlei“ M. (geb. 1884) war im Juni 1916 mit drei Schussverletzungen an den Beinen in ein Kriegsgefangenen-Spital in Astrachan an der Wolga eingeliefert worden. Ohne bisher selbst Post erhalten zu haben, schrieb er seit damals regelmäßig an seine Verlobte Juli „Julei“ G. (geb. 1881), verbunden mit der Sorge um die Gesundheit der Freundin und Grüßen an das soziale Umfeld. Er schilderte seine gute Genesung, die sonst zum Teil wörtlichen Wiederholungen der Inhalte deuten darauf hin, dass Georg M. davon ausgegangen ist, dass nicht jedes Poststück ankommen würde. Im August beschreibt er zudem, sich im Kriegsgefangenen-Lager in seinem Beruf als Friseur verdienen zu können.

Astrachan, 22. Juli, 1916 7
Mein liebes Julei!
Teile Dir höfl. mit, dass ich nunmehr schon ohne Krücken langsam gehen kann. Bin sonst gesund und geht es mir gut. Werde nicht mehr lange im Spital bleiben, verwende daher jetzt unten stehende Adresse. Gerne hoffe ich, dass Dich meine Zeilen bei Gesundheit treffen. Ebenso alle unsere lieben Verwandten und Bekannten. Herzliche Grüsse an Mutterl, alle Verwandte und Bekannte.
Innigste Küsse von Deinem Schurlei
% in Astrachan
Kriegsgefangenen-Lager am Bahnhof

Astrachan, 25. Juli, 1916 8
Mein liebes Julei!
Teile Dir höfl. mit, dass ich ohne Krücken schon leidlich gut gehen kann. Bin sonst gesund und wohlauf. Hoffentlich wirst Du nun doch schon eine Karte von mir erhalten haben. Bleibe mir gesund, mein Julei.
Herzlichste Grüsse an Mutter alle Verwandte und Bekannte.
Innigste Küsse von
Deinem Schurlei Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 78: Kriegsgefangenenkarten von Georg M. an seine Verlobte in Wien, 8. Juni bis 14. Juli 1916, Astrachan und Moskau/RUS

1916 06 08Im zivilen Leben hatte der Wiener Georg „Schurlei“ M. (geb. 1884) als Friseur gearbeitet. Im Juni 1916 wurde er bei Gefechten bei Astrachan an der Wolga verletzt in ein Kriegsgefangenen-Spital eingeliefert. In den folgenden Wochen schrieb der 32jährige wiederholt an seine Verlobte Juli „Julei“ G. (geb. 1881). Er berichtete von seinen Verletzungen und der Genesung, behauptete dabei, dass es ihm „gut“ gehen würde, versuchte die Freundin zu beruhigen und bat um die Zusendung von Kleidung und Geld. Die vielfachen Wiederholungen der Inhalte auf den insgesamt 18 erhaltenen Poststücken deuten darauf hin, dass Georg M. davon ausgegangen ist, dass nicht jedes auch in Wien ankommen würde.

8. Juni 1916   1
Mein liebstes Julei!
Gott gäbe, dass Du diese Karte bekommen mögest. Teile Dir höfl.[ich] mit, dass ich am 10. Juni verwundet und dadurch in Gefangenschaft kam. Meine Verletzungen sind nicht schwer. Bekam drei Schüsse in die Füsse. Durchschuss der linken Wade, wahrscheinlich mit Sehnenverletzung. Durchschuss der linken Ferse, Durchschuss der rechten Kniekehle. Alles Ohne Knochenverletzung, was man noch ein Glück nennen muss. Bleibe ruhig und bei guter Hoffnung meine Julei. Befinde mich auf dem Wege in das Spital. Wahrscheinlich nach Moskau. Werde dann bald wieder gesund sein. Es geht mir gut.
Herzlichste Grüsse an alle Verwandten und Bekannten. Dich innigst Küssend bleibe ich
Dein Schurlei

Moskau 21. VI. 1916
Mein liebstes Julei!
Teile Dir höfl. mit, dass ich gestern hier ankam und heute wieder wegtransportiert werde. Wurde verwundet und dadurch kam ich in Gefangenschaft. Ich erhielt drei Schüsse, zwei in den linken, einen in den rechten Fuss. Sind aber nur leichte Verletzungen und werde bald wieder hergestellt sein. Es geht mir gut. Sei ruhig, mein Julei, und guter Hoffnung.
Herzlichste Grüsse an Mutter, alle Verwandten und Bekannten. Im Geiste stets bei Dir, küsse ich Dich innigst und bleibe Dein
Schurlei

Astrachan, 4. Juli, 1916   3
Mein liebes Julei!
Mein Befinden im gleichen. Zwei Schüsse sind geheilt, der dritte macht mir noch Beschwerden. Sonst bin ich gesund und geht es mir gut. Wenn es leicht möglich ist, so bitte ich Dich, Julei, mir etwas Geld zu senden. Etwa K. 20-. Aber nur wenn leicht möglich. Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 77: Liebesgaben-/Feldpostkarten von Emanuel B. an die Volksschülerin Ella Reichel, 28. Mai bis 24. Juli 1916, Pardubice/CZ u.a.

NL 38 Emanuel Binder 1916 07 13Ella Reichel (geb. 1905) aus Neulengbach korrespondierte seit April 1915 regelmäßig (unter anderem) mit dem aus Sibiu/Hermannstadt gebürtigen Emanuel B. Der Postkontakt mit dem jungen Mann war über eine ‚Liebesgaben‘-Aktion in der Volkschule hergestellt worden. Der Inhalt der erhaltenen Postkarten bestand vor allem im Austauschen konventionell formulierter Grüße. Die tatsächlichen Lebenssituationen beider Seiten werden nur knapp oder indirekt geschildert. Das Schreiben – und Empfangen – der Post an sich scheint im Vordergrund gestanden zu haben. Im Juli 1916 bedankte sich Emanuel B. bei „allen Unterschreibenden“, die ihn auf einer Karte offenbar hatten grüßen lassen. Damit wird deutlich, dass seine 11jährige Brieffreundin diese patriotische Praktik in einem größeren sozialen Zusammenhang durchgeführt haben dürfte.

Feldpostkarte, 28. Mai 1916

28/V. 1916.
Liebe Ella! Deine liebe Karte vom 23/V. habe ich heute dankend erhalten. Jetzt bin ich wieder ganz gesund, also froh u munter. Wie geht es dir liebe Ella, bald habt Ihr ja Ferien. Grüße mir deine liebe Mama. Dich grüße ich auch recht herzlichst dein B.Lt

Postkarte (Poststempel 14. Juli 1916.), 13. Juli 1916

13/VII. 916.
Liebe kleine Ella! Deine l. Karte habe ich dankend erhalten, ebenso danke ich für die herzlichen Grüße von allen Unterschreibenden, auf der Karte. Ich bin munter, nur ein bischen viel zu thuhn. Grüße dich recht herzlichst, ebenso alle Unterschriebenen B.Lt Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 76: Feldpost von Christl Lang und Leopold Wolf, 13. bis 17. Mai 1916, Wien und ein unbekannter Ort in Italien

1916 05 13In einem über mehrere Tage geschriebenen Brief berichtete der Wiener Leopold Wolf (geb. 1891) seiner Verlobten Christl Lang (geb. 1891) von seinen Tätigkeiten bei Kampfhandlungen in den Dolomiten. Gleichzeitig schilderte er die Schönheit der Landschaft und bedauerte, sie nicht gemeinsam mit der Freundin erleben zu können. Christl Wolf berichtete von der Ungewissheit über die Verlässlichkeit von Informationen zum Frontverlauf sowie von einer allgemeinen Kriegsverdrossenheit, sie schilderte den Besuch einer Unterstützungs-Veranstaltung sowie den Inhalt eines Propaganda-Gedichtes. Beide diskutieren standesbewusst die Tätigkeiten von Leopold Wolf als Oberstleutnant.

Brief, Leopold Wolf an Christl Lang, Vermerk: „eingelangt 23.5.1916.”; Stempel: „Zensuriert. Zur Beförderung geeignet.“

13. V. 16.
Liebste Christl!
Soeben bemerke ich, daß ich meine Füllfeder irgendwo vergessen habe, doch kann ich mich erfreulicherweise erinnern wo das war und ich hoffe, daß sie wieder reuig zurückkehrt. Heute bin ich also fertig geworden mit meiner Extravaganzarbeit [wahrscheinlich Telefondienst] und werde mir nun wieder einige Zeit zur Erholung auf meinen Höhenluftkurort begeben[?]. Heute erhielt ich einen Brief von Dir, einen vom Hanns; eine Karte vom Willi [die zwei Brüder des Schreibers, die ebenfalls als Soldaten eingerückt waren] und eine vom Bano [?], der jetzt auf Urlaub ist. Also Post genug! (Meint der Laie!)
Mein Aussehen wie ein Blasengel hat sich natürlich verschlechtert bei dem ewigen Auf und Ab während der letzten Tage. Nun kommt aber eine gemütliche Retablierung mit Höhenluft, Aussicht auf Kurorte, mit Konservenmilch und anderen Konserven, dann kommt abermals Höhenluft, dann wieder lang nix, dann Konserven – Trotzdem wir noch keine halbwegs anständige Temperatur hatten, die einen zu einem braunen Teint verhilft, bin ich dennoch sozusagen abgebrannt. Der Teil, wo das Hirn drunter sein soll, ist bei mir ganz weiß. Kein Wunder! Ein Grottenolm ist ja auch schneeweiß, weil kein Lichtstrahl zu ihm dringt, und seit Kriegsbeginn kommt ja auch bei mir keiner dorthin. Weiter unten aber, wo sich die Werkzeuge zum „Ins Blaue schauen“, die zum Essen und Gähnen befinden und wo der Rasierplatz ist, dort ists schon ganz bräunlich.
17. V.
Das war die in der heutigen Karte entschuldigte Pause und nun habe ich wieder einen Deiner Briefe zu beantworten.
Eure Aufnahme beim Lusthaus [Lokal im Wiener Prater] hat mir große Freude gemacht. Gestern hab ich sie bekommen, und seitdem kommt sie mir kaum einen Moment aus der Hand. Alle unsere Lieben! Papa fehlt freilich, aber er mußte sich ja der guten Sache opfern! Tini, wie siehst Du drein? Nicht wahr, Du hast ein bissel an mich gedacht und da es mir recht leid täte nicht dabei zu ein, wenn ich könnte. Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 75: Tagebuch von Bernhardine Alma, 13. Mai 1916, Wien

NL 09 Alma Bernhardine 1916 05 13Die Wienerin Bernhardine Alma (geb. 1895) und ihre zwei älteren Schwestern Cora (geb. 1890) und Sigrid Alma (geb. 1891) waren 1915 und 1916 systematisch damit beschäftigt, Heirats-Annoncen aufzugeben bzw. zu beantworten. In ihrem Tagebuch beschrieb sie, wie sie – und auch die Heirats-Kandidaten – dabei vorgegangen sind. Die Schilderung des Besuches eines jungen Mannes in der Familienwohnung, der sie dabei von der zu erledigenden Hausarbeit abhielt, zeigt, wie sie sich einen standesgemäßen Ehemann bzw. das Heiraten vorstellte. Am Beispiel der Familie Alma wird zudem sichtbar, wie sich durch die kriegebedingt erzwungene Mobilität auch die Partner/innen-Auswahl änderte. Cora Alma hatte einen aus dem rumänischen Teil der Monarchie stammenden Offizier geheiratet und war Anfang Mai 1916 zu ihm in die Etappe nach Bosnien-Herzigowina gezogen.

13. Mai 1916, abends Samstag
Gestern konnte ich nicht herein schreiben. Sigrid (sie hatte sich schon nieder gelegt) fiel ein, dass sie noch etwas in ihrem Atelier vergessen hatte [sie war Fotografin], sie ging hin u. da es schon sehr abends war, ging ich mit. Auf diese Art konnte ich nicht [in das Tagebuch] herein schreiben und habe somit Einiges zum Nachholen.
Gestern bekam ich einen Brief von der Cora und war Waschtag, hatte ich somit sehr viel zu tun (an anderen Tagen auch).
Im R. K. [Dienst beim Roten Kreuz] waren mehrere Damen da, von mir nämlich [die ihr bei Schreibarbeiten halfen] und brachte mir der Diener einen Brief von der Fliegerleutnant[-Zeitungs]-Annonze. Er heißt Adrian B. (?) schreibt reizend und schickte zwei kleine Fotografien mit. Auf der einen ist er im Schützengraben oder wo. Aber sein Gesicht sah man nirgends recht deutlich.
Heute gab ich die Antwort an ihn mit einer Fotografie, wo Pa [Vater Maximilian Alma] mit seinen Kollegen etz. drauf ist, auf. Hoffentlich antwortet er bald.
Heute war es ödartig im R. K. Die Frau Rat war gestern und heute da und hat zuhause 100 Karten geschrieben. Beim Heimweg ging ich Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 74: Feldpost von Christl Lang und Leopold Wolf, 9. und 10. Mai 1916, Wien und ein unbekannter Ort in Italien

1916 04 23Die bürgerlich situierte Christl Lang (geb. 1891) erwähnte in ihren regelmäßigen Briefen an den Verlobten Demonstrationen von Frauen in Wien, sie sendete ihm Fotografien, kündigte ein Paket mit Lebensmitteln an und machte sich um seine Gesundheit sorgen, weswegen sie auch eine Schneebrille schickte. Leopold Wolf (geb. 1891) scherzte darüber und machte Andeutungen über seinen Aufenthaltsort. Auch reflektierte er über das Verhältnis eines verlobten Mannes zu seiner Herkunftsfamilie. Es wird dabei zudem sichtbar, dass beide versuchten, gesellschaftliche Konventionen als Verlobte zu erfüllen und wie sie mit dem jeweiligen Gefühl von Einsamkeit umgegangen sind.

Brief, Christl Lang an Leopold Wolf

Wien, 9. Mai 1916.
Liebster Poldi!
Soeben erhielt ich Deinen l. langen Brief vom 23. d. M. und auch diese fragliche Abbildung eines Feldpostkistels. (oder der 3 Aranzini im 5 kg. Paket). Das ist infam, diese Naschkatz möchte ich erwischt haben mögen. [Ein Paket mit Lebensmitteln war unvollständig angekommen.] Wer anderer wird’s denn gewesen sein, als diese Telefonpatrouille? Jetzt bin ich Dir nur neugierig ob Du die weiteren Sendungen auch so ähnlich bekommst. In einem Packerl sandte ich Dir ein Chokoladbrot und Husarenkrapferln, im andern grüne Schneebrillen, letzteres ist sehr wichtig für Deine Augen. Ich habe auf das Packerl draufgeschrieben „Feldausrüstungsgegenstand“, obs was genützt hat wird sich ja bereits erwiesen haben, nicht wahr. Diese Brillen sind aber nicht nur für Schnee, sondern auch für die Sonne und ich rate Dir dringenst an selbe zu benützen.
Dein Ostersonntagssmenu liest sich ja ganz schön ist sogar pompös, aber gut muß es weniger gewesen sein. Wenn man zum Vergleich die Menukarte vom vorigen Jahr liest läuft einem förmlich das Wasser im Mund zusammen, das waren ja paradiesische Zeiten, wann kommt Ihr wieder? Das ist eine große Frage, die lange Zeit zur Antwort braucht. Bei uns in Wien aber ist man schon sehr ungeduldig und mit Recht.
Heute sollen fürchterliche Krawalle am Rudolfsheimer Markt u. im X. Bez. Gewesen sein. Eine nicht unbedeutende Menge Frauen zogen sogar vors Parlament um zu randalieren. Wenn nur auch ein Erfolg zu sehen wäre. Auch auf unseren Bürgermeister [Richard Weiskirchner] haben sie es scharf. Ich kann dies Ekel auch nicht leiden, er ist ja doch sehr viel schuld an dieser wirtschaftlichen Misere, dafür ist er aber vorige Woche zum „Ehrenbürger“ ernannt worden, was einen gewissen Herrmann zu einer Karikatur im „Morgen“ veranlaßte, die wohl selten gut ist. So jemanden zu verunstalten und doch erkennen lassen […] ist das ist eine Kunst. Ich hab wirklich Tränen gelacht als ich das sah: Sr. Exzell. steht vor dem Spiegel angetan mit allen Zeichen seiner Würden und fragt: Spieglein, Spieglein an der Wand wer ist der Schönste im ganzen Land. Das ist doch köstlich. Dazu diese Bulldogg-Visage. Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 73: Tagebuch von Bernhardine Alma, 2. bis 10. Mai 1916, Wien

1916-05-02Bernhardine Alma (geb. 1895) war seit 1915 ehrenamtlich für das Rote Kreuz tätig. Ihre Aufgabe bestand darin, an 4 Nachmittagen in der Woche Namen von verstorbenen sowie von vermissten Soldaten von Kartei-Karten in Listen einzutragen, die sie als „Schreckenslisten“ benannte. Im Herbst 1915 war sie dafür mit einer Ehrenmedaille ausgezeichnet wurden. Ihre älteste Schwester Cora (geb. 1890) engagierte sich ebenfalls im Roten Kreuz. Sie hatte über eine Annonce den Offizier Sergius von St. aus dem rumänischen Teil der Monarchie kennengelernt und geheiratet. Im Mai 1916 folgte sie ihm in die Etappe nach Tzebinje in Bosnien-Herzegowina. Die Trennung von der Schwester durch deren Eheschließung wurde von Bernhardine Alma im Tagebuch ausführlich besprochen. Auch für die 25jährige Schwester Sigrid (geb. 1891), die als Fotografin arbeitete, versuchte die Familie, über Zeitungs-Inserate einen als passend eingestuften Ehemann zu finden.

2. Mai 1916. abend.
„Dieser Monat ist ein Kuß, Den der Himmel gibt, der Erden!“
Morgen kommt Sigrid mit ihrem Hr H. im Cafe mit Ma [Mutter Lydia Alma] zusammen. Ich hoffe so sehr, daß es ein günstiges Resultat haben wird. Hoffentlich heiratet sie dann recht bald! Das gäbe Gott! Und natürlich glücklich! Im R. K. [Roten Kreuz] war es öd. Die K. hat mir die Karten nicht gebracht. Also konnte ich die Schreckensliste nicht abgeben, was mich ärgert. Die Anny ist ganz herzig. Ich hob für die Auszeichnungen ein. Leider konnte ich die Cora nicht [für eine Medaille] eingeben. Mir wird doch leid sein, wenn die Cora so weit fort ist. Die Cora sagte, sie glaube, daß ihr um mich am meisten leid sein wird. – Ob ich das Ehrenzeichen bekommen werde? Wenn nicht, trete ich aus. Wenn nur der Krieg einmal aus wäre! Man hört so viel, daß es bald sein soll. Das wäre so schön! Ich habe schon so lange keinen Brief bekommen. –

3. Mai 1916, abends.
Was wird der Monat bringen? Sigrid war mit Ma im Cafe, aber der dumme Kerl hat sich nicht gerührt. – Vielleicht schreibt er bis morgen! – Heute war ich in der Länderbank wegen Sigrids Geld und dann beim Merkur und mit Cora auf der Post. Die arme Cora fährt schon bald fort! Ich hätte so gerne, wenn Sigrid bald heiraten würde! Vielleicht geht es doch bald. Vielleicht den Edie L. Heute ging ich blank ins R. K. Der H. hat gesagt, daß ich für die Auszeichnung zu viel vorgeschlagen [habe]. Ich wollte für Cora eine Auszeichnung. Er sagte, Continue reading