Bernhardine Alma (geb. 1895) war seit 1915 ehrenamtlich für das Rote Kreuz tätig. Ihre Aufgabe bestand darin, an 4 Nachmittagen in der Woche Namen von verstorbenen sowie von vermissten Soldaten von Kartei-Karten in Listen einzutragen, die sie als „Schreckenslisten“ benannte. Im Herbst 1915 war sie dafür mit einer Ehrenmedaille ausgezeichnet wurden. Ihre älteste Schwester Cora (geb. 1890) engagierte sich ebenfalls im Roten Kreuz. Sie hatte über eine Annonce den Offizier Sergius von St. aus dem rumänischen Teil der Monarchie kennengelernt und geheiratet. Im Mai 1916 folgte sie ihm in die Etappe nach Tzebinje in Bosnien-Herzegowina. Die Trennung von der Schwester durch deren Eheschließung wurde von Bernhardine Alma im Tagebuch ausführlich besprochen. Auch für die 25jährige Schwester Sigrid (geb. 1891), die als Fotografin arbeitete, versuchte die Familie, über Zeitungs-Inserate einen als passend eingestuften Ehemann zu finden.
2. Mai 1916. abend.
„Dieser Monat ist ein Kuß, Den der Himmel gibt, der Erden!“
Morgen kommt Sigrid mit ihrem Hr H. im Cafe mit Ma [Mutter Lydia Alma] zusammen. Ich hoffe so sehr, daß es ein günstiges Resultat haben wird. Hoffentlich heiratet sie dann recht bald! Das gäbe Gott! Und natürlich glücklich! Im R. K. [Roten Kreuz] war es öd. Die K. hat mir die Karten nicht gebracht. Also konnte ich die Schreckensliste nicht abgeben, was mich ärgert. Die Anny ist ganz herzig. Ich hob für die Auszeichnungen ein. Leider konnte ich die Cora nicht [für eine Medaille] eingeben. Mir wird doch leid sein, wenn die Cora so weit fort ist. Die Cora sagte, sie glaube, daß ihr um mich am meisten leid sein wird. – Ob ich das Ehrenzeichen bekommen werde? Wenn nicht, trete ich aus. Wenn nur der Krieg einmal aus wäre! Man hört so viel, daß es bald sein soll. Das wäre so schön! Ich habe schon so lange keinen Brief bekommen. –
3. Mai 1916, abends.
Was wird der Monat bringen? Sigrid war mit Ma im Cafe, aber der dumme Kerl hat sich nicht gerührt. – Vielleicht schreibt er bis morgen! – Heute war ich in der Länderbank wegen Sigrids Geld und dann beim Merkur und mit Cora auf der Post. Die arme Cora fährt schon bald fort! Ich hätte so gerne, wenn Sigrid bald heiraten würde! Vielleicht geht es doch bald. Vielleicht den Edie L. Heute ging ich blank ins R. K. Der H. hat gesagt, daß ich für die Auszeichnung zu viel vorgeschlagen [habe]. Ich wollte für Cora eine Auszeichnung. Er sagte, daß ich noch bei der Besprechung zugegen [sein] würde. Er war sehr nett. Ich sagte es ihm wegen der dummen Karten von der Fr. K. Er wird darum schauen. Er ist mitunter wirklich recht lieb. Ich hab zuhause sehr viel zu tun. Auf der Hauptstraße sind Fotografien [von Soldaten ausgestellt]. Eine sah meinem kleinen Jaro sehr ähnlich. [Jaro G. war eine Bekanntschaft, die die Schreiberin im Rahmen von Besuchen von Soldaten in Krankenhäusern kennen gelernt hatte.] Ich werde noch genau schauen, ob er es ist. Wenn ja, muß ich es bekommen. – Ich will so viel.
Gott möge mein Schicksal lenken. Nach dem R. K. war ich in der Stefanskirche beichten, nicht bei dem letzten, sondern bei einem anderen. Aber der erkannte, daß ich schon einmal bei ihm gewesen. Er war aber sehr nett, hob mein „zartes Gewissen“ hervor u.s.w. – Wenn Gott mir nur gnädig ist! –
4. Mai 1916, abends.
Morgen fährt Cora fort. Mir wird sehr leid sein um sie. Es ist ja so was Eigenes dran, – wir haben so lang zusammen gelebt, haben uns lieb gehabt – und dann löst sie sich von der Familie – und fährt so weit fort. Gott möge sie schützen! Sie möge recht sehr glücklich werden! Das wollte Gott! – – –
(…) Für zuhause hab ich sehr viel zu tun. Ich gab an den Stephan Sch. eine Feldpostkarte und Zigaretten auf. – Die Karte im R. K. habe ich noch nicht. Man hat auch Geschäftssorgen. Die Tante Lilli war heute da. Sie ist recht niedlich. –
Im R. K. bekam ich eine Ansichtskarte vom Lt. N.
Zuhause hatte ich eine Ansichtskarte vom Sch.
Dann kamen die Gertrud, Tante Lilli und Lisi. Wir blieben dann alle zusammen und tranken Wein auf Coras Wohl. Es wäre sehr nett gewesen, aber mir tut es doch leid um die Cora. – – (…) Wer nur einen Blick in die Zukunft tun dürfte!!!!! – Die arme Sigrid hat zwar einen sehr lieben, aber doch einen Abschiedsbrief von ihrem dummen Herrn H. bekommen. Besser früher als später! Aber hoffentlich wird sie jetzt bald eine glückliche Frau eines anderen!
Denk, aber denke nicht zu viel
Es geht doch alles wie Gott will!
5. Mai 1916, abends Freitag
Nun ist die Cora fort. Mir ist der Abschied sehr, sehr schwer geworden, schwerer als ich dachte. Sie war doch bei uns, ist mit uns aufgewachsen, eigentlich unlöslich verbunden, und nun ist sie fort – nun ist eine Lücke in unsere Familie gerissen. – –
Hoffentlich geht es der Cora recht gut, wird sie recht glücklich. Wann ich sie wieder sehen werde? Und unter was für Verhältnissen?
Unsere Familienverhältnisse haben sich jetzt verändert. – Und mir ist, als sei das nun schon weit her, ferne Vergangenheit.
Und immer mehr habe ich nach dem Jaro Sehnsucht. – Heute war ich beim Bank Verein u.s.w. Ich sah wieder sein Bild [das offenbar öffentlich ausgestellt war], er ist es sicher; noch als Korporal. Einjähriger. – ich könnte stundenlang stehenbleiben und sein liebes, liebes Gesicht ansehen. (…)
Heute war ich in der Bibliothek und tauschte ein. Die alten brachte ich retour. Das Glück im Winkel [von Hermann Bahr, 1895] war nichtssagend. Heines Mutter Lohn u. Biberpelz habe ich gar nicht gelesen oder doch nur durchgeflogen. In der zehnten Muse von [Maximilan] Bern kamen reizende Gedichte vor (besonders die von Goethe!) – (…)
Im R. K. gab ich die Liste No. 4474 B ab, Gott sei Dank! – Das Frl. W. hat mir Damen [als weitere Hilfskräfte] versprochen. Co[ra] holte mich ab. Wann ich wieder mit ihr fortgehen werde? Wenn sie nur glücklich wird! Mir ist noch immer etwas schwer zu Mute. Sie hat nun ihren Schicksalsweg eingeschlagen. Wohin wird der meine mich führen?
(…)
7. Mai 1916, abends, Sonntag
Die heutige Woche hat mit einer Karte von meinem Jaro gut angefangen. Es war sonst nicht viel daran. Er danke für meine lieben Zeilen zu Ostern (lang gedauert) und sandte mir herzliche Grüße und ergebenen Handkuß. Er schrieb schon mit Tinte. Hoffentlich ist er aber noch nicht gesund, damit er nicht ins Feld, überhaupt nicht fort von Wien muß. Ich habe ihn ja so sehr gerne. (…)
Ich habe einen aus der Ztg. [Zeitung] wegen Sigrid geschrieben. Hoffentlich hat es Erfolg!
Die Mama ist ziemlich nervös. Der Abschied von der Cora wird doch schwer auf ihr liegen. Hoffentlich kommt morgen Nachricht von ihr. Aber sie war schrecklich schlampert und das Aufräumen sehr öd. Marius [der jüngere Bruder, geb. 1902] nunmehriges Kabinett räume ich zusammen.
Ich will so allerhand! Und theaterspielen will ich wie nur je!
8. Mai 1916, abends
(…) Von Cora sind heute 2 Karten aus Tzebinje gekommen; dann hab ich eine Karte von Lt. Sch. bekommen. Im R.K. war es ödartig. Der H. sagte mir „Küßdiehand“. Das hat er bisher nicht getan, obwohl es sich gehört hätte.
9. Mai 16, abends
„Den lieben langen Tag
Hab ich nur Müh und Plag.“ Das ist nämlich wirklich wahr.
Von Cora sind heute Nachrichten gekommen. Sie scheint es reizend zu haben, was mich auch richtig freut, wirklich! – ich wünsche ihr nur Gutes! Dem Sergius auch natürlich.
Heute beim Einkaufen wollte Mama mir das liebe, süße Bild [auf dem der verehrte Jaro G. abgelichtet war] kaufen, leider blieb’s beim Willen. Da sie nichts verkaufen dürfen. Wenigstens sehe ich ihn aber wieder. Und er gefällt mir so gut!
Dann war ich bei der Beamtin unten, wegen Milch. Sie war sehr nett. Bücher tauschte ich auch um. (…)
10. Mai 1916, abends
Wenn nur bald Friede würde! Dann wäre alles besser. Ich bitte Gott so sehr darum – und das tu nicht ich allein. Die im Haus von der Minna B. verkehrenden Offiziere behaupten, daß im Sommer Frieden wird! – ach, wenn nur! –
Ich habe heute von der Cora eine Feldpostkarte bekommen. Für zuhause habe ich sehr viel zu tun. Aber das gehört sich ja schließlich. Pa [Vater Maximilian Alma, der einen hohen Posten bei der DDSG hatte] ist sehr nett zu mir. –
Heute sah ich seine Fotografie nicht. Ich hätte sie so gerne, da könnte ich sie immer ansehen, wenn ich Lust habe. Und die Lust hätte ich oft. Schade, dass das R. K. nicht über Nacht in die Luft fliegt! –
Sammlung Frauennachlässe NL 09
Nächster Eintrag aus dem Tagebuch von Bernhardine Alma am 13. Mai 2016
Voriger Eintrag aus dem Tagebuch von Bernhardine Alma am 19. Jänner 2016
- Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.
Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.
Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 73, Tagebuch von Bernhardine Alma, Datum, SFN NL 09, unter: URL