Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 03: Tagebuch von Bernhardine Alma, 29. Juni 1914, Wien

Bernhardine Alma (geb. 1895) wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen in Wien auf. Von 1908 bis 1979, kurz vor ihrem Tod, führte sie Tagebuch, das in der Sammlung Frauennachlässe im Umfang von 47 Bänden und geschätzt 25.000 Einträgen vorliegt. Darin dokumentiert sie sehr detailliert ihr Umfeld, ihre Erlebnisse und Pläne. Als Berufswunsch formulierte sie dabei, Schauspielerin werden zu wollen.

Peter und Paul [29. Juni] 1914, abends
Sie haben uns unseren lieben Thronfolger, den Erzherzog Franz Ferdinand und die Herzogin Sofie erschossen! Ach, ist das fürchterlich – ganz unglaublich und unfassbar. – So ein paar dumme serbische Buben haben es getan – ach, das ist doch furchtbar. Die Herzogin war reizend und der Erzherzog so tapfer, so heldenhaft, wie’s sein Charakter ist. Die armen, lieben Kinder der beiden – und unser süßer kleiner Kaiser! Und die Welt geht weiter. – Das Leben rauscht seinem alten Strom und die Leute sind mir grauslich. – Ein Franziskanermönch hat sie absolutiert, der Pater Puntigam aus Sarajevo mit der letzten Ölung versehen. Es ist so Schade um die beiden. Die Herzogin hatte ein schönes Leben und starb mit ihm vereint. Er war so lieb, so tapfer – so charaktervoll! – […] Ich will so gerne zur Bühne! – So, so gerne! – Das wäre so schön! – Nun schließe ich für heute!

Dienstag, 30. Juni, abends
Wenn ich nur wüßte, wie mein Leben bestimmt ist! Ich will zur Bühne! – Um unsere Thronfolgerpaar ist es sehr Schade! Er war ein Held und sie reizend! – Ich möchte ein süßes Mützerl haben und möchte noch allerhand. Nun mache ich einstweilen Schluß. Mama ist sehr lieb zu mir. –

1. Juli 1914, Schon! abends, Mittwoch
Schade eigentlich, daß der L[…]kurs [Kunstunterricht] aus ist. – Das deutsche Kaiserpaar hat den lieben Waisen (wie schrecklich das klingt! – die armen, armen Kinder!) des Thronfolgers ziemlich nett kondoliert. Wien ist noch immer schwarz beflaggt. Das war ja auch ein erschütterndes Ereignis. – Schade um unseren Thronfolger. Der Carl Franz Josef ist ja etwas komisch und die Zita noch viel mehr! Ich habe so gerne, wenn mir etwas Schönes träumt. Hoffentlich heute Nacht! – […] Ich will, will, will zur Bühne. – Wenn ich auch nicht viel davon schreibe, ich will es so sehr, als täte ich täglich ganze Bücher davon voll schreiben. – Im Blatt der Hausfrau [Modezeitschrift mit Schnittmustern und Kinderbeilage] ist ein sehr schöner Roman „Das allzugute Herz“. Was der Erzherzog und die Herzogin jetzt wohl machen?

Sammlung Frauennachlässe NL 09
Nächster Eintrag aus dem Nachlass von Bernhardine Alma am 5. Juli 2014

Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, „… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!“ Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 03, Tagebuch von Bernhardine Alma, 29. Juni 1914, SFN NL 09, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=16604