Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 23: Brief einer Nichte an Lili Stephani, 24. November 1914 aus Gilamont/CH nach Chemnitz

Handschrift von Lili StephaniLili Stephanis (geb. 1869) Ehemann (geb. 1864) war als Oberst bereits im August 1914 bei Kampfhandlungen gestorben. Im November 1914 wurde auch ihr als Kadett eingezogener 19jähriger Sohn Kurt (geb. 1895) im Kriegseinsatz getötet. Ihre beiden Töchter Elisabeth (geb. 1894) und Christine (geb. 1898) engagierten sich im Kriegshilfsdienst. Die umfangreiche Familienkorrespondenz, die in der Sammlung Frauennachlässe als Abschrift vorliegt, enthält unter anderem das Kondulenzschreiben von Lili Stephanis Nichte Elisabeth Ducraux (persönliche Daten unbekannt) aus Gilamont (Vevey) am Genfersee in der Schweiz. Sie war die Tochter von Hermann Stephanis älterer Schwester Clara Ducraux (geb. 1860).

24. November 1914
Meine liebe, arme Tante Lily!
Nur ein Wort möchte ich dir senden um dir meine innigste Teilnahme zu sagen für die unglaubliche, schreckliche Nachricht. Ich kann es kaum fassen. Bei jedem Augenblick sind meine Gedanken mit euch, es ist ja zu traurig! Und die arme Elisabeth, bitte, liebe Tante Lily, sage ihr auch, daß ich mir ihre großen Schmerzen vorstelle und mit ihr von ganzem Herzen teilnehme. Die arme Elisabeth, ich weiß, wie sie ihren guten Bruder liebte. Man fragt sich halt: Warum soll so viel Kummer auf einmal auf eine Familie fallen! Nur Gott weiß es und möge er euch beistehen und euch helfen. Wo ist jetzt Christine? Das arme Ding macht jung was Ernstes durch! Liebe Tante Lily, es wäre mir eine große, große Freude, wenn du mir das letzte Bild von Kurt einmal geben möchtest.
Es wäre mir ein Andenken an letzten Sommer, wo wir Kurt so munter und gesund unter uns hatten. Rings herum hört man lauter Jammer. 1914 wird in allen Gedächtnissen bleiben als ein Trauerjahr. Ich schließe, liebe Tante Lily, in der Hoffnung, daß du und Elisabeth bald etwas Trost und Ruhe findet Ganz herzlich Grüße und küsse ich euch und wünsche euch Mut, soviel es möglich ist.
Deine ergebene Elisabeth

Sammlung Frauennachlässe NL 177
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Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 23, Brief einer Nichte an Lily Stephani, 24. November 1914, SFN NL 177, unter: URL