Vortrag: Gabriele Rosenthal: Zur Interdependenz von kollektivem Gedächtnis und Erinnerungspraxis. Die Homogenisierung einer kollektiven und familialen Vergangenheit in der Sowjetunion, 17.01.2012, Wien

Institut für Soziologie der Universität Wien
Ort: Rooseveltplatz 2, Seminarraum 2, (1 OG)
Zeit: Dienstag, 17. Jänner 2012, 18.30 s.t.
Im Vortrag wird vor dem Hintergrund einer sozialkonstruktivistischen und biographietheoretischen Konzeption des kollektiven Gedächtnisses und des Erinnerns als kultureller Praxis die Besonderheiten der Erinnerungspraxis einer bestimmten Gruppierung von MigrantInnen in Deutschland diskutiert. Gabriele Rosenthal bezieht sich dabei auf ihre Forschung im Kontext eines DFG-Projektes zu Mehrgenerationen-Familien von (Spät-)AussiedlerInnen aus der heutigen GUS. In dieser Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, wie sich die Angehörigen dieser Gruppierung von MigrantInnen, die insbesondere seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, d.h. kurz vor oder kurz nach dem Ende der Sowjetunion nach Deutschland ausgewandert sind, an ihre Vergangenheit vor der Migration erinnern und welche Versionen der kollektiven, familialen und individuellen Geschichte sie heute präsentieren.
Die empirischen Analysen zeigen, dass in dieser Gruppierung die Angehörigen aller Generationen über ein deutliches, die Differenzen innerhalb der Gruppierung nivellierendes Wir-Bild verfügen, das sich auf ein ausgesprochen homogenisiertes kollektives Gedächtnis bezieht. Die beachtliche Wirksamkeit dieses homogenisierenden Wir-Bildes ist zum einen den staatlich bedingten massiven Beschädigungen der kollektiven Gedächtnisse von in der Sowjetunion diskriminierten Gruppierungen und dem kollektiven bzw. staatlich verordneten Schweigen geschuldet, zum anderen jedoch erheblich mitbedingt durch die zunehmend verschärften Bedingungen der bundesdeutschen Aufnahmeverfahren.
Neben den Beständen des wirkmächtigen kollektiven Gedächtnisses wird Gabriele Rosenthal die dahinter liegenden, im Diskurs häufig verleugneten heterogenen Familienvergangenheiten diskutieren und die transgenerationalen Folgen der Homogenisierung und der mehrfachen Reinterpretationen der Vergangenheit sowie der divergenten familiengeschichtlichen Verläufe aufzeigen.

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