Category Archives: Edition_1. Weltkrieg in Selbstzeugnissen

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 17: Tagebuch von Bernhardine Alma, 15. September 1914, Wien

Tagebuch von Bernhardine Alma, 15. September 1914Bernhardine Alma (geb. 1895) lebte in Wien. In ihrem außergewöhnlich umfangreichen Tagebuch dokumentierte die 19-Jährige detailliert die bürgerlich-katholische Gesellschaft, in der sie sich bewegte. In einem Eintrag von September 1914 deutet sie die Möglichkeit an, dass verwundete Soldaten privat in Wohnungen gepflegt werden könnten. Die zweitälteste Schwester Sigrid (geb. 1891) scheint ihrerseits (möglicherweise) in die Erwerbsarbeit eingetreten zu sein.

15. September 1914. Dienstag, abends.
Es ist schrecklich zu denken, wie viele da sterben und bluten müssen, ich glaube, daß ich den Gedanken nicht ganz erfasst habe, sonst könnte ich nicht so ruhig sein. Die Menschen sind sicher in mancher Hinsicht mit Stumpfheit geschlagen – vielleicht zu ihrem Glück! – Und doch – der Tod ist das Los des Menschen. Die im Krieg sterben, sterben wenigstens schön und verkaufen ihre Leben teuer, nicht wie so viele, die es gänzlich unnütz hingeben. Jedem schlägt seine Stunde! Glücklich die, die mit einer Begeisterung wie Theodor Körner in den Tod gehen! Was ist der Tod und was das Leben! – Wie man am Leben hängen kann, wenn man sieht, was das für vergängliches Gut ist! – Sigrid [die ältere Schwester, geb. 1891] geht seit heute wieder regelmäßig zum Dr. K. [möglicherweise als Dienstnehmerin für eine nicht zu klärende Tätigkeit; sie war später als Magistratsbeamtin angestellt]; Marius‘ [der jüngere Bruder, geb. 1902] Schule fängt bald an – alles geht seinen alten Gang „und draußen ist Krieg!“ – Vielleicht muß Mama Verwundete hernehmen.

Für meine Person wäre mir das ja so recht! – Ich hoffe, daß ich doch noch zu Verwundeten kommen werde; ich hoffe das so sehr! – – Heute regnet es. Sigrid hat mir einen reizenden schwarzen Schleicher (?) gekauft. „Das Leben ist nur ein Moment“ sagt Schillers Tortina. – – Mir kommen so ernste Gedanken! In deine Hände, Vater Sei Anfang und Ende, Sei alles gelegt! Dein Wille geschehe! Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 16: Tagebuch von Bernhardine Alma, 13. und 14. September 1914, Wien

Tagebuch von Bernhardine Alma, 13. September 1914Die 19jährige Bernhardine Alma (geb. 1895) lebte mit ihren Eltern und drei Geschwistern im Wiener Bezirk Landstraße. Der Vater hatte eine leitende Position bei der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft inne. Seit Kriegsbeginn verfolgte die junge Frau den Plan, sich als Kriegskrankenschwester zu melden. Konkrete Schritte dazu hatte sie noch nicht gesetzt – das Vorhaben scheiterte bislang am Verbot durch die Eltern.

13. September 1914. Sonntag, abends.
In Lemberg haben wir 1000 Russen und mehrere Geschütze errungen. Nun muß ja bald die Entscheidung kommen. Die Entscheidung – Sieg – Frieden! – Das Leben wäre so schön! Das ist das Böse am Leben, daß es uns so gerne zeigt, wie schön es sein könnte! – Ich hoffe jetzt wieder insofern zu Verwundeten zu kommen, daß ich wo hin komme, wo sie privat Verwundete haben, z.B. /hat/ eine Dame einen Teil ihrer Wohnung zur Verfügung gestellt oder so etwas – auf die Art. Ich hoffe es so sehr! „Was man nicht aufgibt, hat man nicht verloren!“ Heute war Mamas Onkel Rudolf da. Papa vertragt sich mit ihm, weil er sich fürn Krieg interessiert. Der Papst will Frieden machen, was sich gehört. In Italien könnten so leicht die Friedensverhandlungen sein. Ich will zu Verwundeten! – In der Kirche machen die brennenden Altarkerzen so einen traulichen, friedlichen Eindruck! Wann ich zu Verwundeten kommen werde? – Es gehen Winterstürme und draußen weht der Wind ganz scharf. Momentan vielleicht gerade nicht. In schwerer Zeit habe ich so eine Vorliebe für Goethe’sche Gedichte! Was wird die kommende Woche bringen? –

14. September 1914. Montag, abends
Ich möchte so gerne, daß schon Frieden ist! Das wäre so schön! – Aber ich will so, so, so gerne zu Verwundeten! Das ist doch sicher nicht zu viel verlangt. Ich würde diese meine liebe Pflicht dann so genau, so gerne erfüllen – ich würde vor nichts zurückschrecken, ich würde alles tun. Was zur Pflege gehört. – – – Wann wird es mir möglich sein? Für zuhause [den Haushalt] tu ich sehr, sehr viel; aber das genügt mir so gar nicht. […] – Ich will, daß Frieden ist! –

Sammlung Frauennachlässe NL 09
Nächster Eintrag aus dem Tagebuch von Bernhardine Alma am 15. September 2014
Voriger Eintrag aus dem Tagebuch von Bernhardine Alma am 26. Juli 2014

Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

  • Zum Tagebuch von Bernhardine Alma im Ersten Weltkrieg siehe auch: Ulrike Seiss, “… ich will keinen Krieg oder als Krankenschwester mit!” Selbstinszenierungen, Kriegsrezeption und Männlichkeitsbilder im Tagebuch einer jungen Frau im Ersten Weltkrieg, Wien, Diplomarbeit, 2002 sowie weiters https://ww1.habsburger.net/de.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 16, Tagebuch von Bernhardine Alma, 13. und 14. September 1914, SFN NL 09, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=18012

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 15: ‚Müttertagebuch‘ von Maria E. für ihren 1914 geborenen Sohn „Nusserl“, 5. bis 21. September 1914, Steiermark

NL 174 Handschrift Maria ESeit 1913 war die junge Klavierlehrerin Maria E. (geb. 1890) mit einem Juristen verheiratet und Mutter eines Sohnes. Am 14. August 1914 wurde ihr zweiter Sohn Heribert „Nusserl“ geboren. Maria E. hat die Entwicklung von jedem ihrer Kinder in einem eigenen Tagebuch festgehalten. Jenes für „Nusserl“ liegt als Abschrift in der Sammlung Frauennachlässe vor.

5. September: Nusserl ist viel im Freien. Oft sitze ich neben ihm. Er entwickelt sich natürlich viel rascher als sein Brüderchen [Elmar, der im Vorjahr als Zwilling zwei Monate zu früh geboren wurde] und wird von Tag zu Tag lieber. Zwischen 5 und 6 Uhr bin ich im Dom bei einer Kriegsandacht. Es ist mein erster Kirchgang [nach der Geburt], mein heißes Dankgebet für alles unverdiente Glück. Tiefergriffen verlasse ich das Gotteshaus, kaum weiß ich, wie meine müden Glieder nach Hause finden. (…)

18. September: Das Regenwetter behagt dem kleinen Nussi gar nicht! Aber warum soll denn mein kleines Kriegskinderl nicht auch ein wenig weinen dürfen? Ich selbst bin so ernst gestimmt. Die Nachrichten über schwere Verwundungen lieber Freunde häufen sich. Da und dort reißt der unerbittliche Tod eine tiefe Lücke – – Trotzdem löst das „Gott erhalte“ und „Heil Dir im Siegeskranz“ [die preußische „Volkshymne“] die gleiche Begeisterung aus wie am ersten Tag.

21. September: Heribert scheint etwas von Elmars Geburtstagsfreude zu fühlen, denn zum ersten Male lacht er mehr und länger dem Brüderchen zu.

Sammlung Frauennachlässe NL 174
Nächster Eintrag aus dem Nachlass von Maria E. am 21. Februar 2015
Voriger Eintrag aus dem Nachlass von Maria E. am 23. Juli 2014

Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert. Das Müttertagebuch von Maria E. liegt in der Sammlung Frauennachlässe – in Auszügen – als Abschrift vor.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 15: Tagebuch von Maria E., 5. bis 21. September 1914, SFN NL 174, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=18001

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 14: Karte von Oberst Hermann Stephani an seine Ehefrau, 29. August 1914, Lannois/FR

NL 177 Stephani Handschrift von Lili StephaniHermann Stephani (geb. 1864) war seit Juli 1914 mit dem Rang eines Oberst berufsbedingt als Soldat eingezogen. Sein Sohn Kurt Stephani (geb. 1895) war ebenfalls Soldat. Seine Ehefrau Lilli Stephani (geb. 1869) und die 20 und 16-jährigen Töchter Elisabeth und Christine Stephani engagierten sich als Rot-Kreuz-Schwestern bzw. bei Liebesgabenaktionen im Kriegshilfsdienst. Vom 29. August 1914 liegt eine Korrespondenzkarte von Hermann Stephani vor, die der 50jährige aus Lannois, 20 km westlich von Sedan in Frankreich geschrieben hat.

15. Nachricht
M.l.L. [Meine liebe Lili]
Zu ausführlicher Berichterstattung komme ich noch immer nicht, wir sind dauernd im Marsch, todmüde oft und recht hungrig, kurz die unvermeidlichen Strapazen des Krieges müssen wir bis zum […] durchkosten, gottlob mit Erfolg! Heute im Gefecht aber nicht im Feuer gestanden. Leider habe ich noch immer seit 11.8. keine Nachricht von Euch. Ich hoffe, daß die Rückbeförderung meiner Karten besser funktioniert. Unkontrollierbaren Gerüchten zu Folge geht die Arbeit, wenn hier getan, mit der entgegengesetzten Grenze für uns weiter.
Nous verrons! Mit vielen herzlichen Grüßen an euch Lieben, in Treue, Dein Hermann

Sammlung Frauennachlässe NL 177
Keine weiteren Schreiben von Hermann Stephani. Er wurde am 30. August 1914 bei Kampfhandlungen getötet.
Nächster Eintrag aus dem Nachlass der Familie Stephanie am 24. November 1914
Voriger Eintrag aus dem Nachlass von Familie Stephani am 13. August 2014

Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 14, Karte von Oberst Hermann Stephani an seine Ehefrau, 29. August 1914, SFN NL 177, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=17666#more-17666

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 13: Brief von Arthur Sch. an seine Schwester in Wien, 14. August 1914, Buenos Aires

Arthur Sch. aus Buenos Aires am 14 08 1914Arthur Sch. (geb. um 1885) war in einer wohlhabenden Fabrikant/innen-Familie in Wien aufgewachsen. Seit 1907 lebte er in Buenos Aires, wo er u.a. als Sekretär bei einer deutschen Firma arbeitete. In dem folgenden Brief an die ältere Schwester Emmy Wehle (geb. 1873) in Wien beschreibt er die aktuelle Stimmung und Situation von Exilant/innen in Südamerika.

Bs. Aires, 14. August 1914
Liebe Emmy!
Erst heute beantworte Dir Dein letztes Schreiben, doch hatte ich gehofft, Dir persönlich dasselbe zu beantworten. Nach der Kriegserklärung ist an alle Reservisten hier die Aufforderung ergangen sich sofort beim Consulat zu melden und dann nach Österreich zu fahren. – Ich sollte am 5ten August von hier mit einem italienischen Schiffe abreisen und war auch bereits an Bord als von der österreichischen Gesandtschaft die Ordre kam dass wir nicht abfahren dürfen, weil England den Krieg erklärt hatte. – So ist es mir also nicht möglich gewesen hinüber zu fahren. – Sag Emmy, musste Deszö [ein gemeinsamer Bruder] einrücken? Und Dein Schwiegersohn? – Du kannst nicht glauben wie nahe es mir gegangen ist, dass ich nicht abfahren durfte. – Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 12: Briefe von Christine Stephani an ihren Vater, 13. und 22. August 1914, Chemnitz

NL 177 Christine Stephani 1914 08 13Die 16-jährige Christine Stephani (geb. 1898) besuchte eine Internatsschule in Gnadau in Sachsen-Anhalt. Ihr Vater und ihr Bruder Kurt Stephani (geb. 1896) waren Militärangehörige und seit Kriegsbeginn eingerückt, ihre ältere Schwester Elisabeth Stephani (geb. 1895) meldete sich nach der vorgezogenen Matura als Kriegskrankenschwester. Sie selbst engagierte sich in privaten sowie in schulisch organisierten ‚Liebesgabenaktionen‘.

Chemnitz, d. 13. 8. 1914
Mein lieber Vater!
Mutti und ich sind wieder mal allein zu Hause. Elisabeth treibt sich in Plauen rum [wo sie gerade die Matura abgelegt hatte]. Dienstag muß ich nun leider auch wieder nach Gnadau [in die Schule]. Gestern waren wir mit Frau S. in Grünau auf dem Bahnhof um Soldatenzüge zu erwarten. Wir hatten Zigarren, Zeitungen, Schokolade und Pfefferminz en masse mit. Die Züge fuhren ganz langsam vorbei, so daß man bequem hineinreichen konnte.
Auf Tafeln Schokolade und Zeitungen habe ich meine Adresse und viele Grüße und Glückwünsche geschrieben. Hoffentlich schreibt mir jemand mal. Grüße an Dich und Kurt habe ich auch mit draufgeschrieben. Das Wetter ist herrlich, hoffentlich bratet ihr nicht so sehr. Hab nur rechten Mut und furchtbaren Haß gegen eure Feinde, dann siegt ihr auch.
Der Pferde hatten wir auch gedacht in Grünau. Wir hatten Packete mit je 12 Stück Zucker gemacht und „für die lieben Pferde“ draufgeschrieben. Hoffentlich haben’s die Soldaten nicht selbst gegessen. Nun Schluß. Tausend Siegesgrüße von Deiner Tochter Christine.
Grüß Klopfer [den „Burschen“ des Vaters]

22. August 1914, Gnadau
Mein lieber Vater.
Nun bin ich wieder in Gnadau, doch gar keine Lust zum Lernen wegen der täglichen Spannung. Von Halle nach Gnadau fuhren wir mit Einberufenen, einer kam aus […] und muß sich in Hamburg stellen, Frau und Kinder hat er noch dort. Wir sangen mit ihnen Kriegslieder. Es war herrlich. In […] war ein verwundeter Soldat, der Lüttig mit erobert hatte. Als wir gestern, Freitag, die herrliche Nachricht von Metz erhielten, umarmten wir uns. Die schwarz-weiß-rote Flagge wurde gehißt unter dem Gesang „Die Wacht am Rhein“. Sicher war 181 [Regiment des Vaters] bei Metz dabei. Schreibe mir doch bitte mal.
Jeden Mittag bekommen wir die neuesten Telegramme vorgelesen. Wir stricken furchtbar eifrig, ich habe Kniewärmer in Tätigkeit. Mutti und ich sind Sonntag, den 16. nach Leipzig gefahren, Mutti wollte doch Kurt noch sehen. Ich war noch Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 11: Briefe von Lili Stephani an ihren Ehemann, 11. bis 13. August 1914, Chemnitz

Brief von Lili Stephani, 12. August 1914Im Hochsommer 1914 rücke der Ehemann von Lili Stephani, Hermann Stephani (geb. 1869), als Oberst an die Westfront ein, ihr Sohn Kurt (geb. 1896) wartete als Kadett in Leipzig auf den Marschbefehl. Die älteste Tochter Elisabeth (geb. 1895) machte in diesen Wochen die vorgezogene Matura, um sich als Kriegskrankenschwester zu melden, was von Lili Stephani organisiert wurde. Als Ehefrau eines hochrangigen Militärs beteiligte sie selbst sich an mehreren ‚Liebesgabenaktionen‘ und Geldsammlungen, zudem an sozialen Unterstützungen „armer Familien“.

10. August 1914, Chemnitz
Mein geliebter Hermann!
Zwei liebe Karten von Dir habe ich bekommen, aus Apolda und aus Oberlahnstein; wir sitzen vor der Landkarte und stellen Vermutungen an, wohin es von da aus mag gegangen sein, nach Norden oder nach Süden? Mein Herzensschatz, wie meine Gedanken und Gebete immer bei Dir sind, es ist eine schwere Zeit, aber auch eine große Zeit!
Eben, es ist neun Uhr abends, waren wir vorn an der Heinrich-Beck-Schule und sahen die beiden Reservekompagnien abrücken, es war herrlich, wie zuversichtlich und froh all die Leute waren, es waren doch Reservisten, gewiß die meisten Familienväter, aber alle begeistert. Ich glaube, die meisten erfaßt eine wahre Wut. Es ist ja auch empörend, man findet keine Worte dafür, wenn man z.B. in den Zeitungen liest, wie in Belgien die Deutschen behandelt werden, wie Kranke, Frauen und Kinder vom Pöbel ermordet worden sind, eben nur, weil sie Deutsche sind.
(…) Heute früh habe ich mir zusammen mit Frau S. bei Oberst H. einen Ausweiß geholt um einmal auf den Bahnhof gehen zu können, wenn Truppenzüge durchfahren. Ich hörte gestern bei Frau E., daß man das bekommt. H. war auch sehr liebenswürdig und gab es uns sofort. Morgen wollen wir, da alle Stunden hier Züge durchgehen, hingehen. Wir wollen Cigarren mitnehmen. Es wurde gesagt, das sei das Erwünschteste, denn für Essen und Getränk ist ja schon gesorgt. Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 10: Briefe von Lili Stephani an ihren Ehemann, 7. und 9. August 1914, Chemnitz

NL 177 Stephani Handschrift von Lili StephaniLili Stephanis (geb. 1869) Umfeld war durch die Berufstätigkeit der männlichen Familienangehörigen militärisch geprägt. Ihr Vater war kgl. Hauptmann und 1870 im Deutsch-Französischen Krieg gestorben. Ihr Ehemann Hermann Stephani (geb. 1864) war Oberst, ihr Sohn Kurt (geb. 1896) zu Beginn des Ersten Weltkriegs Kadett. Beide waren Anfang August 1914 als Soldaten eingezogen worden. Die Internatsschulen, die die Töchter Elisabeth (geb. 1895) und Christine (geb. 1898) besuchten, hatten gerade Sommerferien.

7. August 1914
Mein geliebter Hermann!
Nun bist Du fort, mein guter, geliebter Schatz, aber mein Herz kann es doch nicht fassen, daß wir einen so ernsten Abschied genommen haben! Mir ist es immer, als müßtest Du plötzlich wieder unter uns sein, müßtest mit Deinem fröhlichen Gruß zur Tür hereintreten! Dagegen müssen Dich meine Gedanken in der Ferne suchen, auf dieser endlosen Eisenbahnfahrt. Unsere Gebete und unsere Gedanken begleiten dich immer, mein lieber, lieber Hermann. – Diese Nacht, die erste, wo Du nicht neben mir warst – sah ich Dich auf dieser langen Fahrt. Nun ist der Freitag bald vorüber und noch seid Ihr nicht am Ziel. Und doch kommst Du mir jetzt noch verhältnismäßig sicher und geborgen vor. Aber dann!
Ich habe diese Nacht – ich schäme mich fast (um Deine eigenen Worte zu gebrauchen) so fest geschlafen! – – – Eben werde ich ans Telephon gerufen von Herrn B. Er teilt mir mit, daß in der Stadt soeben das Extrablatt ausgegeben ist, daß unsere Truppen Lüttich im Sturm genommen haben mit allen Forts! Es herrscht eine große, freudige Aufregung, Gott sei gedankt! Du wirst ja diese Nachricht wohl doch hoffentlich eher erfahren als durch diesen Brief, aber schreiben mußte ich es Dir gleich! Welche Truppen dort freilich mitgekämpft haben, das wissen wir noch nicht, vielleicht schon Sachsen! Continue reading

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 09: Tagebuch Augusta S., August und September 1914, Altlengbach

NL 97 Schanda 1914 08Augusta Carolina S. (geb. 1877) war als Tochter eines Baumeisters in Enns in Oberösterreich aufgewachsen. Ihr Nachlass enthält Tagebuchaufzeichnungen von 1898 bis 1936. 1914 lebte sie mit drei Kindern in Altlengbach in Niederösterreich, wo sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Franz S. („Papi“) ein kleines Warenhaus führte. Augusta S. erwartete ihr viertes Kind, ihr Mann wurde in den Kriegsdienst eingezogen.

1914
Es ist Krieg! – Drückend schwer lastet‘s auf den Gemütern. Willi [10 Jahre] weinte plötzlich laut auf, als er hörte daß Papi auch fort muß – die anderen Zwei verstehen noch nicht! – „ein“ Kinderl soll uns noch werden! – „Gott behüt‘ uns den Vater!“ – Ein Streifchen mit innigem Begleitwunsch legt‘ ich ihm innen in den Hut als er sich rüstete u. die kleine Marien-Medaile die ich an einem Ketterl, als Mädl um den Hals getragen hatte, gab ich ihm mit. Es ist bitter! bitter! Sorge u. Unruhe, in Gleichmut bewahren u. arbeiten! Sein Strohhut, so wie er ihn hingehängt hat, am Nagel beim Handtuch – ich laß‘ ihn dort hängen, es ist mir manchmal eine Erleichterung still hinzublicken wenn wir im Geschäfte arbeiten, der blaße, schmächtige Lehrbursche u. ich.

Im Sept. 1914.
Papi kommt noch manchmal von St. Pölten – dann drängen die Kleinen sich um ihn, wir sind für eine Weile ruhiger. Guggi [die kleine Tochter] thront wieder auf seinem Arm, wenn wir abends zum Schlafzimmer im 1. Stock wandern. Papi meint er wird noch öfter kommen können.

Sammlung Frauennachlässe NL 97
Nächster Eintrag aus dem Nachlass von Augusta Carolina S. am 27. Oktober 2014

Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 09, Tagebuch Augusta S., August und September 1914, SFN NL 97, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=17594

Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 08: Brief von Oberst Hermann Stephani an seinen Sohn, 29. Juli 1914, Chemnitz

NL 177 Stephani Handschrift von Lili StephaniLili Stephani (geb. 1869) lebte in einer gut situierten Offiziersfamilie in Chemnitz. Ihr Vater war als kgl. Hauptmann 1870 im Deutsch-Französischen Krieg gestorben. Ihr Ehemann Hermann Stephani (geb. 1864) war Oberst, Sohn Kurt Stephani (geb. 1896) im Kadettenkorps. Im Juli 1914 hielt sich der 18-Jährige gerade an einem Urlaubsort auf, wohin ihm der Vater geschrieben hat.

Mein lieber Kurt!
Anbei zwei Karten, die hier [an die elterliche Adresse] an Dich gekommen sind. Pläne für die Zukunft lassen sich bei der politischen Spannung nicht machen. Ich erwarte stündlich die Anweisung vom Kadettenkorps Dich telegrafisch zurückzurufen, bis jetzt ist aber noch nichts da. Hier sind vom Gen. 2 Leipzig sämtl. Offz. u. […] des XIX.A.K. vom Urlaub zurückbeordert worden. Man erwartet hier stündlich den Mobilmachungsbefehl, oder sollte sich die Sache wieder im Sande verlaufen und in endlosen Konferenzen breitgetreten werden? Nun, ich bin bereit. Du hoffentlich auch um als Fähnrich in der Armee Verwendung zu finden. Mutti [Lili Stephani] ist in gelinder Aufregung, ihr Befinden bessert sich langsam, leider sehr [langsam]. Die Nachrichten über die politische Lage widersprechen sich derartig, daß es unmöglich ist sich ein auch nur annähernd klares Bild zu machen. Fürs erste heißt es Abwarten und wieder Abwarten.
Mit herzlichen Grüßen von Mutti und mir bin ich mit kriegskameradschaftlichem Gruß Dein treuer Vater.

Sammlung Frauennachlässe NL 177
Nächster Eintrag aus dem Nachlass von Familie Stephani am 7. August 2014

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Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 08, Brief von Oberst Hermann Stephani an seinen Sohn, 29. Juli 1914, SFN NL 177, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=17586