Augusta Carolina S. (geb. 1877) war Mutter von drei Kindern. Im Herbst 1914 erwartete die 37jährige Frau ihr viertes Kind und führte in Abwesenheit ihres zum Kriegsdienst eingezogenen Mannes Franz S. („Papi“) alleine ein kleines Warenhaus in Altlengbach. Im Oktober 1914 beschrieb sie in ihrem Tagebuch den Erhalt einer Schreckensnachricht und damit indirekt die Kommunikationswege und –schwierigkeiten zwischen der Front und zu Hause.
Im Octob. 1914.
Es ist nicht so! – ich stand gerade im Garten draußen zu sehen, was an Herbstarbeiten noch zu machen sei, da kam ein Mann mit der telegf. Nachricht daß Papi soeben durch Neulengbach gefahren sei [von der nahe gelegenen Kaserne in St. Pölten zum Fronteinsatz], er habe den Restaurateur am Bahnhof gebeten mich davon zu verständigen. – Es legt sich wie Blei auf meine Glieder ….. Wie ein mühsames Dahintasten. Wir sind nun ganz alleine! – ich durchgehe den ganzen Garten bis rückwärts über das Birkenbrückerl zum großen mächtigen Fichtenbaum dessen Zweige tief herabhingen, als wir nach [Altlengbach] kamen, den Franz ausgeschnitten hatte weil überall so viel Moos im Gras stand. – alles erinnert – alles schmerzt! Die Kinder sind ganz stumm geworden! ……
Es ist Mitte October, – es schneit schon! – Tante Mizzi [Schwester der Schreiberin] ist gekommen. Wir haben mitsammen die Rosen zugedeckt und die Begonienknollen geborgen, sie blühten noch vor kurzer Zeit so schön – ich schützte sie damit sich Papi noch freuen soll – er sieht sie nicht mehr! Es ist Nachricht gekommen daß sie in Budapest (Kispest) einquartiert sind.
Ende Octob. 1914
– es geht gegen Norden am russ. Kriegsschauplatz!
Josef der Bursche kommt heute mit Briefen u. anderem von der Post u. sagt: Hr. Postadministrator lasse sich empfehlen u. sagen Frau S. möge nicht erschrecken – es kann auch ein Irrtum sein. – Was meint er damit? – es ist eine Karte vom „Herrn“ dabei! …. es sind die Karte von meinem Mann geschrieben: „Im Fall ich ‚fallen‘ sollte wird der Finder gebeten diese Karte meiner Frau zu übersenden.“ – wir sind starr! – was tun? – so jäh! es ist entsetzlich! ist zu hoffen daß es ein Irrtum ist? alles presst sich in mir zusammen … die Kinder, die Kinder. Ich telegrafiere Onkel Ferdinand [Bruder des Ehemanns] – er verspricht abends einzutreffen; er ist gut, geht uns überall ratend, helfend an die Hand. Morgen muß er wieder fort. Im Ort hatte sich die Nachricht schnell verbreitet, die Leute nahmen ehrlich teil – ich werde das den Altlengbachern immer danken!
Nach 2 Tagen kommt wieder Post – eine 2te Karte von meinem Mann – richtigen Inhalt‘s. Der Irrtum od. vielmehr das Verhängnis klärt sich folgender Aussage meines Mannes mit seinem Ba.on, auf. Er erzählte: Wir sind von Budapest über Munkaz hinaufbefördert worden, kaum aus dem Zug ausgestiegen, beschossen uns die Russen – Pferde lagen überall herum. Mein Offizier war gleich verwundet und mußte ich deshalb mit ihm wieder zurück; die Anderen, darunter auch Herr S. haben über Nacht in einer alten Ruine Deckung gefunden. – (Unser Oberleut. ist beim Einmarsch in ein Dorf am 1. Tag durch einen Granatschuß getötet worden.) Die erste Karte hatte Franz wahrscheinlich für den Schreckensfall vorgeschrieben und sie unversehens mit der 2ten zusammen aufgegeben – das Verhängnis wollte es, daß sie alt auch als „Erste“ eintraf. Wir danken Gott! – die Sorge weicht aber nicht mehr. Die Kinder sind nach u. nach wieder fröhlicher – ein Vergessen wenn sie sich spielen u. lachen – ich mag sie nicht hemmen nicht wehren – oft aber denk‘ ich wer weiß was eben „draußen“ vorgeht. – Wir sind wieder allein; nur Briefe wechseln. Die Feldpost kommt recht unregelmäßig – Papi ist noch immer in gleicher Stellung – ich merk‘s an seinen Kartenzeichen; sie sind in den /Karpathen/. Vater [Vater der Schreiberin] schickt hie u. da Trost durch Mizzi [Schwester der Schreiberin] – Onkel Ferd. kommt fast alle Sonntag uns im Geschäft zu helfen. Przemisl ist gefallen! … Josef der Bursche u. Resi unser Mädl sind brav. Willi u. Rudi [die kleinen Söhne der Schreiberin] hatten wieder Lärm gemacht; ich weiß nicht wie das /zugieng/ ich war gerade im Geschäfte – Rudi ist auf den heißen Ofen gefallen und dann von dort auf eine nebenstehende Kiste und hat sich einen Nagelkopf in die Wange gedrückt. – Guggi [die kleine Tochter] sieht da immer still entsetzt zu. – Abends erst kann ich Zeitung durchsehen – Post u. Geschäftsbriefe fertig machen für den nächsten Tag; um 10 halb 11 sperr‘ ich die Haustür – es knarrt der Schlüssel so wie er immer knarrte – die Kinder liegen schuldlos, träumend, ich geh‘ auch zu Bett – Franz liegt vielleicht auf kalter Erde, ohne allen Schutz.
Sammlung Frauennachlässe NL 97
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Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 18, Tagebuch Augusta S., Oktober 1914, SFN NL 97, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=18081