Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 25: Tagebuch von Augusta S., Dezember 1914 und Jänner 1915, Altlengbach

NL 97 Schanda 1914 12Augusta Carolina S. (geb. 1877) führte nach dem Einrücken ihres Mannes Franz S. an die Ostfront alleine ein Warenhaus in Altlengbach im Wienerwald. Im Winter 1914 erwartete sie zudem ihr viertes Kind. Nachdem sie über Wochen ohne Nachrichten von „Papi“ geblieben war, kam er im Dezember 1914 überraschend auf Pflegeurlaub nach Hause.

Vor Weihnachten 1914.
Am 20. Dez. ich glaube es war Sonntag, das Geschäft voller Leute, kam ein Telegramm aus Budapest von Papi, daß er abends in St. Pölten eintreffe. – Ich fuhr hin u. wartete am Bahnhof einige Kriegszüge ab, es gibt so viele Menschen die dort ebenfalls Aufstellung genommen – ich finde ihn nicht! – nach weiterem Suchen gehe ich zu dem Gasthof Fraueneder wo Papi’s Civilkleider aufbewahrt sind. Kaum tret‘ ich in die Einfahrt, seh‘ ich Papi schon umgekleidet von rückwärts aus dem Dunkel hervorkommen – „da ist er!“ ja da ist er kommts zurück, fast leise u. schwankend; ganz gebrochen sieht er aus. „Du bist krank!“ – ja! wenn ich’s nicht wär‘, wär‘ ich nicht hier – ich konnte nicht mehr mit – bin bei einem Heuhaufen liegen geblieben. – Langsam gehen wir dem Stadtpark zu, ich frage nicht – höre nur wenn Papi spricht, es kommt alles leis u. stockend von seinen Lippen. Seine Augen haben einen eigentümlich‘ fremden Ausdruck, halb wild, verstört … Der Bart ist langgewachsen …. Wenn ich nicht gefiebert hätte wär‘ ich nicht vom Spital in Munkaz rückgeschickt worden …. es sieht sehr ernst aus draußen – alles was hier die Zeitungen schreiben ist Trug – die Russen sind ganz nahe an Ungarn heran, es gibt viel Verrat. – Wir setzen uns in die Bahn und fahren nach Neulengbach wo uns Hr. E. mit seinem Wägelchen erwartet. – Die Männer sprechen – ich horche nur u. halte ruhig Papi’s Rechte. Zuhause erwarten uns die Kinder ………… wir richten ein warmes Bad, Wäsche u. Kleidung, der wilde Bart wird in Ordnung gebracht – zuhause taut Papi’s Gemüt bißchen auf, der Druck löst sich allmählig. Er hat ein paar Tage Urlaub u. muß dann zurück nach St. Pölten in‘s Reservespital zur Pflege; Papi ist an /Reumatismus/ erkrankt. – Der Weihnachtsabend kommt, Papi richtet das Bäumerl – nach all den Sorgenwochen – wir feiern still ein schönes Weihnachtsfest! – Wir haben viel zu tun – arbeiten aber gerne u. freudig. Papi ist mit uns zufrieden u. freut sich daß wir so tapfer haushielten; die Ziffer der offenen Rechnungen hat sich bedeutend verringert; alles bekommt wieder neues Leben u. Licht. Im Stillen dank‘ ich Gott! er hat uns doch lieb. Papi erzählt u. erzählt ….. Papi diente als einfacher Soldat, war im Frieden nur 6 Wochen beim Militär, 2 Sterndl hat er im Krieg bekommen, er war nicht ehrsüchtig! Er wurde sehr oft zum Vorpostendienst eingeteilt, bei dieser Gelegenheit war er einmal von mehreren Seiten beschossen worden ohne getroffen worden zu sein. „Wie“ er heil aus dieser Situation kommen konnte ist Papi unerklärlich. Onkel Ferdinand [Bruder des Ehemanns] kommt nach Neujahr im Februar zu uns nach Altlgb. um mir die Sorge um das Geschäft abzunehmen; – er bringt seine junge Frau, u. wohnen bei uns im Hause hier.

Jänner 1915
Papi‘s Zustand bessert sich langsam; man weiß nicht was – kommt dann!
Nachdem er das Spital verlassen konnte wurde er dem Eisenbahnsicherungsdienst in Böheimkirchen zugeteilt. Wir machen ein Gesuch daß er der Wasserleitungsbewachung in Altlengbach zugeteilt werde.

Sammlung Frauennachlässe NL 97
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Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 25, Tagebuch Augusta S., Dezember 1914 und Jänner 1915, SFN NL 97, unter: https://salon21.univie.ac.at/?p=18096