Die Modistin Christine („Christl“) Lang (geb. 1891) war in gut situierten bürgerlichen Verhältnissen in Wien aufgewachsen. Zu Neujahr 1914 hatte sie hier den Architekten Leopold („Olly“) Wolf (geb. 1891) kennen gelernt. Er war als sogenannter Einjährig-Freiwilliger mit Ausbruch des Kriegs zu einer Mörser-Division des 7. Schweren k.u.k-Artillerie-Regiments eingezogen worden und dabei zuerst in Belgien und Frankreich, Ende 1914 dann in Polen stationiert. Neben den 189 erhaltenen Schreiben der Verlobten liegen auch zahlreiche Schreiben aus der Korrespondenz von Leopold Wolf und seinen Eltern vor. Daraus geht u.a. hervor, dass Feldpostriefe oft auch von anderen Personen wie den Eltern oder Geschwistern oder gelesen worden sind – ggf. auch die eines jungen Paares.
Wien, 28. Dez. 1914.
Lieber Olly!
Hab Dank für Deine lieben Zeilen, die ich heute früh erhielt. Daß Dir der Abschied schwer geworden ist von der Heimat und allen anderen glaube ich Dir gern, stelle Dir nur vor wie erst mir zu Mute war, als ich Dir lächelnd die letzten Abschiedsgrüße zuwinkte. Ich hätte Dir soviel sagen wollen aber es ging nicht. In dem Moment, wo ich gesprochen hätte wärs aus gewesen mit der Fassung und so hab ich mich halt zusammen genommen.
Als die letzten Wagen im Nebel verschwunden waren kehrten wir um und der Alltag trat wieder in seine Rechte. Willy [der Bruder von Leopold Wolf, geb. 1893] lud uns ein, mit ihm nach Hause zu fahren, es war aber eine recht einsilbige Gesellschaft, denn jeder war mit seinen Gedanken Gott weiß wo, wenigstens das Gefühl hatte ich.
Es kommt mir jetzt von Stund zu Stunde deutlicher zum Bewußtsein wie unendlich schwer es ist sich von dem Liebsten was man auf Erden hat zu trennen und es so vielen Gefahren ausgesetzt zu wissen. Gott sei Dank vorläufig bist Du noch geborgen in Krakau, von wo Du mir hoffentlich bald eine Nachricht zukommen lassen wirst. Daß Du gleich während der Fahrt geschrieben hast, weiß ich zu würdigen, und es war mir der liebste Morgengruß. Ich wünschte nur Du tätest das öfters so.
Bei uns ist es jetzt so traurig, es geht so ruhig zu, es fehlt halt jemand. So oft die Türglocke läutet will ich hinausspringen um aufzumachen, in der Meinung Du bist‘s, ich komm aber gleich wieder zur Besinnung und sag mir, nein, Du bist ja fort, so weit. Vorgestern war Deine Mutter und Willy da. Wir haben jeder das Möglichste getan um die Stimmung ober Wasser zu halten, denn Klagen u. Trübsal blasen macht die Sache ja auch nicht besser. Mutter wollte das Bild sehen, doch Mama richtete sich nach Deinem Wunsche. Es war mir aber sehr unangenehm, denn Deine gute Mutter scheint etwas – indigniert darüber gewesen zu sein, was mir unendlich leid tat. Ich ging gleich heute früh das Bild bestellen und werde es Donnerstag selbst hinaustragen. Hoffentlich hat sich Deine Mutter nicht beleidigt. Das wäre mir schrecklich.
Gestern abend waren wir bei Tante Irma (Mama vom W. Viki) zum Nachtmahl eingeladen, so auch die Müllers [Cousine und Cousin von Leopold Wolf, siehe dazu auch hier]. Auch Du hättest erscheinen müssen, wenn Du da gewesen wärst. Ich habe Dich entschuldigt. Es haben alle auf Dein Wohl getrunken und Dich herzlichst grüßen lassen. Mein Gesicht, das ich an diesem Abend aufsteckte kannst Du Dir vielleicht in Gedanken ausmalen, d.h. tu‘s lieber nicht sonst ärgerst Du Dich nur.
Eben als die Mutter bei uns war, brachte der Korporal, der auch am Mittwoch hier war {dem sein Schwager in Deutschland gef. ist} wieder einige Dankschreiben, darunter 2 italien. von Giovanni F. [?] und Giovanni M. [?].
Lieber Olly schreibe mir recht bald ob Du gut angekommen bist in K. ob Du vielbeschäftigt bist, ein gutes Quartier, vielleicht auch gar den Hanns [dem zweiten Bruder von Leopold Wolf, geb. 1890] gefunden hast?
Ich freu mich schon so und erwarte mit Ungeduld Dein nächstes Schreiben.
Es umarmt und küsst Dich viele viele male Deine
Christl.
Von meinen Eltern, Tanten und Onkel auch die herzlichsten Grüße! N.B. Als ich vorgestern früh am Bahnhof ging, fragte die kleine Elsie wohin ich gehe, ich sagte ihr am Bahnhof da Du fort müssest, worauf sie erwiederte: „Arme Christel, der Soldat muss in den Krieg.“ Sie schickt Dir auch ein Busserl.
N.B. Soeben habe ich Deinen Brief vom 28. ds. erhalten. Eine Karte od. Brief, wo Du mir Mitteilung von dem Leutnant aus Metz machst, scheint in Verlust geraten zu sein. Morgen folgt Antwort auf Deinen letzten Brief.
1000 Küsse Christl.
Brief vom Vater Johannes Wolf (Bauzeichner, geb. 1864) an die beiden Söhne Leopold Wolf (geb. 1891) und Hanns Wolf (geb. 1890)
Wien 9.1.1915
Lieber Pollo! Lieber Hanns!
Soviel ich durch ganz genaue Beobachtung festzustellen in der Lage war, geht das Briefschreiben – oder wenigstens Kartenschreiben – an uns sehr zach. Ausgenommen hievon ist unsere liebe Christl die mehr Briefe bekommt als wir. Es erweckt dies eine Art Neid insbesondere bei unserer Mutter und schliesslich auch bei mir.
Schreibt also wenigstens eine Karte wie es Euch geht. Briefe an die Christl gerichtet haben wir alle gelesen und uns darüber gefreut. Uns geht es sonst gut weil wir gesund sind alles Andere geht gar nicht.
Seit 2. d. M. bin ich unter die Kleinfuhrwerksbesitzer gegangen den diesbezüglichen Gewerbeschein werde ich die nächsten Tage bekommen. Die im Waldviertel gekauften Pferde stehen seit Neujahr in meinem Stall es sind sehr schöne und gesunde Tiere. Leider ist eines davon an Husten erkrankt hoffentlich nur vorübergehend. Auch von dem zweiten Gespann welches ich in Wien gekauft habe ist ein Pferd krank es hat Kollik und dürfte in einigen Tagen wieder hergestellt sein. Für Pferdefuhrwerk ist jetzt sehr viel zu tun es wird nahezu jeder Preis gezahlt.
Willi [der dritte Bruder von Leopold und Hanns Wolf, geb. 1893] dürfte Euch schon geschrieben haben dass am 6. d. M. vom Eisenbahn-Gesangsverein im Konzerthaus die satzungsmässige Liedertafel stattgefunden hat. (…) Zum Schluss haben wir sich dann Alle in einem Wirtshaus getroffen wo ausser gutem Essen auch noch vorzügliches Pils zu haben war.
Für Pollo:
Du schreibst im Brief an Christl dass Du den Mantel immer noch nicht erhalten hast. Dies ist allerdings richtig. Willi hat sich die Füsse kürzer gelaufen immer im Bestreben doch eine Form zu finden Dir den Mantel schicken zu können, alles umsonst. Auf der Post werden keine wie immer gearteten Pakette angenommen weil die Nordbahn für derlei Sachen gesperrt ist. Im Arsenal hat man von einer Absendung des Mantels an Dich nichts wissen wollen. Auch beim Ministerium wo der Willi vorgesprochen hat war es unmöglich in der Angelegenheit etwas zu tun. Es blieb daher nur ein Ausweg: Ueber mein bitten hat gestern das Kommando des Dragonerregiments No. 3 in Breitensee an das Kommando der selbständigen 30½ cm. Mörserdivision No. 2 in Krakau ein Pakett abgehen lassen in welchem sich Dein Mantel befindet.
(…).
Seid beide recht herzlich gegrüßt und schreibt bald
Johann Wolf [Signatur]
Sammlung Frauennachlässe NL 14 I
Nächster Eintrag aus der Korrespondenz von Christine Lang und Leopold Wolf am 21. März 2015
Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.
- Zur Feldpostkorrespondenz von Christine Lang und Leopold Wolf siehe auch: Christa Hämmerle: Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares. In: Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2013, S 55-83.
- Zum Kriegsfotoalbum von Leopold Wolf siehe https://ww1.habsburger.net/de.
Leopold Wolf war nahe verwandt mit der Familie von Louise und Adolf Müller, NL 14 III
Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 27, Brief von Christine Lang an Leopold Wolf, 28. Dezember 1914/Brief von Johannes Wolf an Leopold Wolf, 9. Jänner 1915, SFN NL 14 I, unter: URL