Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 93: Feldpost von Christl Lang und Leopold Wolf, 3. bis 19. Jänner 1917, Wien und ein unbekannter Ort in Polen

1917 01 03Die Familie von Christine („Christl“) Lang (geb. 1891) führte einen Hut-Salon in Wien. Ihr Verlobter, der Architekten Leopold („Poldi“/„Olly“) Wolf (geb. 1891), war bei der Artillerie in Polen stationiert, inzwischen im Rang eines Oberleutnants. Die zumeist sehr langen Briefe des Paares haben neben Berichten aus dem jeweiligen Alltag regelmäßig den Erhalt von Post sowie die aktuelle politische Lage zum Thema, häufig kommt aber auch ein gegenseitiges Unverständnis über die aktuelle Situation der bzw. des anderen zum Ausdruck. Insbesondere forderte Christl Lang ihren Verlobten zunehmend auf, sich zu schonen. Im Winter 1916/17 berichtete sie zudem von einer Familie von „Flüchtlingen“, die sie offenbar unterstützt hat. Zudem schmiedete das Paar zu der Zeit konkrete Heiratspläne. Die Rollen, die sie dabei zukünftigen einnehmen wollten bzw. von der/dem anderen erwarteten, wurden auch in den Briefen besprochen.

Christl Lang an Leopold Wolf

Wien, 3. Jänner 1917.
Liebster Poldi!
Beiliegend schicke ich Dir was zum knuspern, hoffentlich ist es gut und schmeckt Dir. Verdamm mich aber nicht, wenn das nicht der Fall ist. Ich bekam ein neues Rezept (aber kein Kriegs-Rezept) davor hab ich schon Respekt, und nachdem mir Deine Mutter verriet, daß Du Mohn sehr gerne ißt so machte ich diesen Versuch, also wenns nicht gut ist bin ich nicht schuld, sondern das Rezept, sowie bei Deinen Bildern der Einjährige! Für Anton liegen K. 20,- bei, bitte sei so gut und gib sie ihm von uns als Neujahrsgruß. Rauchmaterial kann ich nirgends auftreiben und sonst kenn ich seine Bedürfnisse zu wenig um etwas zu schicken womit er Freude hätte. Er wird das besser wissen.
Deine Karte vom 30. d. M. heute früh eingelangt, herzlichen Dank dafür. Hoffentlich hat Dir die Post keine Enttäuschung bereitet. Ich schrieb Dir am 28. d. M. einen langen Brief, der hätte allerdings am 31. schon dort sein können. Nun muß ich aber ein ernstes Wort mit Dir reden, und hoffe ich predige nicht tauben Ohren. Also Poldi, so geht das nicht weiter alles hat seine Grenzen, und wenn Du nicht irgend etwas unternimmst um die große Last Deiner freiwilligen u. unfreiwilligen Pflichten teilweise auf andere Schultern zu laden, bin ich wirklich ernstlich besorgt. Du wirst schon sehen wo Du hin kommst, wenn Du so weiter tust. Die Anstrengung und Ruhelosigkeit Deiner Nerven ist ja viel viel schädlicher als jede körperliche Anstrengung. Ich bitte Dich inständig, wirf ihnen alles hin und schau, daß Du fort kommst. Haben sich so viele auf unrechtmäßige Weise ein gutes Platzerl ausgesucht, kannst Du es gestützt auf Deine Leistungen seit Kriegsbeginn, umso eher tun. Zumindest schau, daß Du jetzt auf Urlaub kommst. Herr M. [vermutlich ein Soldat aus der Kompagnie von Leopold Wolf, den Christl Lang in Wien besucht hat] sagte mir, wenn wir zurück kommen zur Batt. [Battalion] gehen die anderen Herrn auf Urlaub. Du schreibst immer vom Februar, März, aber da wirds erst recht nicht möglich sein, und wenn Du garnicht ein bissl auf Dich schaust, dann kommst Du mir krank nach Haus. Sollen die Anderen auch einmal was arbeiten und nicht immer gleich zum Wolf um Hilfe rennen. Also liebster, liebster Olly hör auf mich und schau auf Dich, gelt. Schau ich sorg mich ja zu tod um /Dich/, wenn Du krank würdest, wär das noch viel, viel schlimmer.
Ich weiß daß wir vor einer großen Offensive stehen, eben darum, sollst Du vorher noch schnell auf Urlaub kommen um wenigstens ein paar Tage Ruhe zu haben. Du hast Dirs redlich verdient. Ich hab Dir schon einmal geschrieben darüber, aber Du scheinst das nicht gelesen zu haben, o. wollen, gelt? Diesmal aber folg, bitte!
Heute war für die Elsie [ein Mädchen aus dem sozialen Umfeld, das offenbar kurz zuvor mit seiner Familie als „Flüchtlinge“ nach Wien gekommen ist und offenbar von Christl Lang unterstützt wurde] ein bedeutungsvoller Tag! Jetzt vor 1h um 1h führte ich sie zum erstenmal in die Schule, in dieselbe, in die auch ich gegangen bin. Ich war mit ihr beim Herrn Oberlehrer, dann bei der „Frau Lehrerin“, sie hat sich natürlich riesig gefreut, doch fürcht ich, bei ihr macht alles der Reiz der Neuheit aus. Ich glaub es war ihr sehr bang, als wir sie mit ihren Mitschülerinnen u. Lehrerin allein ließen. Ich bin sehr neugierig was sie mir um 4h wenn ich sie abhole erzählen wird. Schwer wird sie‘s schon haben, erstens sind die andern schon weit vor, und 2. beherrscht sie die Sprache doch noch nicht so gut um so schnell aufzufassen wie die andern. Sie ist zwar verblüffend intelligent, und Tante Marie u. ich werden halt zu Hause fleißig nachhelfen, dann wirds schon gehen. Denk Dir nur, jetzt sind sie schon 6 Wochen in Wien und heute sind erst die Koffer gekommen. Von oben bis unten durchstöbert, doch sonderbarerweise haben sie alles drinnen gelassen. Reis, Chokolade, Mehl, und div. and. Sachen weil sie sozusagen ein Flüchtling ist. Mich wundert das sehr. Na über Bayern wär das auf keinen Fall möglich gewesen.
Ich wollte so gerne ein Bild von mir schicken, aber wie Dir Willy [der jüngere Bruder von Leopold Wolf, geb. 1893] geschrieben haben wird, ist aus seinen Aufnahmen nichts geworden. Papa kann auch keine Aufnahme machen, da wir seit Wochen keine Sonne, sondern immer u. immer Regen haben, es gleicht schon einer Sintflut. Blitzlicht Aufnahmen macht Papa prinzipiell nicht, weil er schon einmal Malheur gehabt hat damit. Wie der erste schöne Tag kommt aber wird er mich knipsen.
Nun schließe ich liebster Poldi, indem ich Dich nochmals ermahne meinen gutgemeinten Rat nicht in den Wind zu schlagen und bleibe mit tausend heißen Küssen Deine Tini.
Herzlichste Grüße von Mama und Papa!

Wien, 6.1.1917.
Liebster Poldi!
Vielen herzlichen Dank für Deinen letzten Brief vom 1. ds. Also Hanns [der älteste der drei Wolf-Brüder, geb. 1890, der offenbar in der Nähe von ihm stationiert war] war doch bei Dir, das freut mich riesig. Ich werde ihm selbstverständlich auch noch danken für seine Grüße.
Es ist ein wahres Glück, daß der Auto-Offizier endlich gekommen ist, und Dir die Last wieder abnimmt, denn so wär das nicht mehr lange zum aushalten gewesen.
Hier spricht man so viel von einer Offensive am Karstplateau, ich glaubs auch, denn die Post /komm/ steht schon wieder einmal. Seit Eurem gemeinsamen Brief hab ich bis heute nichts mehr erhalten und meine Stimmung ist infolgedessen sehr gedrückt. Ich predige mir zwar selber alle Tage „Geduld“, aber unlängst hat sogar ein Engel auf der Polizei eine Verlustanzeige gemacht, er verlor nämlich seine Geduld. Wo soll dann ich kleiner Teufel die Geduld hernehmen?
Am 3. ds. hab ich höchst persönlich den Herrn M. [vermutlich ein Soldat aus Leopold Wolfs Kompagnie], der aufgesucht um ihm div. Pakete anzuhängen. Er war sehr liebenswürdiug bereit alles gut auszurichten und abzugeben. Bei dieser Gelegenheit erzählte er mir alle Deine Sünden, er will Dir Arbeit abnehmen, wo er nur kann, und Du wehrst Dich dagegen, und willst alles allein machen. Ich weiß schon was Du mir zur Antwort geben würdest wenn Du da wärest. Du würdest sagen ich habe die Verantwortung, wenn nicht alles klappt bin ich schuld. Da mußt Du halt energisch jemanden verlangen, auf den Du Dich zu verlassen glaubst. Herr M. sagte eines schönen Tages wirst Du so weit sein, daß Du garnicht mehr kannst. Ich hoffe aber Du kommst noch früher zur Einsicht gelt? Im übrigen hat Herr M. sehr schön von Dir gesprochen, scheint gewaltigen Respekt vor seinem „Herrn Oberleutnant“ zu haben. Ich bin absichtlich selbst hin gegangen, weil ich mir sicher dachte, er wird mir noch versch. erzählen. In der Tat hab ich auch Interessantes erfahren. Ich weiß nur nicht warum er mir nicht seine Frau vorgestellt hat, sie war sicher zu Hause, weil er mir sagte, al sich kam, gerade haben meine Frau u. ich von ihnen gesprochen, ob sie nicht heute kommen werden. Willy hat die Fotografensachen zu mir hergebracht und ich hab sie auch mitgenommen.
Wir haben seit Weihnachten bis vorgestern ein derart scheußliches Wetter gehabt, Tag und Nacht Regen, daß man in einem Kotmeer schwimmen hätte können. Heute scheint wieder seit langem die Sonne, dafür ist es sehr kalt.
Jetzt nachmittag ist das obligate Heiligen 3 König-Konzert, des Eisenbahn Ges.Ver. [Gesangsverein] wobei wir vollzählig zu erscheinen haben. Kannst Dir denken, was für ein kolossales Vergnügen. Voriges Jahr natürlich wars anders. Kannst Du Dich erinnern, der Geburtstag von M.s [vermutlich ein Soldat in der Kompagnie von Leopold Wolf] Karrikatur! Am Mittwoch hab ich Konzert, Isreals Auszug aus Ägypten. Die Stelle „und er (Moses) führte sie durch ein Wüstenland“ weckte eine besondere Erinnerung an unsere Bootsfahrten am Traunsee wach, weißt Du’s noch? Wo werden wir denn heuer um diese Zeit sein? Deine Frage interessiert mich insofern, weil ich wissen möchte, wie weit wir sein werden da wir noch immer nicht von dieser Kriegsnot erlöst sein werden. Heute habe ich mit einer ehemaligen auch Komiteedame vom Jahr 14 gesprochen, die erzählte mir, daß ihr Schwager von Südtirol nach „Dinaburg“ kommandiert wurde, Infanterist! Seit 1. Dezember 1916, er spricht von einer großen Kriegsmüdigkeit der Deutschen. Also das wird ja schrecklich, und dabei siegen sie doch noch so großartig. Ich versteh nicht, daß die Andern solange aushalten, sind doch auch nur Menschen wie wir – Was nützen uns aber die Siege, je mehr wir erobern, desto erboster werden die Feinde und desto weniger geben sie’s zu. In Wien wird alles einberufen, und alle Winkel werden ausgefegt, bis auf die die man nie sieht.
Auf allgemeines Verlangen muß ich jetzt zum Tee. Elsie ist schon sehr besorgt, daß ich mit dem Brief nicht rechtzeitig bis zum Konzert fertig werde, und gibt mir den guten Rat morgen wieder zu schreiben. Mama wieder meint sie wird sich nach Kriegsende ihre Wohnung mit Deinen u. meinen Briefen ausstafieren, so prosaisch, u. Papa versprach mir eine Papiermaschine, also das ist noch stärker, ich sagte, ich schreibe doch nicht alle Tag das selbe, Papa meint, ich wüßte nicht was Du sonst schreibst, als ….., ich sagte, sei unbesorgt, ich weiß schon!
Jetzt muß ich aber leider doch schließen, die „Pflicht“ ruft.
Also sei umarmt und innigst geküsst von Deinem
Tinerl.

Leopold Wolf an Christl Lang

19. 1. 17.
Liebste Christl!
Heute ist endlich einmal so viel Zeit vorhanden, daß ich in Ruhe schreiben kann. Du siehst aus diesen ersten Worten, daß ich mir Zeit lassen kann, denn so deutlich hab ich schon lang nicht geschrieben. Ich wollte Dir vor allem den Brief über’s Heiraten beantworten, doch kann ich mir das nun erst recht aufheben, denn darüber ist besser sich selbst aussprechen. Es sind ja keine 14 Tage mehr, und da ist ja jetzt ohnehin alles Geschreibsel hinfällig. Im Ganzen stimmt ja der Plan den Du mir da entwirfst mit dem meinen. Kriegsende und dann noch zirka 2 Monate – Hurrah! Du sagst aber etwas, was ich durchaus nicht verstehe, oder nicht kann ohne vielleicht auf etwas Falsches zu kommen, nämlich „meine Eltern würden mich zu bestimmen wissen.“ Was heißt das? Da hast Du noch etwas ausgelassen, nämlich „…. etwas zu tun oder lassen.“ Du sagst dann noch, es würde Dich keine Enttäuschung glücklicher machen als diese.
Wie unser Zukunft ausschauen wird? Was meine Pflichten anbelangt bin ich ganz beruhigt, doch wäre es fast besser, ich wär’s nicht. Ich sollte nicht so beruhigt allem kommenden entgegensehen, wofür vielleicht mehr Sorge und Nachdenken besser wäre. Ich glaube aber doch nicht, daß ich auf einmal ein Schlendrian sein werde der alles nur von der leichten Seite nimmt. Auch darüber kann man schwer schreiben, vielleicht nur deshalb nicht, weil man sich immer die persönliche Aussprache am baldigen Urlaub schon vor Augen hält.
Wie Du mir das vom „bemuttern“ sagst, ist einfach köstlich! Auch darüber mündlich, aber zuerst in Busserlform!
Mein Posten als Mädchen für Alles ist bisher noch immer nicht gründlich ausgenützt worden. Aus meiner zweitägigen Beschäftigung bei der Gruppe ist scheinbar nichts geworden. Ich glaube sie war vorgesehen für die gestrige kleine Aktion, die ganz prachtvoll gelungen ist. Ihr werdet ja in der Zeitung gelesen haben. Dafür sagte mir unser Hauptmann heute wieder. So geht das nicht weiter mit dem Telefon! Wolf, Du wirst das in die Hand nehmen müssen, damit da endlich einmal Ordnung hineinkommt. Also, das heißt. Telefonoffizier. Was war ich noch nicht? Aha! Menagemeister! Schade, daß unser damit betrauter Oblt. zu gleicher Zeit auf Urlaub geht! Da könnt ich das auch noch werden.
Am Schlusse Deines ersten Jammerkapitels über meine vermeintlich viele Arbeit frägst Du mich, ob ich Autofahrten in feindliches Gebiet machen muß. Tini, schäm Dich! So eine Frage! Wie stellst Du Dir das vor? Jetzt bist Du von einer Kadetten Braut bis zum Oberleutnant avanciert und stellst solche Fragen!
Auf die kleine Elsie freue ich mich natürlich auch, doch hoffe ich, wird man sich mit ihr schon auf deutsch unterhalten können. Tinerl, wir werden keine Ruh haben!
Seinserzeit als das Friedensangebot [Friedensangebot vom 12. Dezember 1916 der „Mittelmächte“ Deutschland, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich und Bulgarien] alles aufwirbelte, hast Du mir geschrieben, Du erinnertest Dich daß ich einmal gesagt hätte, wir würden 1917 heiraten, im Nachtrag zu dem oben begonnenen Kapitel kann ich Dir auch sagen: das werden wir auch!
Einmal scheinst Du schon der Ansicht gewesen zu sein, daß ich schon Proviantoffizier war? Denn Du frägst mich, was ich da alles zu tun hätte. Das war aber nur vertretungsweise über 2 od. 3 Tage.
Liebste Tini, ich schließe für heute, denn es ist bereits 10h, für mich also sehr spät.
Tausend Busserln Dein Olly
Handküsse! Niemand schreibt!

Sammlung Frauennachlässe NL 14 I
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.

  • Zur Feldpostkorrespondenz von Christine Lang und Leopold Wolf siehe auch: Christa Hämmerle: Schau, daß Du fort kommst! Feldpostbriefe eines Ehepaares. In: Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn, Wien/Köln/Weimar 2013, S 55-83.
  • Zum Kriegsfotoalbum von Leopold Wolf siehe https://ww1.habsburger.net/de.

Das Ehepaar Wolf war verwandt mit der Familie von Louise und Adolf Müller, SFN NL 14 III, die in ihrer Feldpost auch Bezug auf sie nahmen (Link).

Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 71, Brief von Christine Lang und Leopold Wolf, Datum, SFN NL 14 I, unter: URL