Adolf Müller (geb. um 1880) war Rechnungsrat in Wien. Im Mai 1915 versah er seinen Kriegsdienst in der Verwaltung eines „Feldmarodenhaus“ in Libiaz in Galinzien. Hier hat ihn seine Ehefrau Louise Müller (geb. um 1890) auch besucht. Wie bereits im Juli 1915 angekündigt, war Adolf Müller im Sommer nun auf dem Weg in den Urlaub in Wien. Die Anreise hat sich aufgrund eines Missgeschickes aber sehr verzögert.
2./VIII.15
Liebe Louise!
Dieser Transport ist grässlich Ich bin nicht einmal noch am Ziel! Vergiß nicht, am 9. ist der Mutter ihr 70. Geburtstag, fahre mit den Kindern hinauf & Otto [der ältere Sohn des Paares] soll einen schönen Wunsch [.]. Hoffentlich bekommt ihr diese Karte.
Gruß Kuß Adolf
Belzec, 5. VIII. 15
Liebe Louise!
Hoffentlich hast du meine Karte von vor gestern, worin ich dich an Mutters 70. Geburtstag erinnerte, erhalten! Wann ich nach hause kommen werde, weiß ich nicht, mir ist nämlich folgendes Malheur passiert: Morgen Dienstag ½ 4h früh standen wir in Rzezow. Ich fragte den Schaffner, ob wir voraussichtlich solange stehen bleiben würden daß ich in die Kantine Kaffee trinken gehen könnte, was der bejahte. Ich tus wie ich zurückkomme ist mein Zug mit Kiste, Säbel, Brodsack weg. Ich fahre gleich mit dem nächsten Zug nach, habe ihn jedoch nicht eingeholt. Nun fahre ich der Kiste nach von einem Bahnhof zum anderen, jedoch bis her ohne Erfolg. Gestern war ich beim Sanitätschef in Kamionka Lipnik, der mich zuerst tüchtig zusammenschimpfte, jedoch dann als ich meine Entschuldigungsgründe in wohlgesetzter Rede vorbrachte, freundlicher wurde & versprach „die Nachforschungen selbst in die Hand zu nehmen“. Solange bis dabei irgendein Resultat herauskommt, muß ich nun hier bleiben. Ich werde dir mündlich alles Nähere erzählen, bitte es jedenfalls vorderhand nicht an die große Glocke zu hängen.
Dich & die Kinder küsst herzlichst
Euer Vater
Belzec, 9. August 1915
Liebe Louise!
Hoffentlich hast du meine diversen Karten erhalten & weißt in welch schändlicher Lage ich bin. Das heißt hier geht mir ja gegenwärtig nichts ab, Geld könnte ich nicht einmal brauchen, da man so wie so nichts zu kaufen bekommt (ich habe noch bei 10 K) aber das Bewusstsein, wenn ich nach Wien komme, die Nasen & vielleicht 8 Tage einsperrn, das sind rosige Aussichten! Die Kiste ist spurlos verschwunden, der Sanitätschef hat auf sämtlichen Stationen telegrafisch anfragen lassen, bis heute ist kein positives Ergebnis vorliegend. Man hat es nach Wien depeschiert & bis von dort die Antwort kommt, schickt er mich heim, dann beginnt die Tragödie 2. Teil!
So ein Warentransport ist das unangenehmste Geschäft, das ich bisher vom Kriege kennen gelernt habe. Da kannst du 8–10 Tage an so einem Lastwagen gefesselt sein & darfst ihn nicht außer Gesichtsweite lassen, sonst fährt er eben davon & stehst da mit deinen Kenntnissen. Und gerade in dieser Zeit fiel Mutters 70. Geburtstag, wo ich doch so gerne wenigstens in Wien gewesen wäre. Irgendwelche Sorgen brauchst du dir nicht um mich zu machen, es ist eben nur wieder eine unangenehme Erfahrung mehr, die ich im Kriege gemacht habe.
Gruß & Kuß Adolf
Wien, 17. VIII.15
Liebe Louise!
Ich bin heute mit demselben Zuge, mit dem ihr kamet, aus Krakau hier angekommen (1/2 3h n.m.) bin nachhause gegangen & hörte, dass ihr in L. [Langenlois bei Krems in Niederösterreich, wo Louise Müller inzwischen mit den Kindern auf Sommerfrische war] seid. Bleibe nur weiterhin oben, so lange es schön ist & die Mutter oben bleibt, ich habe zu Hause alles gefunden, was ich brauche, Wäsche, Gewand & Geld (!! Ich kam mit 000 K Bargeld in Wien an, da ich die letzten „Mohikaner“ gestern in Krakau auf ein bescheidenes Nachtmahl ausgeb.)
Ich habe dir aus Belcec 3 Karten geschrieben, die du scheinbar nicht erhalten hast. Wie hat Mutter ihren 70. Geburtstag verbracht. Hat sie meine – allerdings nur auf einer Korrespondenzkarte mit Bleistift geschriebenen – Wünsche erhalten?
Ich war jetzt im Theresienbad & habe meinem Körper eine nicht mehr ganz überflüssige Reinigung angedeihen lassen. Also bleibe neue Seite vorderhand nur noch oben, oder warte zu mindestens ab, was ich dir morgen mitteilen werde, ich gehe nämlich erst morgen ins Spital, heute sitze ich als Civilgigerl gewaschen, geschn- & gekampelt (??) im Terffoo [?] & bilde mir ein ich bin schon wieder im Zivil.
Gruß & Kuß dir & Kindern Handkuß der Großmutter
Adolf
Sammlung Frauennachlässe NL 14 III
Nächster Eintrag aus der Korrespondenz von Adolf und Louise am 15. März 1917
Voriger Eintrag aus der Korrespondenz von Adolf und Louise Müller am 5. Mai 1915
Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.
- Zur Feldpost des Ehepaars Müller siehe weiters https://ww1.habsburger.net/de.
Das Ehepaar Müller war nahe verwandt mit der Familie von Leopold Wolf und Christl Lang, SFN NL 14 I.
Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 50, Briefe von Adolf an Louise Müller, Datum, SFN NL 14 III, unter: URL