Von Anna H. (geb. 1903) liegen Aufzeichnungen vor, die sie als Klosterschülerin zwischen Oktober 1916 und November 1917 regelmäßig geführt hat. Die Einträge geben einen Einblick in die Lebensumstände der Grazer Mittelschicht während des Ersten Weltkrieges. Die Eltern des Mädchens führten ein Gasthaus, was wahrscheinlich mit ein Grund dafür war, dass sie in ihrem Tagebuch häufig auf die Situation der Lebensmittelpreise Bezug nahm. So gab sie die aktuellen Preise für Obst und Gemüse wieder und kommentierte den Mangel an Grundnahrungsmitteln. Die Ausführungen über ihre Alltagserlebnisse sind vermischt mit patriotisch gefärbten Schilderungen der aktuellen politischen Situation. Im Sommer 1917 berichtete sie zudem über Geburts- und Namenstage in der Familie und die dabei ausgetauschten Geschenke.
22. Juli.
Es herrscht jetzt eine riesige Teuerung. So zahlt man jetzt für 1 kg Gurken 2 K [Kronen], 1 l Schwarzbeer [Heidelbeeren] um 80 bis 90 h [Heller], 1 l Himbeer 1 K 40 h. Auch alles andere ist furchtbar teuer. Die Leute stellen sich auch um Tabak an, trotzdem bekommt mancher garnichts. Wenn man sich anstellt, bekommt man 4 bis 5 Sport [Zigarettenmarke] oder 2 bis 3 Zigarillos. Selbst um Seife stellt man sich an. Da bekommt man dann 1 Stück um 80 h, welches man früher mit 10 h bezahlte. Dieses ist beiläufig im Ausmas von 72 cm Länge und 7 cm Breite und 4 cm Höhe, diese Seife sgibt aber garnichts aus.
25. Julier
Morgen sind es drei Jahre, daß Österreich mit Serbien diesen fürchterlichen Weltkrieg begann. Hoffentlich nimmt er bald ein Ende. Gebe es Gott. Jetzt können wir noch zufrieden sein. Noch überall, an allen Kriegsschauplätzen, ist Österreich mit seinen Verbündeten Sieger.
27. Juli
Gestern hatten Mutter und ich Namenstag. Da ging es trotz der Kriegszeit ganz festlich zu. Ich bekam vom Vater ein Perlenmutter-Taschenmesser mit Schere, während ich der Mutter eine selbstgestickte Decke gab.
30. Juli.
Heute habe ich Geburtstag. Nun bin ich 14 Jahre alt und im 15. Jahr. Mein Geburtsjahr ist 1903.
31. Juli.
Schlechter, wie es jetzt ist, kann es kaum mehr werden. Gestern kaufte Mutter für meinen Bruder einen grauer Anzug, aber Zeuganzug [Leinenanzug]. Dieser kostete 100 K, bitte einen Zeuganzug. 100 K.
1. August.
Auch d. Gemüse ist furchtbar teuer. Bohnenschotten kostet das kg 90 h bis 1 K 30 h, Karfiol 2 K 40 h, Kopfkohl 80 h, Kohlrüben 80 h, Kopfkraut 70 h, Monatsrettig 1 K 10 h Bierrettig 80 h, Karotten, halblange 1 K 20 h, rote Rüben 90 h, Endivien 80 h, Spinat 90 h, Zwiebel 1 K 20 h, Freilandgurken 80 h, Paradeis 1 K 60 h, Speisekürbis ganz 80 h, Feldkürbis 80 h. Feine Gartenbohnen, Schlüpf- und Häuptelsalat und Petersilie bleiben infolge Missernte frei. Alles andere hier angegebene ist der gesetzlich beststimmte Preis.
Graz, 2. August 1917.
Es ist Wir bekommen jetzt kein Mehl mehr. Gestern mussten wir klare Suppe essen, da wir kein Mehl mehr für eingekocht. Teig hatten. Nur […] für Einbrenn [Gemisch aus Fett und Mehl zur Bindung von Speisen] hatten wir Mehl.
Sammlung Frauennachlässe NL 53
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Die Verwendung der Namen der Schreiber/innen und ihrer Familien folgt den vertraglichen Vereinbarungen der Sammlung Frauennachlässe mit den Übergeber/innen. In den Dokumenten genannte Namen dritter Personen werden aus Datenschutzgründen anonymisiert.
- Zum Tagebuch von Anna H. siehe auch: Petra Putz, „Die heldenmutigen Truppen kämpfen siegreich an allen Fronten …“ Die Wirkung der Propaganda im Ersten Weltkrieg am Beispiel des Mädchentagebuchs von Anna H. (1916/17), Wien, Diplomarbeit, 2008.
Zitation dieses Beitrages: Der Erste Weltkrieg in Selbstzeugnissen – Auszüge aus Beständen der Sammlung Frauennachlässe Nr. 85, Tagebuch von Anna H., Datum, SFN NL 108, unter: URL